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L’Olympia – In der Welt der Chansons

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Eine der für mich wichtigsten Adressen in meinen Pariser Jahren war das »Olympia«, sozusagen der Tempel der Chansonkunst, im 9. Arrondissement auf dem Boulevard des Capucines Nr. 28, nicht weit weg von der alten Pariser Oper, der Place de la Concorde, dem Jardin des Tuileries. Zwischen 1960 und 1963 trat dort alles auf, was in der Welt des Chansons Rang und Namen hatte, und ich habe fast alle gesehen und gehört.

Der Eintritt war durchaus erschwinglich, vergleichbar mit Kinopreisen auf den billigeren Plätzen, und die Akustik war so toll, dass einem die Damen und Herren geradezu ins Ohr krochen, auch wenn man weit hinten saß. Mir fiel das besonders bei Edith Piaf auf, die so klein und zierlich war, aber dank der grandiosen Tonanlage und natürlich ihrer Bühnenpräsenz überwältigend wirkte.

Die Vorprogramme bis zur Pause bestanden aus Varieté-Nummern mit Chanson-Einlagen von Sängern, die durchaus später berühmt wurden. Dann kam die Pause, junge Damen verkauften singend »Bonbons, Caramelle, Escimo, Chocolat«, und danach kam der Star.

Als Marlene Dietrich im Olympia auftrat, bekam sie ungemein viel Aufmerksamkeit von der Presse, sie war auf dem Titelblatt von »Paris Match«, glaube ich, da saß sie auf einem ihrer 40 Koffer in Orly am Flughafen und zeigte ihre Beine. Die Überschrift lautete: »Sie hält sich noch immer für den Nabel der Welt.«

Aber wenn sie auf die Bühne kam, war sie das auch. Allein der Auftritt war sensationell: Nach der Pause wurden Zuschauerraum und Bühne dunkel, in dieses Blackout hörte man als Fanfare die Melodie von »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«, und eine Stimme verkündete: »Und jetzt präsentiert Ihnen das Olympia … Et maintenant l’Olympia vous présente MARLENE DIETRI-TSCH.«

Ein Spot wanderte nach hinten rechts – und dort kam … Ja, eigentlich Marilyn Monroe. Die Dietrich, mit relativ kurzem, lockigem Blondhaar, in einem so engen Glitzerkleid, als sei sie hineingenäht, sie konnte darin kaum gehen. Aber wozu auch? Sie schwebte, rollte, glitt und brauchte eine wahre Ewigkeit, bis sie an der Rampe vor dem Mikrofon stand.

Das Publikum stöhnte, es war ebenso spannend wie enervierend, diesem Auftritt zuzusehen. Als sie das Mikrofon erreicht hatte, machte sie eine Verbeugung, dass ihre Haare den Boden berührten. Dann richtete sie sich langsam auf und hauchte mit leiser und heiserer Stimme »Halloooo« ins Mikro. Der Saal tobte. Die Dietrich sagte: »Ich singe Ihnen jetzt das erste Lied, das ich in meinem Leben gesungen habe. Ich muss es Ihnen auf Deutsch singen, weil kein Mensch je einen französischen Text dazu gemacht hat.«

Und dann sang sie »Johnny, wenn du Geburtstag hast« – es klang wie »Honi henn hu h-huta hattt«, ich habe jedenfalls nichts verstanden, aber ich kannte ja das Lied. Später gab es noch einmal einen ganz kurzen Blackout, dann ging das Licht wieder an: Da stand sie im Frack mit Zylinder und schmiss die Beine, natürlich beinfrei, mit einer Girltruppe. Man muss nicht erwähnen, dass die Dietrich einen Riesenerfolg hatte.

Wen habe ich noch alles gesehen in diesen Jahren? Josephine Baker, Georges Brassens und Jacques Brel. Oder auch Charles Aznavour, den ich später gerne parodiert habe. Ihn habe ich übrigens auch persönlich kennengelernt, als ich im Theater an der Wien Die Schöne und das Biest spielte und meine Kollegin Caroline Vasicek einen Film mit ihm gemacht hat. Er verschaffte mir die seltene Sensation, dass ich auf jemanden hinunterschauen konnte …

Ein besonderer Liebling von mir war Gilbert Bécaud, weil er seine Chansons »spielte«. Ich sah ihn 1961, als er gerade »Et maintenant« kreiert hatte. Bécauds Lieder waren oft wahre Einakter.

In »Rosi und John« entdeckte er in einer Seitenloge eine Dame, mit der er einmal eine artistische Nummer im Varieté vorgeführt hatte. Es entspann sich eine kleine Konversation mit ihr: »Ich hoffe, es geht dir gut. Mir geht’s blendend, aber ich denke oft zurück an unsere Doppelnummer«, und er zeigte dem Publikum die Schritte, die sie zusammen getanzt hatten – aber ohne Gegenpart, riss sich dann zusammen und entschuldigte sich:

»Verzeihen Sie, verehrtes Publikum. C’est Rosi, c’était ma femme. – Das ist Rosi, sie war meine Frau.«

In »L’Orange« erzählte er die Geschichte eines Jungen, der von der Menge verfolgt und des Diebstahls beschuldigt wird, der aber immer wieder betont, er habe die Orange nicht gestohlen … Und Bécaud war der verfolgte Junge, der all das erlebte und auf alles reagierte.

Gilbert Bécauds Chanson »La grosse noce«, was auf Deutsch eigentlich mit »Die dicke Hochzeit« übersetzt werden müsste, ist zweisprachig, das heißt, es hat kurze deutsche Passagen. Es handelt sich um eine ländliche Hochzeit, ich nenne sie eine »Elsässische Hochzeit«, bei der er alle Typen vorspielt: vom Brautpaar über den Pfarrer bis hin zum Bürgermeister, vor allem den Großvater, der einmal einen Tag in Paris erlebt hat und immer noch davon erzählt …

Ein Tag in Paris mit eine große Mademoiselle

Paris, Tour Eiffel und die Folies Bergère

Wollen Sie, Fräulein, Promenade, Caramels? …

Wollen Sie, Fräulein? …

Er schwelgt in seinen Erinnerungen und versucht auch bei der Hochzeit, die Demoiselles herumzukriegen … Ich habe das Lied später bei einem Abschluss-Chansonabend im Max Reinhardt Seminar gesungen. Das hat mir sehr viel Glück gebracht. Denn durch dieses Chanson kam ich 1966 ins Fernsehen. Ich singe das Lied bis heute noch gelegentlich – und es kommt auch immer ganz fabelhaft an!



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