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2.Fälle der Mitherrschaft und „Quasi-Mittäterschaft“

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175Die Grenzen der Tatherrschaft lassen sich freilich beliebig verschieben, so dass im Einzelfall diffizile Erwägungen anzustellen sind.

Bsp.: T füllt das Gift in den Mund des O, wobei sich dieser aber noch selbst entscheiden kann, ob er das Gift schluckt oder ausspuckt. – Hält man an der oben genannten Regel fest, gelangt man hier noch zu einer Selbsttötung, weil O die letzte Entscheidung über sein Schicksal behielt.

176a) Der BGH vertritt recht weitgehend die Auffassung, dass eine Selbsttötung nur dann vorliegt, wenn die Tatherrschaft uneingeschränkt beim Suizidenten verbleibt. Besteht hingegen eine „Quasi-Mittäterschaft501 zwischen Täter und Opfer oder liegt die Tatherrschaft „zumindest auch“502 bei Ersterem, so soll entgegen gewichtiger Stimmen im Schrifttum eine Fremdtötung anzunehmen sein503.

Bsp.: Der lebensmüde O nimmt Gift, das kumulativ mit einer Spritze, die T zeitgleich verabreicht, zum Tod führt.

177Nach Ansicht der Rechtsprechung ist auch in solchen Fällen eine Fremdtötung gegeben, weil die Tatherrschaft nicht uneingeschränkt beim Suizidenten liege, vielmehr zwei gleichgewichtige Beiträge den Erfolg herbeiführten. Die in der Literatur vertretene Gegenansicht nimmt hingegen mit Recht eine straflose Beteiligung an einem Suizid an, da letztlich eine eigenverantwortliche Selbstschädigung vorliegt. Die für den Tod unabdingbare selbstschädigende Handlung des Opfers kann dem Täter nämlich nicht zugerechnet werden. § 25 Abs. 2 ist in solchen Fällen von vornherein nicht einschlägig, weil das Opfer selbst keinen Straftatbestand verwirklicht und daher kein Fall einer Mittäterschaft vorliegt504. Für die Annahme einer straflosen Beteiligung an einem Suizid spricht auch, dass es das Opfer mit der Entscheidung über die Vornahme des eigenen Tatbeitrags selbst in der Hand hat, ob der Erfolg eintritt oder nicht.

178b) Entsprechende Erwägungen sind auch für den vieldiskutierten Fall des (einseitig fehlgeschlagenen) Doppelselbstmordes anzustellen.

Bsp.:505 T und O beschließen, gemeinsam eine Selbsttötung zu begehen, wozu T Auspuffgase in den Pkw leitet. O verriegelt auf ihrer Seite die Tür und kommt durch die Abgase ums Leben. T, der das Gaspedal im Wagen tritt, wird ebenfalls bewusstlos, überlebt jedoch.

179Nach Ansicht des BGH soll ein Fall des § 216 vorliegen, da der Beteiligte das Geschehen bis zuletzt in der Hand hatte und die auf den beiderseitigen Tod zielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt der eigenen Bewusstlosigkeit fortsetzte506. Dagegen spricht jedoch, dass aus einem Gesamtvorgang letztlich nur ein Akt herausgegriffen wird und der freiverantwortlichen Willensentscheidung des Opfers und seinen eigenen Handlungen zu wenig Raum gegeben wird. Richtigerweise liegt auch hier eine die Fremdtötung ausschließende Mitherrschaft des Opfers vor, weil dieses selbst in den Wagen gestiegen ist, die Tür verriegelt und die Abgase eingeatmet hat507. Das Opfer hätte ohne weiteres wieder aussteigen und damit den Tod verhindern können. Für die rechtliche Beurteilung macht es letztlich auch keinen entscheidenden Unterschied, ob auf das Gaspedal ein schwerer Gegenstand gelegt wird und das Opfer erst anschließend in den Wagen steigt oder der Beteiligte das Gaspedal nach dem Einsteigen noch weiter drückt.

180c) Bestätigt werden diese Ergebnisse, wenn man einen Blick auf die für die objektive Zurechnung entwickelten Grundsätze wirft508. Die objektive Zurechnung ist nämlich grundsätzlich zu verneinen, wenn das Opfer – auch noch nach Vornahme der Tathandlung – den Erfolg abwenden kann509. Schießt etwa der Täter auf das Opfer, verzichtet dieses aber in Kenntnis des Risikos auf ärztliche Behandlung, so wird der Zurechnungszusammenhang nach ganz h. M. unterbrochen, so dass eine Haftung wegen eines vollendeten Delikts ausscheidet; bei Fahrlässigkeit des Täters führt dies zur Straflosigkeit, während bei vorsätzlichem Handeln immerhin noch eine Versuchsstrafbarkeit in Betracht kommt. Im Ergebnis wäre es nun wenig plausibel, Fälle anders zu behandeln, in denen das Opfer von vornherein aus dem Leben scheiden möchte und an der Tat sogar selbst mitwirkt510.

Bsp. (1): T spritzt dem O tödliches Gift, O hat jedoch noch einige Tage Zeit, um mögliche Hilfe zu rufen oder ein Gegengift zu nehmen. – Auch hier ist – wohl entgegen der h. M. – eine Fremdtötung ausgeschlossen511. Würde nämlich T das Gift ohne Wissen des Opfers spritzen und dieses eine zumutbare Behandlung ablehnen, so wäre nach allgemeinen Grundsätzen die objektive Zurechnung ausgeschlossen.

Bsp. (2):512 T gibt der O ein Medikament, das das Erbrechen verhindert. O nimmt anschließend 150 Tabletten, um sich zu töten, wobei der Tod erst ca. drei Tage später eintritt. – Auch hier verbleibt O die Letztentscheidung und damit die Tatherrschaft über ihren Tod, da sie zum einen die Tabletten freiverantwortlich im Anschluss an die Verabreichung des Medikaments zu sich nimmt, zum anderen aber auch danach ärztliche Hilfe zur Abwendung des Todes in Anspruch nehmen konnte513.

Strafrecht - Besonderer Teil I

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