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aa) Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO)
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Kennen Sie noch die hier zitierten Anspruchsgrundlagen des materiellen Rechts? Wenn nicht, nutzen Sie die Gelegenheit, Ihre Kenntnisse im Delikts- und Produkthaftungsrecht aufzufrischen.
Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) gilt für alle unerlaubten Handlungen nach §§ 823 ff. BGB, für Ansprüche aus Gefährdungshaftung (z.B. §§ 1 ProdHaftG, 7 StVG) und Ansprüche aus § 1004 BGB. Maßgebend ist der Ort, an dem die unerlaubte Handlung begangen wurde. Dies ist grundsätzlich der Ort, wo der Täter gehandelt hat (Handlungsort) oder wo in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort).[44] Bei einem Autounfall ist es der Unfallort.
Beispiel
Mona wird beim Überqueren der Straße in Hamburg von einem Autofahrer, der in Stuttgart wohnt, angefahren. Die Behandlungskosten betragen 2000 €. Welches Gericht ist zuständig? Sachlich zuständig ist das AG, da der Streitwert unter 5000 € liegt (§ 23 Nr. 1 GVG). Der allgemeine Gerichtsstand des beklagten Autofahrers ist Stuttgart, da er dort seinen Wohnsitz hat (§§ 12, 13 ZPO). Zusätzlich könnte der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gegeben sein (§ 32 ZPO). Ein Fall der unerlaubten Handlung liegt vor, da Mona ihre Klage auf § 823 BGB bzw. § 7 StVG stützt. Die unerlaubte Handlung wurde in Hamburg begangen. Hier wurde der Körper von Mona verletzt. Handlungs- und Erfolgsort liegen in Hamburg (wo Mona ärztlich behandelt wird, ist unerheblich). Da mehrere Gerichtsstände in Frage kommen und kein ausschließlicher Gerichtsstand vorliegt, kann Mona wählen (§ 35 ZPO), ob sie in Stuttgart oder in Hamburg Klage erhebt.
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Bei Persönlichkeitsverletzungen in einer überregionalen deutschen Zeitschrift sind die Erfolgsorte überall dort, wo die Zeitschrift bestimmungsgemäß vertrieben wird.[45] Bei Klagen gegen Medienberichterstattungen führt das faktisch zur freien Wahl des Forums. Umstritten ist der Erfolgsort bei Rechtsverletzungen im Internet. Nach Ansicht des BGH kann die bloße Abrufbarkeit der Website (im Inland) keinesfalls zuständigkeitsbegründend wirken; dies würde sonst zu einem uferlosen „weltweiten Verfolgungsrecht“ des Beklagten führen. Daher wird neben der Abrufbarkeit in Deutschland ein besonderer Inlandsbezug verlangt.[46] Ein solcher liegt vor, wenn eine Kenntnisnahme der Internetmeldung aufgrund ihres spezifischen Inhalts durch deutsche (inländische) Internetnutzer nahe liegt.[47] Gibt ein User in eine Suchmaschine Vor- und Nachnamen ein und erhält hierauf (unwahre) Suchwortergänzungsvorschläge in deutscher Sprache, liegt ein Inlandsbezug vor.[48] Der Betreiber der Suchmaschine mit Sitz in USA kann daher in Deutschland verklagt werden. Gleiches gilt, wenn ein Blog in deutscher Sprache, der sich an deutsche und auf Mallorca lebende Immobilienbesitzer richtet, unter Angabe des vollen Namens und der Adresse des Opfers veröffentlicht wurde.[49] Ein in russischer Sprache verfasster Bericht über eine private Reise in Moskau begründet dagegen keinen Inlandsbezug.[50] Auf die Anzahl der Klicks oder der registrierten Portalnutzer im Inland kommt es nicht an. Bei Internetveröffentlichungen ist auch der EuGH der Ansicht, dass der Betroffene nicht in jedem Mitgliedstaat (aufgrund der Abrufbarkeit) klagen kann.[51]
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Wird im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) Klage erhoben, ist fraglich, ob das Gericht auch andere Ansprüche, wie vertragliche Ansprüche, zusätzlich prüfen darf. Dies war lange streitig und wurde unter dem Stichwort „Gerichtsstand des Sachzusammenhangs“ diskutiert. Mittlerweile hat der BGH seine frühere Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, dass das Gericht den Rechtsstreit unter allen rechtlichen Gesichtspunkten entscheiden darf. Begründet wird dies mit der analogen Anwendung des § 17 Abs. 2 S. 1 GVG.[52]