Читать книгу totreich - J.P. Conrad - Страница 18
Dienstag, 13. April
10.15 Uhr
ОглавлениеJack schielte auf die Uhr am Armaturenbrett und stellte zufrieden fest, dass er pünktlich sein würde. Die Schranke fuhr mit einem leisen Surren nach oben; er konnte passieren. Der Pförtner nickte ihm nochmal freundlich zu, als er wieder anfuhr. Als er seinen Mustang auf das Gelände der Moore Enterprises lenkte und die weitläufigen, voll verglasten Gebäudekomplexe sah, wurde Jack zum ersten Mal vor Augen geführt, wie geschäftstüchtig und erfolgreich Byron tatsächlich gewesen war. Er hatte ihn immer nur im Rahmen von Partys oder alleine in seiner Wohnung, später im Herrenhaus in Sawbridgeworth getroffen oder war mit ihm am Wochenende auf Wandertour durch den Lake District gegangen. Das, was Byron durch Geschäftssinn und großen Fleiß erschaffen hatte und das sich hier aus Stein, Stahl und Glas gebaut vor ihm als dessen Erbe auftat, war Jack dagegen bisher entgangen.
»Du warst schon ein genialer Kerl. Verdammt, das warst du.«
Byron war kein Angeber gewesen und hatte mit dem, was er besaß, nie geprotzt. Jetzt erkannte Jack die große Verantwortung, die auf Byrons Schultern gelegen hatte, angesichts der Fülle an Mitarbeitern, die es brauchte, ein solches Unternehmen zu betreiben.
»Halbleiter…«, murmelte er vor sich hin, als er sich beeindruckt und fasziniert umsah, während er den Mustang auf die Tiefgarage zusteuerte. Dass diese kleinen Dinger sehr wichtig waren, wusste er. Aber dass mit deren Herstellung und Vertrieb ein solcher Aufwand verbunden war und man davon auch offenbar gut leben konnte, empfand er in diesem Moment als etwas absurd. Kleine Plättchen, deren Hauptbestandteil einfacher Sand war und die die Welt fest im Griff hatten. Lächerlich und doch wahr.
In der lichtdurchfluteten, umtriebigen Empfangshalle wurde Jack von einer freundlichen und für seinen Geschmack etwas zu konservativ gekleideten dunkelhäutigen jungen Dame begrüßt. Sie hatte ihn zielsicher angesprochen, ihm einen Besucherausweis an das Revers gesteckt und ihn anschließend in einen großen, kühl wirkenden Tagungsraum im achtundzwanzigsten Stockwerk geführt. Dort saß er nun alleine am stattlichen Konferenztisch und drehte Däumchen vor einer dampfenden Tasse Kaffee. Sein Gesprächspartner Thomas Patterson, der neue erste Mann des Unternehmens, ließ auf sich warten.
Jack trug seinen besten und wie er festgestellt hatte, einzig vorzeigbaren Geschäftsanzug, der ihn an einigen Stellen unangenehm kniff. Er versuchte sich, so gut es ging, mental auf dieses Gespräch vorzubereiten. Augenscheinlich war dieser Mister Patterson der größte Nutznießer vom Tod Byron Moores. Aufstieg zum CEO, sicher verbunden mit einer saftigen Gehaltserhöhung - das klang sogar für Jack verführerisch.
Das Geräusch einer sich öffnenden Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ein hoch gewachsener, schlanker Mann mit kurzen schwarzen Haaren auf einem markanten, eckigen Kopf mit einem entschlossen wirkenden Gesicht betrat festen Schrittes den Raum. Jack wusste aus seinen Recherchen, dass Patterson Mitte vierzig war, eine Frau und zwei kleine Töchter hatte und bereits seit vielen Jahren für Moore arbeitete. Er kam ohne Umschweife auf Jack zu, der sich blitzartig von seinem Stuhl erhob. Sie gaben sich die Hand.
»Mister Calhey, guten Tag. Thomas Patterson.«
Jack nickte höflich und nahm auf eine kurze Geste Pattersons hin wieder Platz. Nachdem dieser sich über Eck an das Kopfende des Tisches gesetzt hatte, sagte er:
»Es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten. Aber hier sind im Moment aufgrund von Mister Moors plötzlichem Tod einige heikle Umstrukturierungen im Gange und da ist meine Anwesenheit ein wichtiger Faktor, um alles am Laufen zu halten.«
»Das kann ich mir vorstellen, du Erbschleicher.«
»Wie man mir sagte, sind Sie ein enger Freund von Mister Moore gewesen?«
Jack bejahte die Frage.
Patterson schüttelte betrübt den Kopf. »Eine schreckliche Geschichte. Niemand von uns hätte so was erwartet.« Eine kurze nachdenkliche Pause folgte. Dann fragte er höflich: »Nun, wie kann ich Ihnen weiterhelfen, Mister Calhey?«
»Ich versuche, für mich eine plausible Erklärung zu finden, warum Mister Moore sich so plötzlich und ohne Vorwarnung das Leben genommen hat. Ich überlege und überlege, aber ich finde keine Antwort. Es gab keinen Abschiedsbrief, nichts. Das macht mich fertig. Verstehen sie, was ich meine?« Er drückte etwas mehr auf die Tränendrüse, um seine investigativen Absichten zu verschleiern.
»Ich denke schon«, sagte sein Gegenüber nur. Pattersons ungeduldige Miene signalisiert Jack, zum Punkt zu kommen. Also fuhr er fort:
»Deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen und Sie fragen, ob es hier in seinem Betrieb Probleme gab? Oder vielleicht hat er ja mit ihnen über irgendwelche privaten Dinge gesprochen, die ihn bedrückten?«
Patterson überlegte kurz. Er beugte sich nach vorne und faltete die Hände auf dem Tisch. »Mister Calhey, die Beziehung zwischen Mister Moore und mir war absolut professionell. Ich kann Ihnen nur aus dieser, rein geschäftlichen Sicht heraus sagen, dass ich an ihm keinerlei Veränderungen festgestellt hatte.« Nach einer kurzen Pause sagte er: »Vor ein paar Tagen hatte er mich nach längerer Abwesenheit von Zuhause aus angerufen, sich nach verschiedenen Dingen erkundigt, Anweisungen gegeben und so weiter. Naja, Sie wissen, was ich meine. Auch da ist mir nichts aufgefallen.«
Jack erinnerte sich auch an eine große Telefonkonferenz, die Martha Keller erwähnt hatte. Warum brachte er die nicht zur Sprache?
»Wenn er aber in irgendeiner Form seelische oder sonstige private Probleme gehabt hat, hätte er sich damit sicherlich nicht an mich gewandt.«
»Sie sind mir als sein engster Vertrauter genannt worden«, warf Jack ein.
Patterson nickte. »Das stimmt auch. Aber wie gesagt, nur was die Führung des Unternehmens und unsere wirtschaftlichen Interessen anbelangt.«
Jack ließ das Gesagte mit einem verstehenden Brummen nachwirken und trank von seinem Kaffee.
»Sie sagten ›nach längerer Abwesenheit‹. Das ist auch so ein Punkt, den ich etwas ungewöhnlich fand«, führte er weiter aus und strich sich mit der Hand über das Kinn. »Als er bei unserem letzten Treffen sagte, er hätte gerade einen zehntätigen Urlaub hinter sich, war ich schon etwas überrascht. Das passte, meiner Auffassung nach, irgendwie nicht zu ihm. In all den Jahren, die ich ihn kannte, hat er nie Wert auf Urlaub gelegt oder überhaupt die Zeit dafür gefunden.« Jack glaubte in diesem Moment fast, so etwas wie Nervosität in Pattersons Augen zu erkennen. Doch er konnte sich auch irren.
»Worauf wollen Sie hinaus, Mister Calhey?« Der Mann ließ die Daumen seiner gefalteten Hände rotieren. »Es steht jedem Menschen zu, auch einmal abzuschalten. Auch wenn er noch so sehr mit seiner Arbeit verheiratet ist.«
»Natürlich. Allerdings, als ich ihn auf seinen Urlaub angesprochen habe, hat er nur ausweichende Antworten gegeben. Sie wissen nicht zufällig, wohin er gefahren war?«
Patterson überlegte nicht. »Nein, tut mir leid.«
»Er hat Sie also nicht darüber informiert, wo er erreichbar sein würde?«
»Nein. Er hatte ausdrücklich betont, dass er nicht zu sprechen sein würde.«
»Und das fanden Sie nicht ungewöhnlich?«
»Doch, das gebe ich zu.«
Jack wollte gerade etwas erwidern, als sich jemand hinter seinem Rücken räusperte. Es war die junge Frau, die Jack hereingebeten hatte. »Super Timing.«
Patterson sah auf. »Eve, was gibt es?«
»Verzeihen Sie, Sir. Es ist gleich elf Uhr. Ihr Termin mit Mister Ashton.«
Er sah auf seine Armbanduhr und dann Jack entschuldigend an. »Ja, wir müssen unser Gespräch hier leider beenden, fürchte ich. Hat mich gefreut.« Mit einem Mal wirkte der Mann sichtbar nervös und Jack fragte sich, warum. Sie standen auf und reichten sich kurz die Hand.
»Ich finde es wirklich lobenswert, wie Sie sich in dieser Sache engagieren, Mister Calhey. Schade, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte.«
Jack zückte noch schnell seine Visitenkarte. »Falls Ihnen vielleicht doch noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
Patterson betrachtete sie kurz und sah das Logo des Loughton Courier. Er runzelte die Stirn. »Sie sind Journalist?«
»Ja, Sir.«
»Hm.« Die Karte verschwand in seiner Tasche. »Also, auf Wiedersehen, Mister Calhey.«
Mit diesen Worten verließ Patterson, nach Jacks Auffassung etwas zu hektisch, den Raum.