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Kapitel 12

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Die ganze Nacht über hatte sich Ruby in ihrem Bett hin und her gewälzt und hatte über all jene vergangenen Ereignisse nachgedacht. Hin und Her gingen ihre Gedanken, ihr Beruf, die Familie, Lauren, die sie nach dem besagten Versprechen ins Gästezimmer gebracht hatte, und natürlich der Mord, der sie nicht mehr in Ruhe ließ. War es wirklich möglich dieses Versprechen zu halten? Und war es irgendwie möglich irgendwann einen Mord zu vergessen? Solange hatte sie darüber nachgedacht, bis sie Kopfschmerzen bekommen hatte, ungefähr gegen fünf Uhr morgens. Sie ist zu dem spontanen Schluss gekommen Urlaub zu brauchen, ob sie diese Idee umsetzen würde war fraglich, genauso wie die schlagartige Idee Joggen zu gehen, die sie jetzt sehr bereute. Nach zwanzig Minuten ist ihr schlecht geworden, ihr Magen rebellierte, wahrscheinlich aufgrund der verborgenen Anspannung.

„Verdammt.“ Murmelte sie, während sie zusammengesunken auf der Bordsteinkante hockte und darauf wartete, dass es ihr wieder besser ging. Mit ihren Ellenbogen gestützt saß sie da, der Kopf hing schlapp auf ihren Unterarmen, sodass sie nicht bemerkte, dass jemand neben sie getreten war.

Unvermittelt spürte sie eine Hand auf ihrer rechten Schulter und sie zuckte unwillkürlich zusammen. Über ihr stand eine nett lächelnde, junge Frau, die ihr irgendwie bekannt vorkam.

„Geht es Ihnen gut?“ Erkundigte sich ihre Mitstreiterin, wie sie es ebenfalls an dem Joggingoutfit erkannte. „Es geht schon, mir ist nur etwas schlecht geworden, mehr nicht. Bin wohl ein wenig überfordert.“ Eigentlich dachte Ruby, das dies genügte, dass die junge Frau weiterlaufen würde, stattdessen setzte sie sich neben sie.

„Die Luft ist in den letzten Tagen extrem trocken, da gibt der Körper öfter mal den Geist auf.“ Ruby blickte sie aufmerksam an, entschied sich letztlich aber für eine Unterhaltung.

„Ja, nur normalerweise komme ich mit diesem Klima zurecht.“ Das war keineswegs eine Lüge, denn sie versuchte regelmäßig Sport zu treiben und bis jetzt hatte sie das Wetter noch nie auf diese Weise ausgeschaltet. Lieber gab sie den Umständen die Schuld daran, aber vor einer Fremden sich selbst zu bemitleiden wäre nicht richtig, deswegen fügte sie noch hinzu.

„Heute muss ich es wohl unterschätzt haben.“ Als Antwort bekam sie nur ein Brummen, denn ihre Mitjoggerin schaute nur geradeaus. Daraufhin betrachtete Ruby ihr Profil etwas genauer: Ihre Wangenknochen waren sehr ausgeprägt, fast edel, was von großer Anmut zeugte, dazu ein spitz zulaufendes Gesicht mit beinahe künstlerisch angeordneter Stupsnase und klaren, braunen Augen, sowie weichen Lippen durch und durch eine schöne, junge Frau. Genau bei diesem Gedanken, wandte sie sich zu ihr um. „Sie können ruhig weiter Joggen, ich komme schon zurecht.“ Meinte Ruby schnell.

Die ihr gegenüber runzelte etwas die Stirn, als ob ihr etwas eingefallen wäre. „Ich kenne Sie. Sind Sie nicht Ruby, Ruby Cavillo?“

„Wenn Sie es ganz genau haben wollen Ruby Marianna Cavillo. Woher kennen Sie mich?“

„Ich habe Sie öfter in der Schule gesehen und wenn ich mich Recht erinnere waren Sie auch mal in der Zeitung.“

„Muss ich mich irgendwie vor Ihnen fürchten Frau…?“

„Wie unhöflich von mir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Joana Lehmann. Möglicherweise haben Sie mich in der Schule rumschnüffeln sehen.“

„Dann muss ich wohl doch etwas Angst haben.“ Joana grinste sie frech an. „Quatsch, ich kann es Ihnen erklären, wenn Sie nicht weiterwollen.“ Ruby wog kurz ab und kam zu dem Schluss, dass sie nach ein paar Metern sowieso wieder kläglich scheitern würde. Außerdem war sie jetzt viel zu neugierig um sich das Ganze entgehen zu lassen.

„Gut ich kann ein paar Minuten entbehren.“

„Wunderbar, hier ganz in der Nähe, nur um die Ecke, gibt es ein sehr schönes, unscheinbares Café. Darf ich Sie einladen?“ Sichtlich überrascht über die Freundlichkeit dieser Frau, die, wie sie sich nun erinnerte, wirklich schon öfter in der Schule war, ließ sich Ruby hoch helfen.

„Wenn Sie schon so fragen, werde ich nicht nein sagen.“

„Das freut mich.“ Ruby musterte Joana misstrauisch, doch das reine Lächeln ließ keine weiteren Zweifel aufkommen; es war wohl wirklich nur eine nette Geste. Ruby ermahnte sich selber nicht jedem neuen Menschen, den sie kennenlernte, gegenüber argwöhnisch zu sein, sondern sich einfach mal auf Neues einzulassen.

Nachdem sie die wenigen Meter Fußmarsch zu dem Café zurückgelegt hatten, saßen sie nun zusammen an einem kleinen, runden Tisch mit Kaffee und Gebäck. Ruby war fasziniert von dieser kleinen Örtlichkeit, die ihr nie zuvor aufgefallen war. Der Kaffee war köstlich, das Gebäck dazu heute – als Kennenlernen - umsonst, die Besitzer sehr herzlich und das Ambiente überaus geschmackvoll. Dass Ruby es vorher nie wahrgenommen hatte lag vermutlich einfach an ihr. Gutes fiel ihr nicht einfach so zu.

„Ah ich verstehe, deswegen befassen Sie sich so viel mit dem Projekt der Schulen.“ Joana nippte kurz an ihrem Kaffee und nickte hastig. „Richtig, leider kann ich mich nicht für immer damit beschäftigen, oder gar einen Schützling aufnehmen.“ Auf dem Weg hierher hatte Joana Ruby erzählt, dass sie gerade die Ausbildung zur Polizistin absolviert hatte. Sie hatte gerade die Abschlussprüfungen bestanden und wollte sich freiwillig sozial engagieren. Das versuchte sie bei dem Projekt ‚Young Adults’. Allerdings war ihre freie Zeit sehr begrenzt, da direkt nach der Ausbildung der Schichtdienst begann, sowie die Bereitschaft bei den Hundertschaften. Irgendwann hatte sie sogar die Möglichkeit ins Auge gefasst, dass sie das Projekt irgendwie mit den örtlichen Behörden verbinden könnte, aber das hielt sie letztlich für etwas zu gewagt.

„Sie sollten Ihre Energie auch besser auf Ihre eigentliche Aufgabe als frischgebackene Polizistin beziehen.“

„Keine Frage, aber desto mehr ich mich damit befasst habe, desto mehr hat es mich fasziniert. Dabei steckt das Projekt noch in den Kinderschuhen.“ Klarer Fall Joana Lehmann war mit Sicherheit gut für die Polizei geeignet, sie schien ihre Aufgaben sehr gewissenhaft zu erledigen. Dennoch konnte sich Ruby von einem Gedanken schon die ganze Zeit über nicht lösen. Und darum nahm sie das jetzt auch in Angriff. „Joana, Sie haben doch bestimmt auch von dem Mord an Mia-Sophie gehört, oder?“ Mit einem Mal versiegte die Freundlichkeit aus Joanas Gesicht. „Wer hat das nicht.“

Ruby vergaß ihre Zurückhaltung genau wie bei dem Kommissar Drewes und platzte sofort mit ihren Fragen heraus. „Wissen Sie etwas darüber?“ Das anfängliche Lächeln kam wieder auf ihre Lippen zurück, diesmal allerdings etwas zurückhaltender. Anscheinend gefiel ihr dieses Gesprächsthema überhaupt nicht, weshalb auch immer. „Diese Phrase hab ich schon gut auswendig gelernt: Darüber darf ich Ihnen leider nichts sagen.“

„Tut mir leid, ich wollte nicht damit anfangen. Es ist nur so, dass es mich nicht mehr loslässt.“

„Schon gut, das kann ich verstehen. Ich habe Mia-Sophie bei meinen Recherchen auch kurz kennen gelernt. Das ist grausam. Das verdient niemand.“

„Und trotzdem wollen Sie diesen Job ausüben?“ Das faszinierte Ruby freilich, denn sie hatte jahrelang einen Job gesucht, der ihre Mutter am meisten auf die Palme bringen würde. Polizistin stand recht weit oben auf der Liste, am Ende hatte sie sich jedoch für ihre Leidenschaft entschieden.

„Ja, wahrscheinlich weil meine Mutter auch Polizistin ist, liegt vermutlich in der Familie.“

„Ich tippe darauf, dass Ihr Vater auch Polizist ist?“ Joana lachte laut. Für eine Frau ein sehr tiefes Lachen, das ziemlichen Eindruck auf sie hinterließ. „Nein, mein Vater nicht. Er ist der dazugehörige Staatsanwalt.“

Ruby kicherte mit. „Ja was auch sonst. Interessante Konstellation.“

„Sie sagen das so daher, dabei ist es gar nicht so einfach. Man kann sich in dieser Familie nichts zu Schulden kommen lassen, bei diesen kritischen Augen wird man sofort durchschaut.“ Diesmal grinste Joana nur und trank ihren Kaffee mit einem kräftigen Schluck aus. Dann stand sie mit einem Mal auf und sagte. „Es war nett mit Ihnen zu plaudern, das müssen wir mal wiederholen. Leider muss ich jetzt auch schon wieder los; Schichtdienst ist nicht immer das Beste.“ Genauso turbulent wie Joana ihr diese Einladung gemacht hatte, genauso schnell machte sie sich wieder aus dem Staub. Ruby musste ihr ein Dankeschön für den Kaffee sogar nachrufen, so hastig war sie davon geeilt.

Etwas stutzig schüttelte Ruby den Kopf und setzte sich wieder hin – sie war aufgesprungen zum rasanten Abschied – um den Kaffee im Gegensatz zu Joana etwas gemütlicher auszutrinken.

Schon komisch dachte sie bei sich und war noch verwunderter als sie die beschriebene Servierte sah. Darauf war anscheinend Joanas Handynummer und der Ausspruch, dass Ruby sie immer anrufen konnte.

Wieder schüttelte sie nur konfus den Kopf; so schnell lernte man jemand Neues kennen.

Menschlich

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