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5.Fahrlässigkeitsstrafbarkeit

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193Da bei Fahrlässigkeitsdelikten eine Differenzierung zwischen Täterschaft und Teilnahme nicht erfolgt (Einheitstäterprinzip550), werden die Probleme der Abgrenzung von Selbsttötung und Fremdtötung in die Prüfung der objektiven Zurechnung verlagert. Handelt das Opfer freiverantwortlich, so realisiert sich im Erfolg bereits keine vom Täter geschaffene Gefahr. Wer lediglich eine Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich ebenso wenig wie bei einem Vorsatzdelikt strafbar551.

194a) Im Ausgangspunkt ist für die Abgrenzung der fahrlässigen Fremdtötung zur straflosen Selbsttötung wiederum entscheidend, wer den unmittelbar lebensbeendenden Akt vornimmt552. Als Leitlinie kann dabei gelten, dass eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung dann ausscheidet, wenn es sich bei vorsätzlicher Begehung nur um eine straflose Beihilfe zum Suizid handeln würde553.

Bsp. (1):554 T kauft Einwegspritzen für den gemeinsamen Heroinkonsum mit O. Jeder verabreicht sich selbst eine Spritze. O stirbt. – Die eigentliche Tötungshandlung wurde vom freiverantwortlich handelnden O vorgenommen. T wirkte lediglich an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mit, so dass eine Strafbarkeit nach § 222 mangels objektiver Zurechnung des Erfolges ausscheidet. Anders wäre nur zu entscheiden, wenn eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung nicht vorläge, weil sich O – in Parallele zu den Fällen der mittelbaren Täterschaft beim Vorsatzdelikt555 – der Tragweite seines Handelns nicht bewusst war. Das wäre z. B. der Fall, wenn T die Betäubungsmittel mit gefährlichen Stoffen „gestreckt“ hätte und O deshalb zu Tode gekommen wäre. Ein eindeutiger Fall einer Fremdtötung wäre hingegen bei einer Fremdinjektion des Heroins nach Aufforderung durch das Opfer gegeben556.

Bsp. (2):557 T bereitet einen Tee aus Stechapfelblättern und bietet diesen anderen Personen zum Trinken an. O trinkt trotz entsprechender Warnungen des T zwei Tassen und zusätzlich den im Topf verbliebenen Satz. O kommt aufgrund der Wirkungen des Tees zu Tode. – Auch in diesem Fall scheidet eine Strafbarkeit des T aus den in Bsp. (1) genannten Gründen aus.

Bsp. (3):558 Polizeibeamter T lässt seine geladene Dienstpistole auf dem Armaturenbrett seines Fahrzeugs liegen, obwohl er weiß, dass Beifahrerin O schon mehrere Selbstmordversuche unternommen hat. O nimmt bei einer Fahrtunterbrechung unbemerkt die Waffe an sich und erschießt sich. – Obwohl T sorgfaltspflichtwidrig (Liegenlassen der Waffe) handelt, macht er sich nicht strafbar, da der Erfolg auf einer eigenverantwortlichen Entscheidung der O beruht.

195b) Tritt der Tod des Suizidenten in seiner konkreten Gestalt erst aufgrund nachfolgender Sorgfaltspflichtverletzungen anderer Beteiligter ein, so ist trotz der vorangegangenen Selbsttötungshandlungen eine fahrlässige Tötung anzunehmen.

Bsp.:559 Arzt T unterläuft bei der Rettung des Suizidenten ein Behandlungsfehler, so dass dieser durch die Medikamentgabe zu Tode kommt. – T macht sich gem. § 222 strafbar, da ihm der Tod objektiv zurechenbar ist. Der Tod in seiner konkreten Gestalt beruht in tatbestandstypischer Weise auf dem ärztlichen Behandlungsfehler.

196c) Umstritten sind neuerdings Fälle, in denen das Opfer den Beteiligten als Werkzeug zur Selbsttötung einsetzt.

Bsp.:560 Ehemann O fordert Ehefrau T bei einer Aussprache über die von ihr beabsichtigte Scheidung auf, eine Pistole zu nehmen und zum Schein auf ihn zu schießen. Mit Hilfe des O prüft sie, dass keine Patrone im Magazin ist. T drückt ab. O kommt zu Tode, da T eine sich im Lauf befindende Patrone aus Unachtsamkeit übersehen hat. Genau dies hatte O beabsichtigt. – Mangels Tötungsvorsatz kommt nur eine Strafbarkeit gem. § 222 in Betracht. Da die unmittelbare Tötungshandlung von T vorgenommen wurde, läge nach den bereits geschilderten Grundsätzen eine strafbare Fremdtötung vor. Fraglich ist, ob der Umstand, dass O die T getäuscht hat, eine abweichende Beurteilung erfordert.

197aa) Für die Annahme einer Selbsttötung wird angeführt, dass das Opfer kraft überlegenen Wissens – dahingehend, dass sich in der Waffe eine Patrone befindet – die Situation beherrscht und daher die Tat planvoll lenkt561. Es liege gewissermaßen ein „umgekehrter Fall“ der mittelbaren Täterschaft vor, bei dem das Opfer den Beteiligten zur Selbsttötung instrumentalisiert562.

198bb) Freilich lassen sich die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft nicht ohne weiteres auf diese Konstellation übertragen, weil die Selbsttötung keine Straftat darstellt563. Auch ist zu beachten, dass O nach dem Abdrücken, d. h. der Vornahme der Tathandlung, keine Möglichkeit mehr besaß, den tatbestandlichen Erfolg zu verhindern. Wäre der Beteiligte darüber aufgeklärt worden, dass sich im Lauf tatsächlich eine Patrone befindet, hätte es sich daher – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – um eine Fremdtötung auf Verlangen gem. § 216 gehandelt564. Dass dem Beteiligten bloße Fahrlässigkeit zur Last fällt, ändert an der Beurteilung als Fremdtötung nichts. Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass bei Fällen „echter“ mittelbarer Täterschaft das getäuschte und vorsatzlos dolos handelnde Werkzeug immerhin wegen fahrlässiger Tatbegehung strafbar sein kann565. Nachstehende Beispiele verdeutlichen dies:

Bsp. (1):566 Der schwerkranke O hat nur noch eine Atmungskapazität von zehn Prozent eines Gesunden. Der Zivildienstleistende T übernimmt für zwei Wochen die Betreuung. O möchte durch eine Täuschung des T aus dem Leben scheiden. Dazu äußert O gegenüber T den Wunsch, verpackt in einen Müllcontainer gelegt zu werden. Auf Nachfragen des T versichert er, dies aus sexuellen Motiven schon öfter gemacht zu haben und dass seine Bergung aus dem Container durch Dritte sicher sei. T packt O daraufhin in Säcke, verklebt dessen Mund und legt ihn bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einen Container. Bei O tritt der Tod durch Ersticken, möglicherweise in Kombination mit Unterkühlung ein.

199Die eigentliche Tötungshandlung (das Verbringen in den Container) wurde von T vorgenommen, so dass nach allgemeinen Kriterien eine Fremdtötung vorliegt. Auch wurde T – anders als im Ausgangsfall – nicht über die konkreten Umstände der von ihm bewusst verursachten extremen Gefährdung (stark eingeschränkte Atmungsaktivität, Temperatur um den Gefrierpunkt) getäuscht. Die Täuschung bezog sich vielmehr lediglich darauf, dass O von einer unbekannten Person gerettet werden sollte. Auf diese Täuschung lässt sich aber eine Tatherrschaft des O nicht stützen, zumal dieser auch aus Sicht des T völlig hilflos war. T hat sich daher nach § 222 strafbar gemacht.

Bsp. (2): Wie Bsp. (1), aber der Dritte D veranlasst in Tötungsabsicht den Zivildienstleistenden T unter Vorspiegelung der Rettung, das Opfer in den Container zu legen.

200T wäre zunächst nicht nach § 212 strafbar, da er täuschungsbedingt keinen Tötungsvorsatz besaß. D ist hingegen wegen vorsätzlichen Totschlags in mittelbarer Täterschaft nach §§ 212 (211), 25 Abs. 1 Var. 2 strafbar, da er gerade durch die Täuschung den Deliktsmangel beim Vordermann hervorgerufen hat. Trotz der Werkzeugqualität wäre T aber nach allgemeiner Meinung immer noch wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 strafbar, da das Verbringen des Opfers in den Container eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt.

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