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Die Kategorie des Raumes
ОглавлениеIn diesem Buch gehe ich von der Annahme aus, dass sich im Reden über den Raum zwischen Dorf und Gut Beziehungsverhältnisse und Interessen sowie Erwartungen und Erfahrungen niederschlagen.[20] Der Raum ist eine Kategorie, um die physischen Bedingungen eines konkreten Ortes und die damit verbundenen menschlichen Handlungen und Deutungen zu analysieren.[21] Innerpersönliche Erzählmuster der Selbst- und Fremdwahrnehmung sind dabei mit äußeren Prozessen verknüpft, die sich aus der baulichen Umgestaltung der ehemaligen Güter nach 1989/90 ergeben. Das ehemalige Gut kann nicht als ein abgeschlossener »Containerraum« gesehen werden, der unveränderlich in der Topographie des Dorfes verankert wäre.[22] Schloss und Kirche, Park und Wald, Friedhof und Feld bestehen zum einen aus ihrer Materialität,[23] zum anderen bilden sie eine »Kontaktarena«,[24] in der sich die adligen Rückkehrer und die Dorfbevölkerung in der Gegenwart begegnen und miteinander aushandeln, wie der Raum genutzt werden soll. Dieser soziale Raum des früheren Gutes ist durch seine materiellen ebenso wie durch seine symbolischen Charakteristika geprägt.[25] In meinem Buch untersuche ich, wie dieser Raum des ehemaligen Gutes nach dem Umbruch von 1989/90 sozial (wieder)hergestellt wird, aber auch, was dieser spezifische Raum aufgrund seiner Materialität selbst vorgibt.[26]
»Der Raum ist ein Ort, mit dem man etwas macht« – so setzt der französische Historiker Michel de Certeau diese beiden Begriffe ins Verhältnis.[27] An de Certeau und Martina Löw anknüpfend wird in diesem Buch deshalb unterschieden zwischen Räumen, in denen Akteure aufeinandertreffen und Aushandlungsprozesse stattfinden, und Orten, die konkrete Gebäude und Gebiete beschreiben.[28] »Im Raume lesen wir die Zeit«, hat der Osteuropahistoriker Karl Schlögel festgestellt: allerdings, so muss man einschränken, nur bei sehr genauer Betrachtung.[29] Nicht immer lässt sich genau unterscheiden, was alt und was neu ist, was restauriert und was hinzugefügt wurde. Bei der Analyse von Räumen geht es um Grenzen zwischen Innen und Außen, um Zugehörigkeit und Fremdheit.[30] Welche spezifischen Raumvorstellungen konkurrierten also in diesem Aushandlungsprozess auf der lokalen Ebene im ehemaligen Gutsdorf, und welche Vergangenheits- und Gegenwartsbezüge wurden dabei von allen Beteiligten hergestellt?[31] In diesem Buch werden Raum- und Erinnerungstheorie methodisch miteinander verschränkt. Dabei finden die Perspektiven einer Kulturgeschichte nach dem Spatial Turn Anwendung.[32]