Читать книгу "Soll ich sagen?" - Heinz Zuber - Страница 23

Ich kannte Wien nur aus Filmen: Romy Schneider, Peter Alexander, alles farbig, schön und lieblich. Ich sah beim Verlassen des Westbahnhofs als Erstes ein Verkehrsschild: »Budapest–Prag– Brünn«. Wo war ich? Das lag doch hinter dem Eisernen Vorhang, und ich war offenbar am Ende der Welt. Wien war damals grau.

Die Straßenbahn am Morgen roch nach kaltem Zigarettenrauch von »Austria 3« und der Ausdünstung von Grünem Veltliner. Was ich am Westbahnhof erstmals in meinem Leben sah, war ein echter Dienstmann – es gab ihn also wirklich, nicht nur als Hans Moser.

Aber alles war unwichtig im Vergleich zu meinem eigentlichen Ziel: dem Max Reinhardt Seminar. Ich hatte vier Rollen vorbereitet, die ich mit Genehmigung des Schaffners nachts im Gepäckwagen übte. Alle Figuren, die ich mir ausgesucht hatte, hatten Angst, was sehr gut zu meinen Gefühlen angesichts der Aufnahmeprüfung passte.

Das war zuerst einmal der Sosias in Amphitryon von Kleist, der hat Angst im nächtlichen Wald. Das war der »Pralinésoldat« Bluntschli aus George Bernard Shaws Helden, der aus Angst vor den ihn verfolgenden Serben in das Schlafzimmer eines jungen Mädchens flüchtet und statt Patronen Schokolade in der Pistolentasche hat. Dann der tragische Arnold Kramer aus Hauptmanns Drama Michael Kramer und schließlich der Leon aus Grillparzers Weh dem, der lügt!, den ich später im Volkstheater in einer Außenbezirks-Produktion gespielt habe. Dieser Leon, Kochlehrling und Christ, geht zu den barbarischen Heiden, um den Neffen seines Bischofs zu befreien, wird am Ende von diesen Barbaren gefangen genommen und wendet sich mit aufwärts gestreckten Armen an Gott persönlich:

Nun denn, sie haben mich umstellt mit Netzen.

Da hilft denn einer nur und der bist du!

Ich habe diese Rollen auch noch vor der Prüfung im Schlosspark von Schönbrunn hinter einem Busch geübt, mit allem Enthusiasmus – und als ich mich umdrehte, stand ein altes Ehepaar vor mir, das blanke Entsetzen im Gesicht, der alte Herr hatte den Spazierstock in der Hand und hob ihn abwehrend gegen mich …

Nun, die Lehrer am Seminar habe ich offenbar mehr überzeugt. Ich denke vor allem mit dem Bluntschli und meinem Schweizer Hochdeutsch, denn da hat die ganze strenge Prüfungskommission gelacht. Ich hatte die Prüfung bestanden und seither bin ich in Wien.