Читать книгу totreich - J.P. Conrad - Страница 24
20.07 Uhr
Оглавление»Entschuldigen Sie die späte Störung, Mister Calhey«, sagte der schnaufende Steven Highsmith zur Begrüßung, nachdem er sich ins oberste Stockwerk geschafft hatte.
Jack ließ ihn ein. »Was treiben Sie denn hier?« fragte er und sein Herzschlag fuhr langsam wieder auf einen normalen Takt herunter.
»Können wir uns vielleicht irgendwo setzen?« Highsmith sah sich suchend um. Jack deutete in Richtung Esszimmer.
»Es ist mir wirklich sehr unangenehm, Sie so spät noch zu belästigen.«, beteuerte der junge Kriminalbeamte nochmals und nahm am Tisch Platz. Der Umstand, dass Jack ihm im Hausmantel und mit einem von Übermüdung gezeichnetem Gesicht gegenüber saß, schien ihm die Situation nicht weniger unangenehm oder einfacher zu machen.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten?« fiel Jack gerade noch ein zu fragen, obwohl er schon vollkommen von dem eingenommen war, was jetzt folgen würde.
»Danke, nein. Weswegen ich also hier bin…« begann Highsmith und atmete nochmals tief durch. Die vier Stockwerke steckten auch ihm in den Knochen, wie jedem, der den Weg durch das Treppenhaus nicht täglich nahm. »Der Inspektor hat eine neue Spur.«
Jack wurde hellhörig.
»Jemand erwartet auf dem heute Abend in Harlow stattfindenden Wohltätigkeitsball den ominösen Mister Black.«
»Black? Wirklich?« Er brauchte keine Sekunde zu überlegen, der Name war ihm sofort wieder von der Einladungskarte an Byron präsent.
Highsmith nickte. »Auch wenn es recht kurzfristig ist…«, erklärte er, sichtbar peinlich berührt. »Ich soll Sie persönlich abholen und unverzüglich dorthin bringen.«
»Wieso mich?« Mit einem Mal fiel bei Jack der Groschen: Es war der Wohltätigkeitsball, auf dem Grace heute Abend war. Und folgerichtig erklärte Highsmith:
»Weil die Polizei nach wie vor offiziell keine Ermittlungen durchführt, es Ihnen aber ein Leichtes sein wird, dort eingelassen zu werden, da der Ball vom Vater Ihrer Freundin veranstaltet wird. Der Inspektor erwartet uns beide ab neun Uhr in Harlow. Ich bin persönlich zu Ihnen gekommen, weil ich weiß, dass Sie ja momentan keinen fahrbaren Untersatz haben.«
Jack überlegte kurz. »Ist das nicht zu riskant? Ich bin doch offiziell tot, oder?«
Highsmith winkte ab. »Nehmen Sie das nicht so wörtlich. Wir wollen nur Patterson in diesem Glauben lassen und der ist in London. Wir wissen ja nicht einmal, ob er mit der Sache um Black und LJM etwas zu tun hat.«
Jack wusste nicht, ob ihn das wirklich überzeugen konnte. Andererseits bat man nun um seine Hilfe. »Wie spät ist es?« fragte er und sah auf seine Armbanduhr.
»Keine Panik, erst kurz vor halb neun. Ich darf also mit Ihrer Unterstützung rechnen?«
»Selbstverständlich«, versicherte Jack. »Eine Hand wäscht die andere.«
»Dann sollten Sie sich jetzt umziehen, damit wir losfahren können.«
Jack stimmte zu und ohne weiter großartig über die absonderliche Situation nachzudenken, sprang er auf und ging ins Schlafzimmer.
»Ich hoffe, Sie besitzen einen Smoking, Mister Calhey«, rief Highsmith ihn nach.
Er besaß in der Tat einen und heute sollte er ihn auch zum ersten Mal tragen.
»Es ist immer gut, einen Bratenrock im Schrank zu haben, man weiß ja nie!« hatte Grace zu ihm gesagt und er war ihr dankbar dafür, dass sie wieder einmal, wie so oft, Recht gehabt hatte. Er hoffte nur, dass die vielen Ausflüge in diverse Fast-Food-Restaurants seit dem Kauf sich nun nicht rächen würden. Glücklicherweise passten Hose und Jackett jedoch noch perfekt.
Während er sich anzog, gingen ihm tausend Dinge durch den Kopf und mit einem Mal war er wieder hellwach. Nach einer Rekordzeit von siebzehn Minuten - er hatte es sogar alleine geschafft, die Fliege zu binden - betrat Jack gestriegelt und gebügelt den Flur, wo Highsmith bereits auf ihn wartete.
»Wie sehe ich aus?«
»Perfekt«, war sein knapper Kommentar, dem es zu vertrauen galt, dann sah Highsmith nochmals auf die Uhr. »Wir sollten jetzt gehen. Mein Wagen steht direkt vor der Tür.«
»Moment noch.« Jack ging schnell ins Arbeitszimmer und holte sein altes Ersatzhandy vom Schreibtisch, das er bereits am Morgen zum Aufladen wieder hervor gekramt hatte. Glücklicherweise hatte er damals auf eine zweite SIM-Karte bestanden und daher war er nun, nachdem sein eigentliches Mobiltelefon mit samt seinem Wagen verbrannt war, wenigstens unter der bekannten Nummer erreichbar. Außerdem fühlte er sich wesentlich wohler, wenn er selbst jederzeit Hilfe rufen konnte. Er kam zurück in den Flur, schnappte sich seinen guten Mantel und verließ dann gemeinsam mit Steve Highsmith die Wohnung.
Macintoshs Assistent fuhr einen heißen Reifen mit seinem kleinen Vauxhall und für Jacks Geschmack etwas zu ruppig. Nachdem sie bereits einige Minuten schweigend nebeneinander gesessen hatten, fragte Jack:
»Warum haben Sie mich eigentlich nicht schon telefonisch vorgewarnt, dass ich heute noch das Tanzbein schwingen soll?«
Highsmith zuckte mit den Schultern. »Konnte ich nicht. Unser Superintendent saß mir die ganze Zeit im Genick. Ich glaube, er ahnt was von meinen Nebenermittlungen für Macintosh. Da bin ich nach Dienstschluss lieber gleich rübergefahren.« Er machte eine kurze Pause und schien abzuwägen, ob er noch mehr sagen sollte. »Ich gebe zu, dass es Macintoshs Idee war, Sie direkt vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das sollte Sie leichter dazu bewegen, mitzuspielen«, erklärte er dann.
Das klang einleuchtend, auch wenn sich Jack zwischenzeitlich wie ein lebender Köder vorkam. Aber er stand mittlerweile auch tief in Macintoshs Schuld. Dass sich er Inspektor so für den Fall aufopfern würde, hätte er nie für möglich gehalten. Andererseits, so wie er ihn einschätzte, war es auch eine gehörige Portion beruflichen Ehrgeizes, die den Beamten anzutreiben schien.
Nach gerademal einer Viertelstunde passierten sie schon das Ortsschild von Harlow und Jack bereitete sich mental auf sein Eintauchen in die Welt der Reichen und Schönen vor. Noch vor weniger als einer Stunde hatte er schläfrig und im Hausmantel auf dem Wohnzimmersofa vor dem Fernseher gesessen und jetzt war er im Begriff, im Abendanzug auf einen Wohltätigkeitsball zu gehen. Adrenalin pumpte bereits seit einer Weile durch seinen Körper und gab ihm die nötige Energie, die mittlerweile dreizehnte Stunde, die er nach weniger als vier Stunden Schlaf auf den Beinen war, zu überstehen. Er klappte die Sonnenblende nach unten und besah sich in dem kleinen Spiegel nochmals prüfend seine sorgsam zu einer kunstvollen Tolle frisierten Haare.
»Gar nicht mal so übel, Jack!« Er hatte es sogar fertig gebracht, die Wunde auf seiner Stirn zu kaschieren.
»Gleich haben wir’s geschafft«, verkündete Highsmith selbstzufrieden und bog in die Zielgerade ein.
Vor ihnen, am Ende der Oxford Street, lag das großzügige und hell erleuchtete Anwesen der Harlow Charity Society, dem Ort, wo der Ball stattfand und auch Grace sich aufhielt. Sie hatte ihn bereits früher mehrfach gefragt, ob er sie begleiten wolle, aber er hatte immer dankend abgelehnt und sich bei seiner Entscheidung auf seinen nicht korrespondierenden Stil berufen. Es war einfach nicht seine Welt und umso mehr erstaunte es ihn, dass er jetzt, neben seiner inneren Anspannung, so etwas wie Vorfreude verspürte. Es würde auf alle Fälle eine angenehme Überraschung für Grace sein, wenn sie ihn dort treffen würde, noch dazu im feinen Zwirn.
Highsmith lenke den Wagen abrupt an den Straßenrand und hielt hinter einem alten Rover. Dessen Fahrertür öffnete sich und Hubert Macintosh stieg aus.
»Schön, dass Sie es so kurzfristig noch einrichten konnten«, begrüßte er Jack händeschüttelnd und nickte Highsmith anerkennend zu. »Kommen wir gleich zur Sache: Wie es aussieht, gibt es für uns da drin ein paar Antworten.« Macintosh deutete auf den viktorianischen Altbau am Ende der Straße. »Versuchen Sie zunächst, Miss Martins zu finden. Vielleicht kann sie Sie mit ihrer Zielperson bekannt machen. Der Mann, den Sie finden müssen, heißt Benjamin Walston.«
Ein Kloß bildete sich in Jacks Hals. Er kannte den Namen aus der Zeitung; Walston war ein namhafter Privatbankier.
Der Inspektor bemerkte Jacks Unsicherheit. »Keine Angst, Sie schaffen das schon. Sie sehen gut aus, genau richtig für die Party«, sagte er aufmunternd und klopfte ihm auf die Schulter. »Also: Dieser Walston hat ebenfalls eine Einladung von LJM erhalten und will heute Abend hier diesen Mister Black treffen, um ihm zu- oder absagen.«
»Woher wissen Sie das?«
Hubert holte kräftig Luft. »Ganz einfach: Nach der Sache mit Perrant habe ich mir nochmals Moores Notizbuch vorgenommen und alle angerufen, die ins Schema passten. Zum Glück waren das nicht allzu viele. Sie sollten sich bei mir melden, sofern sie eine ungewöhnliche Einladung erhalten würden. Fast alle hielten es wohl eher für einen Scherzanruf. Bis auf Mister Walston. Und der hat dann auch tatsächlich heute Nachmittag zurückgerufen.« Hubert hatte, um sicherzustellen, dass der Superintendent nicht ausversehen einen unerwünschten Rückruf erhielt, die Telefonate von seinem eigenen Handy geführt und auch nur seine Nummer und Highsmith’ direkte Durchwahl angegeben.
Jack verstand. »Gut, dann werde ich mich mal in die Höhle der Partylöwen begeben«, sagte er, machte kurze Atemstöße und lockerte seine Glieder, als müsste er gleich in einen Boxring steigen.
»Hier, nehmen Sie die.« Hubert drückte ihm eine kleine Digitalkamera in die Hand. »Wenn Sie den Mann identifiziert haben, versuchen Sie sicherheitshalber, ihn zu knipsen. Möglich, dass wir ihn unter anderem Namen in unserer Datenbank haben.«
»Okay«, entgegnete Jack zögernd und verstaute die Kamera in seiner Innentasche.
»Gut. Wir treffen uns dann nachher im Lions Pub.« Hubert deutete auf ein Gebäude mit einem beleuchteten grünen Schild, am anderen Ende der Straße. »Steve, fahren Sie ihn bis vor den Eingang, das wirkt etwas glaubwürdiger.«
Highsmith sah ihn ungläubig an. »In dem Wagen?« fragte er erstaunt, doch Hubert blieb gelassen.
»Natürlich. Allemal besser, als zu Fuß hier die Straße lang zu schlendern. Der Türsteher wird davon wahrscheinlich ohnehin keine Notiz nehmen, aber man weiß ja nie.«
Gesagt getan, entstieg Jack wenige Minuten später Highsmith’ kleinem Vauxhall und ging mit starkem Herzklopfen die Treppe zum Haupteingang hinauf.