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2. Harmonisierung der direkten Steuern

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Die europäischen Verträge enthalten keine ausdrückliche Ermächtigung für die Harmonisierung der direkten Steuern. Die Art. 110–113 AEUV regeln den Abbau der steuerlichen Hemmnisse für den freien Warenverkehr und betreffen deshalb (mit Ausnahme des Art. 112 AEUV) nur die indirekten Steuern. Sie regeln das Gebiet der Besteuerung jedoch nicht abschließend. Dies ergibt sich zB aus Art. 192 Abs. 2 AEUV, der den Rat ermächtigt, im Bereich der Umweltpolitik einstimmig Vorschriften steuerlicher Art zu erlassen.

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Als Rechtsgrundlage für die Harmonisierung der direkten Steuern wird Art. 115 AEUV herangezogen. Danach erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des gemeinsamen Markts auswirken. Anders als bei Art. 113 AEUV besteht bei direkten Steuern somit keine Verpflichtung zur Harmonisierung, vielmehr sind umgekehrt Richtlinien zur Harmonisierung der direkten Steuern nur dann zulässig, wenn diese zur Sicherung des Funktionierens des Binnenmarkts erforderlich sind.

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Eine bloße Nützlichkeit reicht nicht aus, vielmehr muss die Harmonisierung erforderlich und verhältnismäßig sein. Dem Rat kommt bei der Beurteilung der Erforderlichkeit allerdings ein Beurteilungsspielraum zu[232]. Er hat dabei das Prinzip der Subsidiarität zu beachten (Art. 5 Abs. 3 EUV). Danach darf die EU nur dann handeln, wenn die Verwirklichung der Gemeinschaftsziele nicht durch die Mitgliedstaaten selbst erreicht werden kann. Zeichnet sich also im Bereich der direkten Steuern ab, dass die Mitgliedstaaten von sich aus ihre Vorschriften den Bedürfnissen des gemeinsamen Markts anpassen[233], darf die EU keine entsprechenden Harmonisierungsvorschriften erlassen.

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Die bisherigen Richtlinien betreffen nur spezielle Aspekte der grenzüberschreitenden Besteuerung von Unternehmen (Rn 230 ff). Gleichwohl strebt die EU-Kommission seit einiger Zeit eine Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung insgesamt an[234]. So hatte die Kommission 2011 einen Richtlinienentwurf für eine „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ (GKKB) vorgestellt[235], der allerdings bei den Mitgliedstaaten keine Zustimmung fand. Die ökonomischen und politischen Schwierigkeiten der Einführung einer GKKB lagen vor allem bei der „Konsolidierung“, die bei weiterhin unterschiedlichen Steuersätzen die Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Verlustverrechnung ausweitet[236]. Ein weiterer Richtlinienentwurf aus dem Jahr 2016 verzichtete daher auf die Konsolidierung (GKB)[237], weil hier die Zustimmung aller Mitgliedstaaten (Einstimmigkeit, Art. 115 AEUV) eher möglich erschien. Diese Richtlinienvorschläge zur GK(K)B hat die EU-Kommission im Mai 2021 zurückgezogen und will nun bis 2023 einen neuen Rahmen für die Unternehmensbesteuerung in der EU vorlegen (Business in Europe: Framework for Income Taxation, BEFIT, Rn 1532)[238].

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Im Bereich der Unternehmensbesteuerung ermöglicht die bereits 1990 erlassene Fusionsrichtlinie[239] eine steuerneutrale grenzüberschreitende Verschmelzung und Spaltung von Kapitalgesellschaften und die grenzüberschreitende Einbringung von Betrieben und Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Aufdeckung der stillen Reserven. Es werden also „Steueraufschübe“ gewährt, um nicht Umstrukturierungen faktisch zu verhindern. Sie ist im UmwStG umgesetzt (Rn 1434).

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Mit der ebenfalls aus dem Jahr 1990 stammenden Mutter-Tochter-Richtlinie (MTR)[240] soll die steuerliche Mehrbelastung von Dividendenausschüttungen[241] einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat beseitigt werden[242]. Voraussetzung ist eine Mindestbeteiligung von 10 % (Art. 3 Abs. 1 MTR). Umgesetzt ist die Richtlinie in § 43b EStG und § 8b KStG (Rn 1482).

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Ziel der Zins- und Lizenzgebührenrichtlinie (ZLR)[243] ist es, die Doppelbesteuerung der Zahlungen zwischen Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen und Betriebstätten solcher Unternehmen zu vermeiden. Dies geschieht durch eine Steuerbefreiung der Einkünfte in Form von Zinsen oder Lizenzgebühren (Art. 1 Abs. 1 ZLR). Voraussetzung dafür ist eine Mindestbeteiligung von 25 % (Art. 3 lit. b ZLR)[244]. Umgesetzt ist die Richtlinie in § 50g, § 50h EStG (zur Zins- bzw Lizenzschranke vgl Rn 1506 f).

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Schließlich soll das sog. EU-Schiedsübereinkommen[245] (auch: Schiedskonvention) Doppelbesteuerungen vermeiden, die durch Preisberichtigungen der verschiedenen Finanzbehörden der Mitgliedstaaten im internationalen Verrechnungsverkehr von verbundenen Unternehmen verursacht werden (Rn 1495)[246]. Ergänzt wird das Schiedsübereinkommen durch die Streitbeilegungsrichtlinie (SBRL)[247], die mit dem EU-DBA-Streitbeilegungsgesetz in nationales Recht umgesetzt worden ist[248]. Diese Richtlinie betrifft nicht nur den Bereich der Unternehmensbesteuerung (Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen), sondern ist für alle von einem DBA (Rn 1469 ff) betroffenen Personen anwendbar. Das Streitbeilegungsverfahren ist vorrangig zu Verständigungsverfahren nach dem jeweiligen DBA (Rn 1472) oder dem EU-Schiedsübereinkommen (§ 4 Abs. 4 EU-DBA-SBG).

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Der Regelungsgehalt der ehemaligen Zinsrichtlinie[249] wurde in die Amtshilfe-Richtlinie[250] überführt. Der Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten ist damit nicht mehr auf Zinseinkünfte beschränkt, sondern erfasst alle Steuern (Ausnahme: Zölle, Mehrwertsteuer). Besondere Bedeutung hat die inzwischen mehrfach verschärfte[251] Amtshilfe-RL aber immer noch für den Austausch im Bereich der Kapitalertragsteuer[252]. Durch die Ausweitung des (automatisierten) Informationsaustauschs in Steuersachen[253] ist das Bankgeheimnis (vgl Rn 481) weit zurückgedrängt worden[254]. In Deutschland regelt das EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG)[255] die Übermittlung von Informationen durch die Finanzbehörden. Durch das Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen (FKAustG)[256] werden Finanzinstitute verpflichtet, Kontendaten von Kunden mit Auslandsbezug an das BZSt zu melden.

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Zur Förderung der Steuertransparenz auf Unionsebene ist in der 6. Änderungsrichtlinie zur Amtshilfe-RL (DAC 6)[257] eine Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen vorgesehen[258]. Die Mitgliedstaaten müssen alle drei Monate Informationen austauschen, und zwar innerhalb eines Monats nach Ablauf des Quartals, in dem die Informationen eingegangen sind.

In Weiterführung des OECD BEPS-Aktionspunkts 12 (vgl Rn 1492) müssen steuerliche Berater (sog. Intermediäre) grenzüberschreitende Steuergestaltungen (Rn 1491 ff) den zuständigen Behörden melden, die diese dann international austauschen. Welche Gestaltungen meldepflichtig sind, ergibt sich aus bestimmten im Anhang der DAC 6-RL festgelegten Kennzeichen, wobei bei manchen Kennzeichen zugleich ein Relevanz- bzw Motivtest (sog. „Main benefit“-Test) erfüllt sein muss, was der Fall ist, wenn die Erlangung des Steuervorteils im Vordergrund steht. Umgesetzt ist die RL in den §§ 138d–138k AO (Rn 481). Eine weitere Änderung (DAC 7)[259] erweitert die Transparenzvorgaben auf digitale Plattformen.

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Im Jahr 2016 hat die EU zudem eine umfangreiche Richtlinie zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken (Anti Tax Avoidance Directive – ATAD) erlassen[260], die als Reaktion auf internationale Steuervermeidungsstrategien bestimmte Gestaltungen verhindern soll (näher Rn 1491 ff). In eine ähnliche Richtung (fairer Steuerwettbewerb) ging das Richtlinienpaket zur angemessenen Besteuerung digitaler Geschäftstätigkeiten in der EU („Digitalsteuer“, Rn 1493)[261]. Dieses ist vorerst gescheitert, es gibt jedoch auf Ebene der OECD weiterhin Pläne, die digitale Wertschöpfung im Staat der Nutzung „angemessen“ zu besteuern (Rn 1492)[262].

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