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Sonntag, 04. April
17.22 Uhr

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Nach zwei recht unbeständigen Apriltagen mit viel Regen hatte sich das Wetter vorübergehend zum Positiven gewandelt. Jack Calhey heizte in seinem alten Mustang mit offenem Verdeck über die nur mäßig befahrene Landstraße. Der Wind wehte ihm immer wieder eine seiner Haarsträhnen, von denen seine Freundin immer behauptete, sie gehörten auf den Boden eines Friseursalons, vor die Augen. Er genoss diesen Augenblick der Freiheit, der sich in ihm regte. Es hatte etwas nahezu rebellisches. Im Radio lief ›Hot Stuff‹ von den Stones, Jacks Lieblingsband. Es passte alles einfach zusammen und ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht.

Alles in allem hatte er es wirklich gut. Er besaß einen angenehmen, abwechslungsreichen und vor allem nicht allzu stressigen Job als Journalist und Redakteur bei einem kleinen Tageblatt, eine attraktive und kluge Freundin, die obendrein noch von Haus aus wohlhabend war und – seinen weißen Mustang.

Jack drehte die Lautstärke noch etwas auf, wodurch die Bässe ihr Äußerstes gaben und dieses besondere Gefühl in ihm seinen Höhepunkt erreichte. Ja, es ging ihm wirklich gut. Hier und jetzt, in diesem Augenblick spürte er es und dieses positivste aller Gefühle konnte durch nichts getrübt werden. Er dachte mit Vorfreude an den Besuch, den er gleich seinem besten Freund abstatten würde und den er so lange nicht gesehen hatte.

Nachdem er die Ortschaft Sawbridgeworth passiert und die letzte der wenigen Kurven auf der Straße genommen hatten, kam das Ziel seiner Fahrt in Sicht: Das großzügige Anwesen von Byron Moore mit dem Herrenhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert. Als er sich dem reichlich verzierten, massiven Eisentor näherte, öffnete sich dieses wie von Geisterhand. Jack ließ es sich nicht nehmen, nochmals zu beschleunigen und den Motor laut aufheulen zu lassen.

Mehr als sieben Monate war es nun her, seit er das letzte Mal diesen Weg gefahren war, um Byron zu besuchen. Sieben Monate waren zwar nichts im Vergleich zu manch anderen langen Jahren oder Jahrzehnten, die gute Freunde durch Wiegungen des Schicksals getrennt waren, aber für Jack war es lange genug. Die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach und mit kaum einem anderen Menschen konnte er sich stundenlang so angeregt unterhalten, wie mit Byron. Was ihn an dieser Freundschaft immer wieder faszinierte, war die Tatsache, dass sie trotz der so unterschiedlichen Lebenswege, die sie nach der gemeinsamen Schulzeit gegangen waren, und den daraus resultierenden gegensätzlichen gesellschaftlichen Stellungen, glänzend funktionierte. Er, Jack, war ein mittelmäßiger Journalist bei einer mittelmäßigen Zeitung mit einem mittelmäßigen Gehalt, der als Quereinsteiger ohne richtige Ausbildung einfach Glück gehabt hatte. Byron hingegen hatte nach der Schule studiert, hart geschuftet und war ins Big Business eingestiegen. Jack wusste gar nicht mal genau, in wie vielen Geschäftszweigen er überall seine Finger im Spiel hatte. Man konnte Byron Moore durchaus als Workaholic bezeichnen. Dass er trotz dieser fast 24-Stunden-Arbeitstage und unzähligen Geschäftsreisen pro Jahr ab und zu Zeit fand, sich mit seinem alten Freund zu treffen, war für Jack ein großes Lob. Immerhin hätte er sich genauso gut für eine Familie oder kostspielige Freundinnen Zeit nehmen können.

Familie. Etwas, das für Byron, trotz seiner Genialität und seiner Bildung ein Buch mit sieben Siegeln war, wie er selbst zugegeben hatte; ein Thema, zu dem er nichts Geistreiches sagen konnte, da es ihm an Erfahrung mangelte. Seine Mutter war früh gestorben. Krebs. Und sein Vater, die Leitfigur in seinem Leben, war ihr einige Jahre später gefolgt. Danach hatte sich Byron nur noch in die Arbeit gestürzt. Sich hier und da mal sexuelle Eskapaden geleistet. Mehr aber nicht. Jack hatte oft das Gefühl gehabt, dass die Einsamkeit Byrons einziger, ständiger Begleiter war. Vielleicht war aber auch einfach nur die Lebensweise, für die er sich entschieden hatte, Jack so fremd und nicht nachvollziehbar, war er doch selbst in einer Familie mit drei Brüdern und zwei Schwestern groß geworden und hatte er nun seit mehr als zwei Jahren, nach einer gescheiterten Ehe und einigen, mehr oder weniger amüsanten Affären, seine Grace. Er war niemals einsam. Und er war auch nicht traurig darüber.

Byrons Anwesen bot wie immer ein recht üppiges Bild, was von den idealen Wetterverhältnissen und einem geradezu perfekten Sonnenstand noch unterstrichen wurde. Moores historisches Herrenhaus, das er nach dem Tod seines Vaters von seinem selbst verdienten Geld einem verarmten Lord abgekauft hatte, war wirklich eine Augenweide. Es wirkte als Behausung für einen einzelnen Mann vielleicht etwas protzig mit den Steinsäulen vor dem Treppenaufgang, den mit schwerem Efeu bewachsenen, bräunlich-grau schimmernden Wänden und den Bogenfenstern in den kleinen Seitenflügeln links und rechts. Aber wenn man es sich leisten konnte, warum nicht? Jack hätte sich auch nicht zweimal bitten lassen.

Auf der obersten Stufe der breiten Treppe sah er aus der Ferne eine Person stehen, die ihm zuwinkte. Es war Byron. Direkt unterhalb des Aufgangs brachte Jack seinen Wagen zum Stehen und stieg aus. Sein Freund nahm flink die letzten Stufen und kam direkt auf ihn zu.

»Was ist denn das?« fragte er amüsiert und nickte in Richtung des Mustangs. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben. »Das letzte Mal hattest du doch noch diesen Geländewagen.«

Jack verzichtete ebenfalls drauf, zunächst »Hallo« zu sagen und antwortete stattdessen: »Mit der Karre hab’ ich doch immer nur Probleme gehabt. Und dann tauchte plötzlich dieses Schmuckstück im Netz auf. War ein Wink des Schicksals. Ist zwar ein Linkslenker, aber man gewöhnt sich an alles.«

Byron nickte anerkennend und schritt begutachtend um den Wagen herum. »Baujahr fünfundsechzig, oder?«

»Vierundsechzig.«

»Kompliment, du hast einen guten Geschmack. Wenigstens, wenn es um Autos geht.«

Jack ignorierte diese kleine Spitze, denn er wusste genau, dass Byron auf seinen eher schlampigen Look anspielte. Aber warum sollte er sich, wie sein Freund, immer in einen unbequemen Anzug zwängen? In seinem Job benötigte er äußerst selten einen und das war ihm auch sehr recht.

»Hallo, alter Junge«, sagte Byron nun freudig und eine feste, maskuline Umarmung folgte. Dann packte er seinen Gast am Arm und schob ihn sanft die Treppe hinauf ins Haus. »Jetzt trinken wir aber erst mal einen, was?«

Jack nickte. »Hätte ich nichts dagegen. Ist ja auch immer eine elende Fahrerei, bis man bei dir ist.«

»Jaja, hast du dich mal wieder aufgerafft, alter Mann.« Loughton lag gerade einmal 14 Meilen von Sawbridgeworth entfernt. »Wie lange warst du jetzt schon nicht mehr hier?«

»Sieben Monate.«

Die beiden Männer durchschritten die Eingangshalle und betraten den Salon mit den großen Fenstern, durch die man in den sorgsam gepflegten Park sehen konnte, und mit dem großen Kamin aus schwarzem Marmor. Byron ging direkt zur Bar und bereitete die Drinks vor.

»Sieben Monate. Kommt mir länger vor.«

Jack trat an die Theke und verschränkte die Arme darauf. »Ich glaube, das liegt daran, dass du ständig woanders bist. So ab und an versuche ich ja, dich mal an den Apparat zu kriegen. Da heißt es dann immer: Er ist in Tokio; oder in Paris; oder in New York. Wenn ich immer vom einen Ende der Welt zum anderen jetteten würde, wüsste ich bestimmt auch bald nicht mehr, wann Weihnachten und wann Ostern ist.«

Byron rang sich schwerfällig ein Grinsen ab. »Die letzten Monate waren auch wirklich ziemlich hart. Es kriselt hier und da etwas in meinem Imperium.«

Jack schüttelte innerlich den Kopf. Da stand er einem Mann gegenüber, seinem besten Freund, der gerade zwei Drinks eingoss und der gleichzeitig, wie beiläufig, von ›seinem Imperium‹ sprach. Es wirkte einfach absurd.

»Die Probleme kenn ich«, entgegnete Jack trocken »ist bei mir genau das gleiche.«

Byron sah ihn an und sofort begannen beide zu lachen.

»Klar, ich meine, da sind mein Job, Grace, die Wohnung, der Mustang und – nicht zu vergessen – ein Schwiegervater in spe. Das kann einen auch ganz schön fordern.«

Byron reichte Jack seinen Scotch. »Apropos, habt ihr beiden denn schon übers Heiraten gesprochen? Grace und du, meine ich.«

»Mehr als einmal.«

Es schien für Byron ein interessantes Thema zu sein, denn er hakte weiter nach. »Und? Will sie nicht oder willst du nicht?«

Jack setzte zum Trinken an, hielt aber inne und überlegte kurz.

»Ich würde sagen, wir haben beide Vorbehalte. Ich bin ja bereits vorbelastet und wie du weißt, war meine Scheidung nicht gerade ein Vergnügen.«

»Von der Ehe ganz zu schweigen«, fügte Byron mit einem Augenzwinkern bestätigend hinzu.

»Und Grace ist heiraten noch nicht so wichtig. Sie meint, sie fühle sich dann alt.«

»Neben dir kann sie doch immer nur jung aussehen«, entgegnete Byron amüsiert. Dann wich das Lachen aus seinem Gesicht. »Aber macht es einfach. Sonst endest du noch wie ich.«

»Verzeihung.«

Die beiden Männer fuhren herum. Im Eingang stand Martha, die gute Seele des Hauses Moore. Sie hielt ein Tablett mit Gurkensandwichs vor sich.

»Aaah!« Byron strahlte plötzlich bis über beide Ohren und trat hinter der Bar hervor auf seine Haushälterin zu. »Vielen Dank, liebste Martha. Das wird unserem Freund bestimmt gefallen.« Er nahm ihr das Tablett ab und stellte es auf den großen Glastisch inmitten der Sitzgruppe.

»Guten Tag, Mister Calhey. Es freut mich, Sie wieder einmal bei uns zu sehen. Wie geht es Ihnen?«

»Sehr gut, Martha. Vielen Dank. Und mit einem ihrer berühmten Sandwichs wird es mir gleich noch viel besser gehen.« Er schnappte sich eines der dreieckigen belegten Brote, während er sich schwungvoll auf die Couch sinken ließ. Mit seinem Whiskey prostete er ihr stumm zu. Und so leise, wie sie gekommen war, zog die Haushälterin die Türflügel hinter sich zu und war wieder verschwunden.

»Ich gebe zu«, sagte Jack, während er noch den ersten Bissen des Sandwichs kaute und das Brot zwischen den Fingern drehte. »dass diese Dinger der wahre Grund sind, warum ich überhaupt immer wieder zu dir in die Pampa fahre.«

Byron hatte inzwischen in seinem Sessel gegenüber dem Kamin Platz genommen. »Das weiß ich doch. Aber du kennst auch die Gegenleistung, die du dafür erbringen musst. Lass uns quatschen.«

Jack nickte und schob sich bereits den letzten Zipfel des Gurkensandwichs in den Mund. Natürlich würde er sich mit Byron unterhalten. Der einsame Millionär, der zwar viele Feinde und Neider, aber eben keine echten Freunde hatte, außer Jack, sehnte sich geradezu nach diesen gelegentlichen, von keinerlei gesellschaftlichen oder politischen Zwängen geprägten Unterhaltungen. Und Jack wusste das genau. Mehr als einmal hatte er sich dabei ertappt, sich in der Rolle eines Psychiaters zu sehen, der einfach nur zuhörte, aber gerade damit besonders gut einen Schmerz heilen konnte. Der Schmerz der Einsamkeit musste sehr wehtun.

Doch diesmal war es anders. Jack hatte Byron genau aus den Augenwinkeln beobachtet und dem Ton seiner Stimme gelauscht. Etwas an seinem Freund hatte sich verändert. Er konnte nur nicht genau ausmachen, was es war. Aber er war ja auch erst seit zwanzig Minuten dort. Vielleicht würde er im Laufe des Abends noch dahinter kommen.

»Also, Junge, jetzt erzähl mal. Was gibt’s Neues beim Loughton Courier?« Byron schlug die Beine übereinander und machte es sich offensichtlich für eine längere Abhandlung Jacks über das aufregende Leben in dem kleinen Zeitungsverlag gemütlich. Natürlich gab es da nicht wirklich viel zu erzählen.

»Tja, was gibt’s Neues?« wiederholte Jack und schaute kurz zur Decke. »Wir haben seit letztem Herbst einen neuen Verlagschef. Newton Starling. Ein richtiger Sklaventreiber.«

»Heißt das, dass du jetzt zum ersten Mal in Deinem Leben richtig arbeiten musst?« Sie lachten. »Was ist denn aus dem alten geworden? Wie hieß er noch? Bowers?«

»Bowlers. Henry Bowlers«, korrigierte ihn Jack und griff nach einem weiteren Sandwich. »Hat von heute auf morgen aufgehört.«

Byron zog verwundert eine Augenbraue nach oben. »Oh, besserer Job?«

»Er ist gestorben. Herzinfarkt.« Ihr Gelächter hallte in den hohen Mauern des Salons.

»Ich hab’s doch gewusst. Das hektische Treiben bei euch schlägt auf die Gesundheit«, sagte Byron ironisch. »Das ist nichts für altersschwache Rentner. Da müssen so harte Kerle wie Jack Calhey ran!« Er schwang heroisch mit der Faust in der Luft.

Jack grinste schief. »Danke für das Kompliment«, sagte er und wurde dann ernst. »Aber Bowlers war erst zweiundfünfzig. Das ist doch noch kein Alter, um abzutreten. Selbst unser Chef Butterworth ist älter. Ich möchte jedenfalls noch etwas länger warten, bevor ich ins Gras beiße.«

Byron hielt kurz im Kauen seines Sandwichs inne. »Da hast du Recht.«

Jack wusste, dass sein Freund, der nur ein paar Monate älter war als er selbst, ein stressiges Leben führte. Irgendwann würde auch sein Körper rebellieren. Vielleicht schon früher, als ihm lieb war.

Langsam wurde es dunkel draußen und Martha heizte den Kamin an. Wie Jack es vermutet hatte, hatte Byron am meisten zu erzählen. Von seinen internationalen Geschäften, den Problemen an der Börse, von seinen diversen prominenten Bekannten aus Wirtschaft und Politik, und natürlich den weiblichen Bekanntschaften, die aber nie mehr waren, als Bettgespielinnen oder bei offiziellen Anlässen als Begleiterinnen an seinem Arm hingen. Männersachen. Jack hörte sich all dies immer wieder gerne an und war fasziniert. Ein Leben, so unvorstellbar und unerreichbar für ihn selbst, gelebt von einem Mann, dem er vor fast zwanzig Jahren einmal die Nase blutig geschlagen hatte. Auslöser war eine Meinungsverschiedenheit gewesen, die nach dem Genuss einiger Ales eskaliert war. Heute undenkbar.

Nachdem eine Pause entstanden war, wollte Jack die Chance nutzen, seinen Freund nach etwas auszuhorchen, das ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brannte.

»Sag mal, als ich neulich hier angerufen habe, sagte mir Martha, dass du im Urlaub wärst. Da bin ich ja fast vom Stuhl gekippt. Stimmt das? du warst tatsächlich mal privat unterwegs?«

Byron hielt kurz inne und nickte dann zögerlich. »Ja, das stimmt. Mehr oder weniger privat, ja.«

Jack richtete sich etwas auf. Das klang spannend. »Wie lange kennen wir uns jetzt? Zwanzig Jahre? Ich kann mich nicht entsinnen, dass du jemals irgendwo hingeflogen bist, um die Füße hochzulegen. Aber offenbar geschehen noch Zeichen und Wunder. Wo warst du denn?«

Byron antwortete nicht sofort. Wenn Jack es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, seinem Freund wäre das Thema unangenehm.

»Ich war...«, begann er und machte nochmals eine rhetorische, nein, eine verwirrende Pause. »Es war eine spannende Erfahrung. Wirklich.« Er wirkte plötzlich wie in Trance, starrte mit leeren Augen zu Boden.

Jack wusste nicht, wie er reagieren sollte. Hatte er schon früher an diesem Abend ein undefinierbares, seltsames Verhalten an seinem Freund festgestellt, so stand er jetzt vollkommen vor einem Rätsel.

»Mach es doch nicht so spannend«, entgegnete er witzelnd energisch. »Wo warst du?«

Jetzt stand Byron auf und wanderte vor dem prasselnden Kaminfeuer auf und ab, sein Glas in der Hand schwenkend. »Das ist schwer zu erklären...« begann er. »Das war nicht irgend so ein Trip, den man im Reisebüro bucht. Es war eher...« Wieder unterbrach er sich selbst und blieb mitten vor der Feuerstelle stehen, Jack den Rücken zugewandt. Dann fuhr er plötzlich herum und sah seinen Freund mit einer Mischung aus Verärgerung und Nervosität an. »Vielleicht hätten wir gar nicht mit diesem Thema anfangen sollen. Martha kann einfach nicht ihren Mund halten«, sagte er gereizt.

Jack erwiderte seinen Blick mit Unverständnis. »Entschuldige. Ich war doch nur neugierig, wo es dich hin verschlagen hat. Falls ich dir irgendwie dabei auf den Schlips getreten bin...«

Byron reagierte nicht, sah nur stur an Jack vorbei.

»Byron?« Jack wurde energischer. »Was ist denn plötzlich los mit dir? Wenn es so ein Horrortrip war, müssen wir nicht darüber...«

Sein Freund lachte trocken und schüttelte den Kopf. »Nein, es ist doch besser, wenn wir... lass uns einfach das Thema wechseln.«

Jack spürte Unbehagen in sich aufsteigen. Die Atmosphäre hatte sich plötzlich um hundertachtzig Grad gedreht. Es war eine seltsame, surreale Stimmung, die sich im Raum ausbreitete. Als suchte er einen rettenden Anker, sah Jack auf seine Armbanduhr.

»Oje, es ist ja schon halb Eins«, stellte er fest und hätte sich für diese dumme Ausflucht am liebsten selbst geohrfeigt. Die Zeit war jedoch wirklich wie im Fluge vergangen. »Ich glaube, es wird Zeit, dass ich mich verabschiede«, sagte er und stand auf.

Byron schien sichtlich enttäuscht. »Hey, früher hast du aber länger durchgehalten«, spottete er, als hätte es die Minuten zuvor nie gegeben. Dann sagte er mit erhobenem Zeigefinger und einem hintergründigen Lächeln: »Bevor du aber gehst, denk ja nicht, ich hätte es vergessen.«

Jack sah ihn fragend an, doch Byron verschwand ohne ein Wort in seinem Arbeitszimmer, um kurz darauf mit einem kleinen Päckchen zurückzukehren. Er reichte Jack das in braunes Packpapier eingewickelte Etwas.

»Nachträglich noch alles Gute zum Geburtstag, mein Freund.«

Jack nickte dankend. »Hey, das wäre aber nicht nötig gewesen«, sagte er mit tatsächlicher Überraschung und besah sich sein Geschenk. Es fühlte sich durch das Papier wie ein Buch an.

»Doch, Jack, das war es, denn Lesen bildet«, entgegnete Byron ironisch und zwinkerte Jack zu. Der hatte den kleinen Seitenhieb verstanden. Jack war kein großer Bücherwurm und von seinem Freund schon diversem Male damit aufgezogen worden, dass er jederzeit einen Actionfilm einem guten Roman vorziehen würde.

»Soll das heißen, ich bin ungebildet?«

»Nein, aber es gibt Bücher, die einem die Augen für verschiedene Dinge öffnen.« Byrons Tonfall wurde nachdenklich und leise. »Tu mir nur den Gefallen und lies es, versprochen?«

Jack zuckte mit den Schultern und lächelte. »Ja klar, mach ich. Ich sag dir dann, wie ich’s fand, okay?«

»Okay.«

»Wir sollten aber auch unbedingt bald mal wieder eine Wandertour machen, was meinst du?«

»Klingt toll.«

»Meldest du dich, wenn du Zeit hast? Mein Terminkalender ist ja etwas überschaubarer als deiner.« Jack erwartete ein Lachen oder zumindest ein Lächeln. Nichts.

»Ich melde mich«, sagte er nur und trat vor, um seinem Freund auf die Schulter zu klopfen. Jack tat es ihm gleich. »Komm gut nach Hause.«

»Und du heil ins Bett.« Jack winkte ihm noch vom Treppenabsatz zu, dann setzte er sich in seinen Wagen und fuhr los.

Während er durch die Dunkelheit zurück nach Loughton rauschte, kreisten seine Gedanken immer wieder um Byrons seltsames Verhalten. Warum hatte er nichts von seinem Urlaub erzählen wollen? Er fand keine plausible Antwort. Gerne hätte er das abnorme Benehmen seines Freundes auf sein Alter geschoben, doch damit hätte er sich nur ins eigene Fleisch geschnitten.

Als er spät in der Nacht die Ortseinfahrt von Loughton passierte, hatte er den Vorfall schon fast wieder vergessen.

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