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11.30 Uhr

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Patricia Macintosh war mehr als ungehalten über die Tatsache, die kommenden zwei Wochen im vom launigen Aprilwetter gebeutelten Hertford festzusitzen, anstatt am Strand von Santo Domingo in der Sonne zu liegen. Die seit drei Tagen andauernde hitzige Diskussion mit ihrem unnachgiebigen Ehemann wurde durch das Läuten der Türglocke jäh unterbrochen.

»Ich gehe schon«, sagte Hubert, knöpfte sich die graue Hausjacke zu und eilte rasch zur Tür. »Ist der Tee fertig?«

Mit einem leisen Fluch auf den Lippen verschwand seine Frau in der Küche.

»Guten Morgen, kommen Sie rein!«

Jack und Grace bedankten sich und folgten der Aufforderung. Dann wurden sie vom Inspektor in das übermäßig geheizte Wohnzimmer der, wie sie fanden, recht kleinen Wohnung gebeten. Die beiden Gäste sahen sich fasziniert um: Der mit dem Duft von Lavendel erfüllte Raum war nahezu viereckig und verfügte nur über ein schmales Fenster mit schweren, bestickten Übervorhängen über bodenlangen Rüschengardinen. Vergeblich versuchte das Sonnenlicht, das Zimmer mit seiner ganzen Intensität, die Grace und Jack noch draußen dankbar genossen hatten, zu erhellen. Unterstützt wurde es mehr schlecht als recht durch die zu schwachen Birnen einer unter der hohen Decke hängenden altmodischen, geschwungenen Messinglampe mit hässlichen kleinen geriffelten Schirmen. Sie erinnerten Jack an umgedrehte Muffinförmchen. Das Wohnzimmer beherbergte zudem für seine geringe Größe viele Möbelstücke: Neben einer mit grünem Stoff bespannten, bieder und schwer wirkenden Couch und zwei passenden Sesseln, die um einen niedrigen Eichentisch herum standen, gab es dort zwei Anrichten, mehrere Bücher- und Wandregale, einen Fernsehtisch mit einem recht alten Röhrengerät sowie eine Standuhr, die gemächlich monoton vor sich hin tickte. Für eine besondere Reizüberflutung sorgten aber die vielen Dekorationselemente, unzähligen Vasen und der kitschige Nippes in Form von kleinen Engeln, Ballerinen und Kätzchen, die jede freie Fläche für sich beanspruchten. Ohne Zweifel war dies dem Sammlertrieb von Macintoshs Frau zu verdanken, die in diesem Moment mit einem großen Silbertablett den Raum betrat. Ihr Lächeln wirkte steif und gezwungen.

»Guten Morgen. Tee?«, fragte sie knapp und stellte das Tablett etwas forsch auf den Couchtisch.

Hubert strafte sie mit einem mahnenden Blick und bat seine Gäste, auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dann gab er seiner Frau mit einer knappen Handbewegung zu verstehen, dass sie sich entfernen sollte. Ein letzter, tödlicher Blick traf ihn, dann machte sie kehrt und verließ den Raum.

Jack war innerlich amüsiert von dieser fast wortlosen, aber deutlich zu spürenden Feindseligkeit. Er war sich auch im Klaren darüber, woher sie rührte und dass er selbst vielleicht nicht ganz unschuldig daran war.

»Ihre Frau hat Ihren Entschluss wohl nicht ganz so dankbar aufgefasst, wie wir, oder?«, fragte er schelmisch, während er in den Polstern versank und versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen.

Hubert, der sich gerade in seinen Sessel setzen wollte, hielt kurz inne und sah ihr reumütig nach. »Nicht wirklich, nein. Und sie kann sehr…«, er suchte nach den richtigen Worten. »Emotional sein.«

Jetzt musste Jack wirklich grinsen und sah zu Grace, die neben ihm saß. »Jaaa, das ist mir auch nicht unbekannt«, sagte er spöttisch. Als Reaktion erhielt er von ihr einen kurzen Stoß mit dem Ellenbogen.

Macintosh räusperte sich und goss den beiden Gästen und sich dampfenden Earl Grey in die Tassen. Dann nahm er seine samt Untertasse und machte es sich bequem. Die Lehne knarrte leise.

»Kommen wir zur Sache. Wie ist der Stand der Dinge?« Er sah Jack fordernd an.

»Ich habe einen Termin bei Mister Patterson. Morgen früh«, antwortete dieser und Hubert machte ein zufriedenes Gesicht.

Thomas Patterson war, wie man der Presse entnehmen konnte, der zweite Mann bei Moore Enterprises und einer der wenigen Menschen, die über Byron Moores Verfassung und Verhalten vor seinem Tod etwas sagen konnten. Darüber hinaus war er offenbar auch der direkte Nutznießer von Byron Moores Tod; als dessen Nachfolger.

Jack musste daran denken, wie leicht es ihm gefallen war, einen Termin bei ihm zu bekommen, nachdem er sich mit seiner ›Ich war Byron Moores bester Freund‹ Masche bis an die oberste Hierarchieebene durchgeschlagen hatte.

»Sehr gut. Sie wissen, was Sie zu tun haben?«, fragte Hubert.

Jack nickte. »Ihn unauffällig verhören.«

»Seien Sie bloß diskret, Calhey! Ich komme in Teufels Küche, wenn da was schief läuft. Sie sind eine Privatperson, vergessen Sie das nicht. Die Polizei ist offiziell gar nicht eingeschaltet. Ja, nicht einmal inoffiziell.«

Jack war sich der ungewöhnlichen Situation bewusst und hatte sich bereits eine Strategie zu Recht gelegt.

»Erkundigen Sie sich bei Patterson nach Moores Verfassung kurz vor seinem Tod. Ob ihm irgendetwas an ihm aufgefallen ist, das ihm ungewöhnlich erschien. Ob er selbst eine Theorie für seinen Suizid hat oder vielleicht sogar einen konkreten Verdacht.«

Hubert war gar nicht wohl dabei, dass Calhey seinen Job übernehmen würde. Aber er hatte keine andere Wahl. Zum Einen hätte ein Anruf Pattersons bei seiner Dienststelle genügt und er wäre mit seinen nicht autorisierten Ermittlungen aufgeflogen; zum anderen war es von Vorteil, dass – sofern wirklich mehr hinter Moores Freitod steckte – die privaten Ermittlungen im Stillen abliefen, bis sie klare Beweise hatten, mit denen er sich an Superintendent Crowe wenden konnten.

»Ich weiß, was ich zu tun habe, Sir«, beteuerte Jack selbstsicher.

Grace legte ihm die Hand auf den Oberarm. »Jack ist Journalist. Wenn einer etwas rausbekommt, dann er.«

Jack freute sich über ihren verbalen Beistand. Es tat ihm gut, sie an seiner Seite zu wissen.

Hubert nippte an seiner Tasse. »Das bezweifle ich auch nicht«, entgegnete er. »Aber Journalisten haben normalerweise die Angewohnheit, direkt und gerade heraus zu fragen. Zumindest diejenigen, die ich kenne. Hier müssen wir aber mit deutlich mehr Feingefühl vorgehen. Es darf nicht nach einem Verhör aussehen, denn wir haben keinerlei rechtliche Grundlage für diese Aktion.«

Jack war sich sicher, dass er dies bewerkstelligen konnte, auch wenn es nicht leicht werden würde. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, der Mann, den er morgen treffen würde, könnte etwas mit dem Tod seines besten Freundes zu tun haben, bestand für ihn ohne Zweifel die Gefahr, emotional und damit zu forsch vorzugehen.

»Vertrauen Sie mir, Inspektor«, sagte er. Dann wechselte er das Thema. »Was haben Sie eigentlich über diesen französischen Industriellen rausgefunden?«

Hubert stelle die Tasse ab und kratzte sich an der Schläfe. »Bisher nicht sehr viel mehr, als das, was in der Zeitung stand. Mein Assistent steht mit der französischen Polizei in Kontakt, aber diese Baguettefresser sind nicht sehr kooperativ.«

Jack und Grace sahen einander an und mussten, angesichts dieser offen gezeigten Abneigung Macintoshs den Franzosen gegenüber, schmunzeln.

»Verzeihen Sie, wenn ich mich im Ton vergriffen habe«, entschuldigte sich Hubert, als er ihre Reaktionen sah. »Aber heute ist wohl nicht mein bester Tag, was Feingefühl angeht.« Er machte eine eindeutige Handbewegung und es wurde klar, dass sich diese Bemerkung auf den Zwist mit seiner Frau bezog. »Wenn ich mehr weiß, erfahren Sie es als erster, Calhey.«

In diesem Moment läutete es an der Tür.

»Ah, das wird Highsmith sein.« Hubert erhob sich hektisch von seinem Platz und verließ den Raum. Kurz darauf erschien das freundlich lächelnde Gesicht seines Assistenten im Türrahmen; er trug eine Aktenmappe unter dem Arm.

»Guten Morgen, allerseits« begrüßte er die Anwesenden.

Grace und Jack erwiderten den Gruß freundlich. Jack schätze den schlaksig wirkenden Steve Highsmith auf Ende zwanzig. Er hatte stoppelige, rotbraune Haare, ein schmales Gesicht und offensichtlich in seiner Jugend ein Akneproblem.

»Das sind Mister Calhey und Miss Martins«, erklärte Hubert. Sie gaben sich die Hand.

»Setzen Sie sich, Steve. Trinken Sie einen Tee.«

Highsmith nahm das Angebot seines Chefs dankend an, während er seinen Mantel abstreifte und sich dann zu den anderen Gästen auf das Sofa sinken ließ. Nachdem die Runde nun komplett war, ruhten die Augen der Anwesenden gespannt auf dem Neuzugang.

»Nun, was gibt’s zu berichten?« fragte Hubert und goss Tee in eine leere Tasse.

»Tja, von den Kollegen in Lilles habe ich nicht viel erfahren.«

Hubert sah sich in seiner Abneigung gegenüber der französischen Polizei bestätigt und grummelte leise. »Wir haben gerade über den Fall Perrant gesprochen. Aber das mit seinem Flugzeugabsturz kann natürlich auch ein Zufall sein.«

Highsmith zeigte ein hintergründiges Lächeln und schüttelte den Kopf. »Möglich«, entgegnete er. »Aber dann ein sehr großer.« Dann öffnete er den Deckel der Mappe auf seinem Schoß und verkündete aus seinen Notizen: »Philippe Perrant ist, oder besser war, Chef eines Konzerns, der sich mit der Herstellung von medizinischen Geräten zur Aufbereitung von Blut für die Infusionstherapie beschäftigt.« Er sah auf und blickte in drei fragende Gesichter, was allerdings nicht anders zu erwarten war.

»Und…?« fragte Hubert.

»Diese Geräte nutzen Bauteile, die hier in Großbritannien hergestellt werden.«

»Lassen Sie mich raten: Von den Moore Enterprises«, folgerte Jack.

»Exakt. Aber das wirklich Interessante ist…«, der junge Beamte machte eine rhetorische Pause und die Anwesenden hatten das Gefühl, dass er sie richtig genoss. »Dass Monsieur Perrant laut seinem Sekretariat im März eine zehntägige Urlaubsreise ins Ausland angetreten hatte. Ziel: Unbekannt.«

Hubert blähte die Backen und ließ dann die Luft aus dem Mund entweichen. Er machte dabei ein Geräusch wie ein kaputter Luftballon.

Auch Jack und Grace wechselten einen stummen Blick des Erstaunens.

»Was heißt das denn jetzt?« fragte Grace, die ein wenig den Faden verloren hatte, da sie sich von dem vielen Kitsch um sich herum etwas abgelenkt fühlte.

Hubert rutschte in seinem Sessel nach vorne. »Nun, wir haben hier offenbar nicht nur eine wichtige geschäftliche Verbindung zwischen Moore und Perrant gefunden, sondern auch Parallelen, was die Zeit vor dem Tod der beiden Personen angeht.« Er machte eine Pause, dann rief er plötzlich »Patricia!« und die anderen Anwesenden zuckten vor Schreck zusammen. Kurz darauf erschien Mrs Macintosh im Türrahmen. Sie trug inzwischen eine rosafarbene Küchenschürze mit großen lila Blumen.

»Was gibt es, Schatz?« frage sie, wobei die harte Betonung auf ›Schatz‹ keinen Zweifel über ihre momentane Abneigung gegen ihren Mann aufkommen ließ.

»Bring mir bitte meine Zigaretten! Sie liegen im Arbeitszimmer.«

Ohne ein weiteres Wort, nur von einem leisen Knurren begleitet, machte sie kehrt und verschwand wieder.

Hubert brauchte jetzt Nikotin, um seine grauen Zellen zu noch mehr Höchstleistungen antreiben zu können.

Jack und seine Freundin wechselten einen unauffälligen Blick und waren sich stumm einig, wie amüsant dieser kleine kalte Ehekrieg war. Lediglich Highsmith schien davon bisher nichts mitbekommen zu haben oder er übersah es einfach höflich.

»Wir sollten unbedingt herausfinden, wer dieser LJM ist«, schlug er vor und erntete einhellige Zustimmung.

»Richtig«, entgegnete Hubert. »Wenn Perrant ebenfalls eine Einladung von LJM erhalten hatte, kann er oder sie uns die nötigen Antworten geben. Haben Sie von Perrants Sekretärin diesbezüglich noch irgendwelche Hinweise erhalten?«

Highsmith schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, weder von ihr noch von seiner Witwe oder den Hausangestellten.« Er war an diesem Morgen schon sehr fleißig gewesen und hatte die Telefonrechnung seiner Dienststelle mit seinen Auslandsgesprächen in astronomische Höhe getrieben.

»Von einer Einladung wusste niemand etwas, aber auch nicht, wohin er verreist war. Allerdings soll er nach seiner Rückkehr zeitweise recht distanziert gewirkt haben.«

»Kommt mir bekannt vor«, sagte Jack missmutig.

»Na schön.« Macintosh klopfte sich ungeduldig auf die Schenkel und sah zur Tür. Wo blieben nur die Zigaretten? Dann wandte er sich an Jack. »Wir sollten uns jetzt aber erst mal auf Mister Patterson konzentrieren. Vielleicht kann er uns ja schon ein paar Antworten liefern.«

Patricia Macintosh kam zurück und reichte ihrem Mann sein Zigarettenetui. Mit den trockenen Worten »Rauchen gefährdet die Gesundheit« entfernte sie sich wieder.

»Sie hat Recht«, sagte Hubert locker und bot zunächst seinen Gästen eine Zigarette an. »Aber nicht so sehr wie sie selbst.«

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