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3. Gesetzgebungskompetenzen: Verteilung und Steuererfindungsrecht

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Art. 105 Abs. 1 GG weist dem Bund die (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz über die Zölle und Finanzmonopole zu. Zölle sind Steuern (vgl § 3 Abs. 3 AO), die an eine Warenbewegung über die Zollgrenze anknüpfen. Die Kompetenz zu ihrer Regelung ist auf die EU übergangen, da es Zölle nur noch an den Außengrenzen der EU gibt (Art. 28, 30, 31 AEUV). Neue Finanzmonopole darf der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr einführen, so dass Art. 105 Abs. 1 GG insgesamt obsolet ist.

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Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG weist die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern den Ländern zu, die diese Kompetenz (außer im Falle der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg) an ihre Gemeinden bzw Gemeindeverbände delegiert haben. Ferner sind die Länder jetzt ausschließlich zuständig für die Festlegung des Steuersatzes der Grunderwerbsteuer (Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG). Steuerwettbewerb zwischen den Ländern fürchtete der verfassungsändernde Gesetzgeber insoweit nicht, da die Grundstücke – begriffsnotwendig – „immobil“ sind. Soweit die Länder bisher keine eigene Regelung getroffen haben, bleibt die Tarifnorm des vom Bund erlassenen GrEStG (§ 11 Abs. 1 GrEStG: 3,5 %) in Kraft (Art. 125a Abs. 1 GG).

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Die wichtigste Verfassungsnorm zu den Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Steuerrechts stellt Art. 105 Abs. 2 GG. Danach hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die „übrigen Steuern“, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht (Alt. 1) oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen (Alt. 2).

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Ob die Steuern dem Bund ganz oder zum Teil zustehen, richtet sich nach Art. 106 Abs. 1 bzw Abs. 3 GG. Dies ist für die aufkommensstärksten Steuern der Fall, insb für die Einkommen- und Umsatzsteuer sowie die Energiesteuer, ferner auch für die Körperschaftsteuer.

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Ob die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen, ob also eine bundeseinheitliche Regelung hinsichtlich Steuerschuldner, Steuerbemessungsgrundlage und Steuersatz erforderlich ist,[34] ist damit nur bei den Steuern zu prüfen, die allein den Ländern oder den Gemeinden und Gemeindeverbänden zufließen. Dies bestimmt sich nach Art. 106 Abs. 2 GG (zB Erbschaft- und Biersteuer, die allein den Ländern zustehen) und Art. 106 Abs. 6 GG (Grund- und Gewerbesteuer[35]).

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Umstritten ist, wie der Begriff der „übrigen Steuern“ im Sinne des Art. 105 Abs. 2 GG zu verstehen ist. Sind das nur solche Steuern oder Steuerarten, die das Grundgesetz kennt und deren Aufkommen es selbst (in seinem Art. 106 GG) verteilt? Oder darf der Gesetzgeber auch Steuern oder Steuerarten einführen, die sich nicht unter eine Steuer oder Steuerart im Sinne des Art. 106 GG subsumieren lassen? Damit ist die Frage eines freien Steuererfindungsrechts des Gesetzgebers angesprochen.

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Unproblematisch sind dabei zunächst Fälle, in denen der Gesetzgeber eine neue Steuer einführt, diese sich aber unter eine in Art. 106 GG genannte Steuerart subsumieren lässt (Bsp: 1999 wurde die Stromsteuer neu eingeführt, die eine Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr 2 GG darstellt[36]; die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgte damit aus Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 GG).

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Problematisch sind die Fälle, in denen sich eine neue Steuer unter keine in Art. 106 GG genannte Steuer oder Steuerart subsumieren lässt, eine Steuer also keinem der in Art. 106 GG genannten Steuertypen entspricht. Die Frage hatte das BVerfG nunmehr erstmals zu entscheiden, da es der Kernbrennstoffsteuer die Eigenschaft als Verbrauchssteuer iSd Art. 106 Abs. 1 Nr 2 GG absprach.[37]

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Richtiger Ansicht nach ist eine Steuer, deren Aufkommensverteilung das Grundgesetz nicht selbst (in Art. 106) regelt, von vornherein verfassungswidrig. Die hM[38] sieht die Aufzählung der Ertragszuweisung einzelner Steuern und Steuerarten mit Recht als abschließend an mit der Folge, dass Bund und Ländern keine Steuererfindungsrechte außerhalb der vom Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten zukommen. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes enthält einen Numerus clausus der zulässigen Steuern oder Steuerarten. Sie ist auf Formenklarheit und Formenbindung angelegt.[39] Indem sie einen festen Rahmen vorgibt, fördert und entlastet sie den politischen Prozess.[40]

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Diese Funktion wäre in Frage gestellt, wenn unklar wäre, wem das Aufkommen aus Steuern zufließen soll, die vom Grundgesetz nicht explizit vorgesehen sind. Auch kann bei Einführung einer dem Grundgesetz unbekannten Steuer durch den einfachen Gesetzgeber nicht der verfassungsändernde Gesetzgeber verpflichtet sein, die entstandene Regelungslücke durch Ergänzung des Art. 106 GG zu schließen.[41] Könnte der einfache Gesetzgeber den verfassungsändernden Gesetzgeber, der qualifizierte Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat benötigt, zu einer Änderung des rechtlichen Rahmens, der Spielregeln, zwingen, würde das in Art. 79 Abs. 2 GG verankerte Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat unterlaufen.

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Andere Gegner eines Numerus clausus wollen die Ertragshoheit einer von Art. 106 GG nicht erfassten Steuer demjenigen zuweisen, der sie erfindet[42], oder sehen von der Gesetzgebungskompetenz aus Art. 105 Abs. 2 GG für das Steuerrecht auch die Zuweisung der Ertragshoheit umfasst, soweit nicht Art. 106 GG selbst Regeln trifft, an die der einfache Gesetzgeber gebunden ist.[43] Mit der Formenstrenge der Finanzverfassung, die die Spielregeln vorab festlegen muss, um den politischen Prozess entlasten zu können, erscheint das nicht vereinbar. Dies wird auch daran deutlich, dass unklar ist, wie bei „potentiell“ den Ländern zustehenden frei erfundenen Steuern das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates (Art. 105 Abs. 3 GG) gehandhabt werden soll – für einen Analogieschluss[44] erscheint wiederum im Hinblick auf die Formenstrenge der Finanzverfassung (Rn 747) kein Raum.

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Der sorgfältigen Regelung der Ertragsverteilung ist zu entnehmen, dass die Verfassung die Verteilung des Steueraufkommens abschließend selbst vornehmen will. Eine Lückenfüllung durch Analogieschlüsse oder teleologische Reduktionen ist im Finanzverfassungsrecht nicht zulässig.[45] Allerdings sind die in Art. 106 genannten Steuerarten so umfassend, dass praktisch fast jede „neue“ Steuer in eine der dort genannten Kategorien einzusortieren sein sollte. Übrige Steuern iSd Art. 105 Abs. 2 GG sind also nur solche Steuern, deren Ertrag das Grundgesetz selbst nach Art. 106 GG verteilt. Die Einführung einer dem Grundgesetz unbekannten Steuer(-art) setzt damit eine vorherige Verfassungsänderung voraus.

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Gem. Art. 105 Abs. 3 GG bedürfen Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, der Zustimmung des Bundesrates.

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Zustimmungsfrei sind also nur Steuergesetze, die Steuern im Sinne des Art. 106 Abs. 1 GG betreffen, weil deren Aufkommen allein dem Bund zufließt. Es handelt sich insoweit um sog Einspruchsgesetze, bei denen die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich ist und bei denen ein etwaiger Einspruch des Bundesrates durch den Bundestag überstimmt werden kann (vgl Art. 78 GG). Das Grundgesetz hält die Länder für schutzbedürftig, soweit die Steuergesetze Einfluss auf die Länderhaushalte haben – selbst dann, wenn es zu Aufkommenserhöhungen käme, etwa durch Streichung von Steuervergünstigungen.[46]

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