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8. Täter-Opfer-Ausgleich (Nr. 7)

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Die durch das 1. JGGÄndG neu eingefügte Weisung, sich zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), entspricht in wesentlichen Punkten der Regelung des § 46a StGB. Der erzieherische Aspekt dieser Weisung soll darin liegen, dass der Jugendliche mit dem Verletzungscharakter seines Verhaltens und der Situation des Opfers direkt konfrontiert wird, Einsicht in den aktuellen Geltungsbereich der strafrechtlichen Norm und deren Bedeutung für ein einvernehmliches Zusammenleben gewinnt und ihm auf diese Weise die Verantwortlichkeit für sein strafbares Verhalten bewusst gemacht wird. Die Ausgleichsbemühungen sollen den Täter motivieren, durch die aktive Beteiligung an der Konfliktlösung zu seiner Verantwortung zu stehen und auf diese Weise dem Rückfall wirksam begegnen (BT-Drucks. 11/5829, S. 17).

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Das Bemühen des Täters um einen Ausgleich mit dem Verletzten setzt damit einen kommunikativen Prozess voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss (ständige Rspr. des BGH zu § 46a StGB, vgl. etwa von NStZ 2000, 205 bis NStZ 2010, 82 m.w.N.; grundlegend BGHSt 48, 134 ff.; Urt. v. 9.10.2019 – 2 StR 468/18 – juris). Das einseitige Bemühen ohne den Versuch der Einbeziehung des Verletzten genügt dazu nicht. Die Bemühungen des Täters müssen zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten (BGH NStZ 2006, 275), so dass eine bloße materielle Schadenswiedergutmachung allein grundsätzlich nicht ausreicht. Der kommunikative Prozess setzt allerdings keine persönliche Begegnung zwischen Täter und Opfer voraus; eine Verständigung über vermittelnde Dritte (z.B. Verteidiger oder gesetzliche Vertreter) genügt (BGH Urt. v. 24.8.2017 – 3 StR 233/17). Der Begriff des Verletzten ist damit so auszulegen, dass eine solche Kommunikation stattfinden kann. Bei einem vollendeten Tötungsdelikt sind die Hinterbliebenen daher nicht „Verletzte“ im Sinne der Vorschrift (BGH NJW 2019, 319). Diese Rechtsprechung des BGH zu § 46a StGB trifft schon im Hinblick auf das mit diesen Vorschriften verfolgte gesetzgeberische Anliegen (s. Rn. 43 sowie die nachfolgenden Erl.) auch auf die Weisung nach Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 zu (vgl. BGH Urt. v. 24.8.2017 – 3 StR 233/17 Rn. 19).

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Jedenfalls bei schweren Gewaltdelikten ist nach ständiger Rspr. des BGH ferner regelmäßig ein Geständnis erforderlich (vgl. BGHSt 48, 134 ff, 141; NStZ 2010, 82 m.w.N.), was freilich nicht ausnahmslos und in allen Fällen bis ins letzte zur Verurteilung erforderliche Detail zu fordern ist. Ist für das Opfer etwa nach gelungenen Ausgleichsbemühungen die strafrechtliche Ahndung und das Verteidigungsverhalten des Täters nicht mehr von besonderem Interesse, so steht ein nur eingeschränktes Geständnis nach dem Sinn und Zweck der Regelung, die gerade dem friedensstiftenden kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer besondere Bedeutung beimisst, einem als gelungen anzusehenden Täter-Opfer-Ausgleich nicht entgegen (vgl. etwa BGH StV 2008, 464; NStZ-RR 2008, 304; StV 2002, 649). Diese Rechtsprechung zur Erforderlichkeit eines Geständnisses ist, etwa wenn die Weisung nach Nr. 7 neben einer Jugendstrafe oder neben einem Zuchtmittel verhängt wird, gerade bei Jugendlichen schon aus erzieherischen Gründen zu beachten.

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Ferner ist zu verlangen, dass das Verhalten des Täters im Verfahren Ausdruck der Übernahme von Verantwortung ist und erkennbar wird, dass er die Opferrolle respektiert, so dass der Konflikt über die Rollenverteilung von Täter und Opfer beendet ist (BGHSt 48, 134 ff., 141; NStZ 2010, 82).

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Versagt das Opfer seine Mitwirkung, so genügt das ernsthafte Bemühen des Täters um einen Ausgleich zur Vermeidung des Ungehorsamsarrestes gemäß § 11 Abs. 3. Auch bei dieser Variante des TOA kommt es jedoch darauf an, inwieweit der Täter das Opfer daran beteiligt und dieses auf freiwilliger Basis hierzu bereit ist. Lässt sich das Opfer auf einen kommunikativen Prozess (Rn. 44) nicht ein, so hat dies der Täter prinzipiell hinzunehmen; denn ohne Zustimmung des Opfers fehlt bereits die Basis für seine Bemühungen (BGH Urt. v. 24.8.2017 – 3 StR 233/17). Gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten ist die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs grundsätzlich ungeeignet (BGHSt 48, 134 ff., Rn. 16). Diese zu § 46a StGB entwickelten Grundsätze gelten auch gerade im Jugendstrafrecht, weil andernfalls der erzieherische Zweck der Maßnahme konterkarriert würde. Das Bemühen nach Nr. 7 kann sowohl im Hinblick auf das Verfahren nach §§ 45, 47, als auch bei der Strafzumessung zu Gunsten des Täters berücksichtigt werden.

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Die rechtliche Einordnung dieser Sanktion als Erziehungsmaßregel ist systemwidrig. Sie enthält nämlich überwiegend den Erziehungsmaßregeln fremde sühnende Elemente, wie sie den Zuchtmitteln des § 13 eigen sind. Deshalb ist auch weiterhin die Entschuldigung des Täters bei seinem Opfer als das verschärfte Zuchtmittel der Auflage in dem fort geltenden § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 normiert. Die Weisung nach Nr. 7 steht damit im Widerspruch zu § 10 Abs. 1 S. 1 (s. Rn. 5). Nach der Differenzierung im Rechtsfolgensystem des JGG (s. § 9 Rn. 3) wäre die Weisung als Auflage in § 15 Abs. 1 S. 1 unterzubringen gewesen. Die Anordnung des Täter-Opfer-Ausgleichs wird daher in besonderem Maße auf ihr Verhältnis zu Tat und Tatschuld zu überprüfen sein. Gibt die zur Beurteilung stehende Tat nur Anlass zu Erziehungsmaßregeln, ohne dass der Unrechtsgehalt der Anlasstat die Erforderlichkeit sühnender Maßnahmen anzeigt (s. Rn. 24), ist eine Weisung nach Nr. 7 ausgeschlossen. Bagatellfälle haben daher regelmäßig auszuscheiden.

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Die Weisung wird jedenfalls im Anwendungsbereich des JGG regelmäßig nur dann in Betracht kommen, wenn eine für den Täter greifbare natürliche Person geschädigt wird (so nun auch BGH NJW 2019, 319; s. auch Steffens S. 178). Jedoch ist nicht ausgeschlossen, den Täter-Opfer-Ausgleich in geeigneten Fällen auch dann anzuordnen, wenn die Allgemeinheit oder eine juristische Person geschädigt ist (BGH NStZ 2000, 205 zu § 46a StGB). Aus erzieherischen Gründen muss dem Täter dabei allerdings bewusst sein, dass der Ausgleich mittelbar den dahinterstehenden natürlichen Personen zugutekommt. Da Nr. 7 in erster Linie der Ausgleich der immateriellen Schäden bezweckt, wird die Maßnahme in diesen Fällen nur ausnahmsweise in Betracht kommen.

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Die Bundesländer haben Richtlinien und Verwaltungsvorschriften für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs erlassen, die im Internet abrufbar sind. Zur umfangreichen Literatur über den Täter-Opfer-Ausgleich (Erfahrungen, Problematik) s. etwa Dünkel ZStW (99) 1987, 845 ff.; Viet Zbl 1988, 17; Stock MschrKrim 1987, 352; Schaal/Eisenberg NStZ 1988, 49; Schreckling Zum Verhältnis von Verteidigung und Täter-Opfer-Ausgleich aus der Sicht der Kölner Konfliktregelungs-Praxis, in: Verteidigung in Jugendstrafsachen, 1987; Heinz/Huber Neue ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, 1986 (Beiträge verschiedener Verfasser); Kuhn ZRP 1987, 267; dies. Tatsachen als Konflikt, 1989; Böttcher/Weber NStZ 1990, 564 f.; Schreckling Zbl 1990, 626 ff.; Viet DVJJ-Rundbrief 131/1990, S. 1922; BMJ (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich, 1991 (verschiedene Verfasser); BMJ (Hrsg.), Täter-Opfer-Ausgleich in Deutschland, 1998 (verschiedene Verfasser); Trenczek ZRP 1992, 130 ff.; Pfeiffer ZRP 1992, 338 ff.; Jung MSchKrim 1993, 50 ff.; Bunar DVJJ-J 1996, 372 ff.; Lemke DVJJ-J 1997, 68 ff.; Zirk Berliner Anwaltsblatt 3/1996, 67 ff.; Wandrey DVJJ-J 3/1999, S. 274 ff.

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