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13.37 Uhr

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Zehn Minuten später sah Kowalsky einen völlig fertigen Jack Calhey wieder an seinem Schreibtisch Platz nehmen.

»Jack, was ist denn los, um Himmelswillen?« Er sah, dass sein Kollege sein Handy fest umklammert hielt; seine Knöchel traten weiß hervor. Sein Gesichtsausdruck verriet Kowalsky, dass er jetzt besser keine weiteren Fragen stellen und ihn lieber in Ruhe lassen sollte. Gerade, als er sich wieder seinem Exposé widmen wollte, sagte Jack mit rauer Stimme:

»Mein bester Freund hat sich umgebracht.«

Kowalsky zog sich unwillkürlich seine Brille vom Gesicht und blickte Jack mit geweiteten Augen an. »Was? Wow. Das... tut mir Leid für dich«, stammelte er unbeholfen. Er konnte zwar herrlich ausschweifend über Mord und Todschlag, Vergewaltigung und Bürgerkrieg schreiben, aber in diesen persönlichen Dingen war er nicht sehr gut. Sein Job hatte ihn wohl abgestumpft. In diesem Moment erinnerte er sich an die eine E-Mail des Wirtschaftsredakteurs, die vor einer Viertelstunde angekommen war.

»War dein Freund dieser Byron Moore?« fragte er leise, und hoffte gleichzeitig, Jack würde es erst gar nicht hören.

»Ja.«

Kowalsky kannte Byron Moores Namen nur aus Wirtschaftsmeldungen. Er war kein Mensch, den man als prominent bezeichnen würde, aber er war in gewissen Kreisen eine Größe. Es wunderte ihn etwas, dass dieser Mann Jacks Freund sein sollte. Jedoch arbeitete er erst seit etwa fünf Wochen mit ihm in einem Raum und wusste noch nicht sehr viel von seinem Kollegen.

Jack selbst dachte an Marthas Verzweiflung und an ihre Schilderungen über das, was passiert war. Es war für ihn ein umso größerer Schock, da er doch gerade mal vor 36 Stunden zuletzt mit Byron gesprochen, mit ihm gelacht und ihm freundschaftlich auf die Schulter geschlagen hatte. Als er diese Stunden vor seinem geistigen Auge Revue passieren ließ, kam ihm auch wieder das merkwürdige, undefinierbare Verhalten in den Sinn, das Byron an den Tag gelegt hatte. Zunächst unterschwellig und dann ganz offensichtlich, als Jack ihn nach seiner Urlaubsreise gefragt hatte. Hatte er selbst vielleicht seinen besten Freund auf dem Gewissen? Hatte er mit seiner Fragerei Byron an ein traumatisches Erlebnis erinnert? Schnell wies er diese Gedanken wieder von sich. Nein, er hatte sich sicherlich nichts vorzuwerfen, außer vielleicht, Signale der Hilflosigkeit seines besten Freundes nicht erkannt zu haben. War es doch die Einsamkeit, die letztendlich über ihn gesiegt hatte? Aber warum jetzt? Warum nicht schon früher oder in zwanzig Jahren? In Jacks Kopf drehte sich alles.

Durst. Seine Lippen waren spröde, seine Zunge fühlte sich trocken an. Er öffnete die Schublade seines Aktencontainers, nahm die Flasche Scotch heraus und stellte sie vor sich auf den Tisch. Es war ganz und gar nicht seine Art, während der Arbeitszeit zu trinken. Die Flasche war noch ungeöffnet, ein Geschenk seiner Kollegen zu seinem Geburtstag. Kowalsky beobachtete stumm, wie Jack die Flasche anstarrte und scheinbar abwog, ob er sie öffnen sollte. Er selbst hätte wohl keine Sekunde gezögert. Wie in Zeitlupe griff Jack nach dem Flaschenhals. Er riss die lächerliche kleine, goldene Schleife ab, öffnete den Deckel und setzte die Flasche an den Mund. Ein wenig von dem Whisky rann durch seine Kehle. Dann etwas mehr. Er brannte. Das Zeug brannte. Jack musste husten. Es war ein sehr starker Scotch, den man ihm da geschenkt hatte. Aber er brachte ihn auch durch den brennenden Schmerz, den er in seinem Hals verursachte, wieder zu klarem Verstand. Die Gedanken, die er sich machte, führten zu nichts, das wurde ihm jetzt schnell klar. Er hatte kaum Informationen über Byrons Tod und auch Martha wollte ihm verständlicherweise nicht alles am Telefon haarklein erzählen, zumal er in ihrer Stimme den Schock gespürt hatte, unter dem sie stand.

Es drängte ihn, etwas zu unternehmen. Er wollte zu Byrons Haus fahren, mit Martha sprechen, die Umstände seines Freitods klären und noch so vieles mehr. Zuerst galt es aber, nichts Unüberlegtes zu tun. Er musste professionell bleiben, als Freund Byrons und als Journalist. Irgendwie war es für ihn selbstverständlich, die Umstände von Byron Moores Tod zu klären, Selbstmord hin oder her. Für sich, für Martha und für die Öffentlichkeit. Ja, tatsächlich auch für die Leser seiner Zeitung würde er das Schicksal seines Freundes offen legen, wenn es ihm gelänge. Warum? Auf diese Frage hatte er auch noch keine Antwort, als er Martha Keller wieder gegenüber stand.

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