Читать книгу Alter Adel - neues Land? - Ines Langelüddecke - Страница 18

1.3. Getrennte Wege 1945-1990: Adelsfamilien in der Bundesrepublik und Dorfbevölkerung in der DDR Die Regelungen im Einigungsvertrag und die Reaktion der betroffenen Adligen

Оглавление

Mit der »Gemeinsamen Erklärung« vom Juni 1990 setzte sich die Entscheidung gegen die Restitution der zwischen 1945 und 1949 enteigneten Vermögenswerte in der juristischen Ausgestaltung des Einigungsprozesses durch.[34] Die Betroffenen der SBZ-Enteignungen und ihre Nachfahren konnten diese für sie nachteilige gesetzliche Regelung nicht nachvollziehen, wie mir alle meine adligen Interviewpartner erklärten. Sie argumentierten mit der Idee einer notwendigen und umfassenden Wiedergutmachung von Unrecht, das sie und ihre Vorfahren in der Vergangenheit erlitten hatten. Nach dieser Vorstellung von Gerechtigkeit sollten den Opfern von Gewalt und Willkürakten, wie sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der sowjetischen Besatzungszone geschehen waren, Wiedergutmachungs- und Entschädigungsleistungen zustehen.[35] Diese Ideen vertraten nicht nur die Adligen, die ich interviewt habe, sondern sie sind auch im öffentlichen Bewusstsein und im Wertekanon der westlichen »postheroischen Gesellschaften« tief verankert.[36] Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich eine Tendenz zur »Viktimisierung« feststellen, d. h. eine Verlagerung vom heroischen Gedenken hin zu Diskursen, die das Opfer in den Mittelpunkt stellen. Dieser Fokus auf der Opferperspektive verlangt allerdings, dass die betroffene Opfergruppe in einem umfassenden Sinne als unschuldig angesehen werden muss.[37] Diesen eindeutigen Opferstatus konnten die nach 1945 enteigneten Gutsbesitzer nicht für sich reklamieren, denn in der öffentlichen Wahrnehmung wurde dem Adel eine wesentliche Mitschuld am Aufstieg Hitlers und am preußischen Militarismus zugeschrieben.[38] Mit dieser Deutung wurde der Opferstatus der Adligen in Frage gestellt, ganz unabhängig von der Tatsache, dass ihnen 1945 ihr Besitz gewaltsam entzogen worden war und sie zwangsweise in die westlichen Besatzungszonen übersiedeln mussten.

Vor allem der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, hatte im Einigungsprozess dafür plädiert, die Eigentumsveränderungen der Bodenreform nicht anzutasten und auf die Restitution des 1945 enteigneten Gutsbesitzes zu verzichten.[39] Darin unterstützt wurde er vom Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, der jedoch im Nachhinein den Anteil der Sowjetunion an der Festschreibung der Bodenreform für gering erklärte, die er als deutsch-deutsche Vereinbarung betrachtete.[40] Im Gegensatz hierzu sagte der damalige Leiter der Abteilung 2 im Auswärtigen Amt, Dieter Kastrup, der auf Seiten der Bundesrepublik an den Verhandlungen mit der UdSSR beteiligt gewesen war, dass die sowjetische Regierung 1990 konsequent an der Festschreibung der Bodenreform festgehalten hätte.[41] Ob auch die Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl schon von Beginn der deutsch-deutschen Verhandlungen an einen Ausschluss von Restitutionen für die Enteignungen zwischen 1945 und 1949 favorisierte oder ob sie damit lediglich auf ostdeutsche und sowjetische Forderungen reagierte, bleibt bis heute eine offene Frage.[42]

Die Gegner der Bodenreform-Regelung waren mit dieser Entscheidung jedenfalls nicht einverstanden und legten nach Abschluss des Einigungsvertrags eine Verfassungsbeschwerde ein, die jedoch am 23. April 1991 vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt wurde.[43] Darauf reagierten die Betroffenen mit einer erneuten Klage. Am 18. April 1996 bestätigte das Bundesverfassungsgericht in diesem Punkt den Einigungsvertrag.[44] Nach diesen beiden Niederlagen reichten die Betroffenen noch einmal auf europäischer Ebene ihre Klage ein. Doch auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kam am 30. März 2005 zu dem Ergebnis, dass die deutsche Rechtslage im Umgang mit den Enteignungen 1945 nicht gegen die Menschenrechtskonvention verstößt.[45] Die zwischen 1945 und 1949 enteigneten Adelsfamilien, die nach der Wiedervereinigung in die ehemalige DDR zurückkehren wollten, konnten also nicht mit der Restitution ihres früheren Eigentums rechnen. Vielmehr mussten sie den ehemaligen Familienbesitz von der Treuhandanstalt zurückkaufen oder pachten.[46] Die »Treuhand« war als öffentliche Behörde dafür eingesetzt, die volkseigenen Betriebe sowie die enteigneten, volkseigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu privatisieren. 1992 übernahm dann die Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH (BVVG) als eigene Behörde die Aufgabe, ausschließlich die Bodenflächen zu verwalten, zu verpachten und zu verkaufen. Hierhin mussten sich die Adelsfamilien wenden, wenn sie ihren früheren Besitz in den Gutsdörfern zurückbekommen wollten.

Alter Adel - neues Land?

Подняться наверх