Читать книгу Strafrecht - Besonderer Teil I - Jörg Eisele - Страница 46

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Bsp.: T nimmt dem O unter Waffeneinsatz eine Sache weg, die er zuvor von O gekauft hat, die dieser ihm jedoch nicht mehr übereignen möchte. T nimmt dabei billigend in Kauf, dass O zu Tode kommt, was auch tatsächlich geschieht. – T macht sich nach § 212 strafbar. Das Mordmerkmal Habgier ist zu verneinen, da T einen Anspruch auf die Sache besaß. Aus demselben Grund scheidet auch eine Strafbarkeit nach §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3b sowie § 251 aus, da die erstrebte Zueignung nicht rechtswidrig war. In Tateinheit zu § 212 steht die Nötigung gem. § 240; diesbezüglich ist zu beachten, dass die Selbsthilfe mittels Waffengewalt gem. § 240 Abs. 2 verwerflich ist.

88(4) Fraglich ist ferner, ob das Merkmal Habgier auch bei nur bedingtem Tötungsvorsatz verwirklicht sein kann. Denn wenn der Täter eine Bereicherung mittels der Tötung eines anderen anstrebt, wird regelmäßig dolus directus 1. Grades vorliegen. Dies schließt freilich nicht aus, dass – wie im vorgenannten Beispiel – dolus eventualis mit dem Merkmal Habgier zusammentreffen kann249.

89dd) Sonstige niedrige Beweggründe liegen vor, wenn diese im Unrechts- und Schuldgehalt mit den drei im Gesetz zuvor genannten Merkmalen vergleichbar sind und sich daher entsprechend vom Totschlag des § 212 abheben. Erforderlich ist, dass die Tatantriebe nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Bewertung auf tiefster Stufe stehen, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und daher besonders verachtenswert sind250. Wie bei der Habgier kann auch dieses Mordmerkmal bei bedingtem Tötungsvorsatz verwirklicht sein251.

90Ein niedriger Beweggrund kann vorliegen bei Rachsucht252, Neid und Hass253, Abreagieren frustrationsbedingter Aggressionen an einem unbeteiligten Opfer254, Missachtung des personalen Eigenwerts durch außergewöhnlich brutale Tötung in menschenverachtender Weise255, Selbstjustiz256, Imponiergehabe257, Auslän­derfeindlichkeit258, Blutrache259 und außerhalb des Widerstandsrechts des Art. 20 IV GG bei politischen Beweggründen260. Auch Gefühlsregungen wie Verärgerung, Wut oder Enttäuschung können niedrige Beweggründe darstellen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen261. Erforderlich ist aber immer, dass diese Motive menschlich nicht verständlich und Ausdruck der niedrigen Gesinnung sind. In subjektiver Hinsicht muss der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen haben.262

90aHierzu ist eine Gesamtwürdigung der Umstände der Tat sowie der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit vorzunehmen. Dabei sind nach h. M. die besonderen Lebensanschauungen und Wertvorstellungen in die Bewertung mit einzubeziehen263. Maßstab sind hierbei die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht – etwa bei Fällen des Ehrenmordes oder der Blutrache – die Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt264. Auch das Verhältnis des Anlasses der Tat und der Folgen ist von Bedeutung265. Freilich begründet ein Missverhältnis oder die Verfolgung eigener Interessen für sich genommen noch nicht den erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat266. Auch Fälle, in denen eine Verdeckungsabsicht verneint wird, weil etwa der Täter mit der Tötung nur die Flucht erleichtern möchte, können hier Bedeutung erlangen267.

91Handelt der Täter aus verschiedenen Motiven (Motivbündel), so sind die bewusstseinsdominanten Beweggründe, die die Tat prägen, maßgeblich268. Zumindest eines dieser Motive muss den Voraussetzungen des niedrigen Beweggrundes entsprechen. Das Merkmal ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG bedenklich weit gefasst, zumal das Erfordernis der Gesamtwürdigung zu einer näheren Präzisierung nichts beiträgt269.

Bsp.: Die Frau des T geht mit O, einem alten Studienfreund, ins Kino. T ist deshalb rasend eifersüchtig und tötet O aus krasser Eigensucht. – Die Eifersucht kann im Einzelfall einen niedrigen Beweggrund i. S. d. § 211 Abs. 2 Gruppe 1 darstellen270. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen, da für T kein menschlich nachvollziehbarer Anlass zu einer solch maßlos übersteigerten Eifersucht vorlag und er aus krasser Eigensucht handelte. Entsprechendes gilt bei „exklusivem“ Besitzanspruch271. Im Einzelfall kann jedoch auch in solchen Fällen anders zu entscheiden sein, wenn Umstände zugunsten des Täters vorliegen, die im Wege der Gesamtwürdigung zur Verneinung des niedrigen Beweggrundes führen; so etwa wenn die Trennung vom Tatopfer ausging272, der Täter zuvor gekränkt oder gedemütigt wurde oder bei einer Spontantat die Ehefrau mit dem Liebhaber „auf frischer Tat ertappt“.

Klausurhinweis: In Klausuren wird häufig zur Bejahung des Mordmerkmals isoliert auf einzelne Umstände abgestellt, ohne weitere Beweggründe, die der Sachverhalt nennt, hinreichend zu beachten.

92b) Die objektiven Mordmerkmale der 2. Gruppe (heimtückisch, grausam, mit gemeingefährlichen Mitteln) sind tatbezogen. Sie betreffen die Art und Weise der Tötung und damit das Unrecht der Tat.

93aa) Die größte Bedeutung erlangt das Merkmal der Heimtücke273. Die klassische Definition lautet: Heimtückisch tötet, wer die Arg- und daher Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung ausnutzt274. Die „Aufstufung“ des Totschlags zum Mord ist in dem Umstand begründet, dass der Täter in hinterhältiger Weise das Überraschungsmoment ausnutzt und dadurch das Opfer hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu entgehen oder diesen doch wenigstens zu erschweren275.

94(1) Arglos ist dabei, wer sich zum Zeitpunkt der mit Tötungsvorsatz vorgenommenen Tathandlung keines Angriffs versieht276.

95(a) Das Opfer kann erstens überhaupt nur arglos sein, wenn es die Fähigkeit zum Argwohn besitzt. Diese fehlt etwa bei Besinnungslosen, weil diese dem Angriff nicht entgegentreten können277. Ferner wird diese auch bei sehr kleinen Kindern verneint, sofern deren Wahrnehmungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist und diese deshalb nicht fähig sind, anderen Vertrauen entgegen zu bringen278. Das bloße Überlisten natürlicher Abwehrinstinkte von Kleinstkindern genügt dabei nicht279.

Bsp.:280 T süßt den Brei des Kleinkindes K, damit dieses das tödliche Gift nicht bemerkt. – T macht sich nach § 212, nicht aber nach § 211 strafbar, da K noch nicht zum Argwohn fähig war.

96Ggf. kann bei Kleinstkindern und Bewusstlosen aber auf die Arglosigkeit schutzbereiter Dritter (z. B. Eltern, Aufsichtspersonal oder Ärzte) abgestellt werden281. Schutzbereit ist dabei derjenige, der den Schutz vor Leibes- und Lebensgefahren dauernd oder vorübergehend übernommen hat und ihn im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies unterlässt, weil er dem Täter vertraut282. Voraussetzung ist, dass der Dritte den Schutz wirksam erbringen kann, wofür eine gewisse räumliche Nähe283 und ein überschaubare Anzahl anvertrauter Personen erforderlich sind284.

Bsp.:285 Vater T tötet seinen einjährigen Sohn O im Schlaf; im Nebenzimmer ist der 7 Jahre alte Bruder anwesend. – Heimtücke ist zu verneinen, wenn der ältere Bruder keine Schutzfunktion übernommen hat; O selbst fehlt die Fähigkeit zum Argwohn.

Der Täter muss den schutzbereiten Dritten aber nicht gezielt ausschalten, vielmehr genügt es, wenn der Täter die von ihm erkannte Arglosigkeit des Dritten bewusst zur Tatbegehung ausnutzt286. Bedeutung hat dies in jüngster Zeit vor allem bei der Tötung bewusstloser Patienten erlangt.

Bsp.:287 Krankenschwester T spritzt in Anwesenheit von nahen Angehörigen oder Ärzten eigenmächtig ein Mittel, um den bewusstlosen und schwerkranken Patienten O, der zuvor nicht in die Tötung eingewilligt hat, zu töten; zudem schaltet sie an den Geräten eine Vorrichtung ab, die bei einer Verschlechterung des Zustandes Alarm auslöst. – T macht sich nach §§ 212, 211 strafbar, da sie heimtückisch handelte. O selbst war zwar zum Argwohn nicht fähig, jedoch nutzte T die Arg- und daher Wehrlosigkeit der schutzbereiten Dritten aus. Hätten die Anwesenden den Angriff bemerkt, wären sie eingeschritten; dies unterblieb aber, weil sie T als behandelnde Krankenschwester vertrauten und auch der Alarm unterdrückt war. Zu prüfen bleibt, ob T auch in feindseliger Willensrichtung handelte; das kann in engen Grenzen zu verneinen sein, wenn sie dem Patienten individuell weiteres Leid ersparen möchte288.

97Im Gegensatz zu Kleinstkindern und Bewusstlosen soll hingegen ein Schlafender nach h. M. arglos sein können, da dieser seine Arglosigkeit „mit in den Schlaf nimmt“, indem er sich bewusst dem Schlaf im Vertrauen darauf hingibt, dass ihm nichts geschehen werde289.

98(b) Besitzt das Opfer die Fähigkeit zum Argwohn, so muss es zweitens zum Zeitpunkt der Tathandlung grundsätzlich auch tatsächlich arglos sein. Ein bloß generelles Misstrauen oder eine latente Angst vor Angriffen – wie etwa bei Soldaten im Auslandseinsatz290 – steht der Annahme der Arglosigkeit nicht entgegen291. Selbst eine auf früheren Streitigkeiten und einer feindseligen Beziehung beruhende Angst des Opfers beseitigt dessen Arglosigkeit nicht.

Bsp.: Die ängstliche O befürchtet stets auf dem abendlichen Nachhauseweg von ihrem Ex-Freund T aus Rache angegriffen zu werden. Eines Tages wird sie von T hinterrücks erschossen. – T macht sich nach §§ 211, 212 strafbar, da sich O zum Zeitpunkt der Tat keines konkreten Angriffs versah. Das bloße generelle Misstrauen bzw. die latent vorhandene Angst beseitigt die Arglosigkeit der O nicht.

Es kommt vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet. Ist dies der Fall, so entfällt die Arglosigkeit selbst dann, wenn das Opfer einen schwächeren Angriff erwartet292. Die Arglosigkeit kann daher ferner zu verneinen sein, wenn der Täter ein zweites Opfer tötet, nachdem dieses bereits den Angriff auf das Leben des ersten Opfers wahrgenommen hat293.

99Arglos kann das Opfer auch bei einem offenen, aber überraschenden Angriff sein, wenn die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen294.

Das Opfer muss also keineswegs „hinterrücks“ angegriffen werden. Die Arglosigkeit kann im Einzelfall selbst dann vorliegen, wenn der Täter zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz angreift, dann aber ohne Abwehrmöglichkeit des Opfers zur Tötungshandlung übergeht295 oder zwar ein Angriff des Täters vorausgegangen ist, dieser aber bereits wieder beendet war296. Entscheidend ist demnach, ob das Opfer im konkreten Fall mit einem Angriff auf sein Leben tatsächlich gerechnet hat297. Ein der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangener, allein verbal geführter Angriff oder eine feindselige Atmosphäre schließen die Heimtücke nicht aus298; Entsprechendes gilt, wenn im Rahmen einer einverständlichen Schlägerei völlig überraschend mit dem Messer ein Angriff auf das Leben geführt wird299.

Bsp.: Zwischen T und O kommt es zu einem offenen Streit mit gegenseitigen Schlägen. T und O kommen dann aber überein, das Problem bei nächster Gelegenheit „in aller Ruhe“ zu besprechen. Als O gehen will, zieht T überraschend ein Messer und sticht O in die Brust. O ist sofort tot. – Dass zuvor eine Auseinandersetzung vorlag, steht der Arglosigkeit des O nicht entgegen, da zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Beendigung des Streits der Angriff überraschend war. Auch dass der Angriff offen erfolgte, ändert daran nichts, da T das Überraschungsmoment nutzte und O daher in seiner Verteidigungsbereitschaft eingeschränkt war.

100Umstritten ist, ob vom Erfordernis der tatsächlichen Arglosigkeit des Opfers im Rahmen einer wertenden Betrachtung Ausnahmen zuzulassen sind. Um Ergebnisse zu vermeiden, die im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe Bedenken begegnen, vertritt der BGH in Fällen, in denen der Täter vom Opfer erpresst wurde, eine restriktive Auslegung des Mordmerkmals und damit eine Tatbestandslösung. Da das Opfer mit seiner Erpressung den Gegenangriff selbst provoziert habe, sei dieses bei normativer Betrachtung nicht arglos.

Bsp:300 T vertreibt illegal Raubkopien von CD’s. O, der Kenntnis davon besitzt, erpresst den T mehrfach und droht, ihn bei der Polizei anzuzeigen. Eines Abends sucht O den T in dessen Wohnung auf, bedroht diesen und verlangt die Zahlung eines Geldbetrages. T holt das Geld und übergibt es dem O. Völlig überraschend tritt T nun plötzlich hinter O und tötet ihn. – T hat zunächst den Grundtatbestand des § 212 verwirklicht. Eine Rechtfertigung gem. § 32 scheidet aus301. Zwar liegt (je nach Ausgestaltung des Sachverhalts) ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des O auf das Vermögen des T vor, jedoch stellt die Tötung des O nicht das mildeste Verteidigungsmittel dar, so dass die Notwehrhandlung nicht erforderlich ist. Zu diskutieren bleibt, wie es sich auf das Mordmerkmal der Heimtücke auswirkt, dass der Tat des T die Erpressung des O vorausging.

101Der BGH ist in der eben genannten Entscheidung der Auffassung, dass es regelmäßig der Angreifer sei, der durch sein Verhalten einen Gegenangriff herausfordere. Er müsse daher mit der Ausübung des Notwehrrechts grundsätzlich rechnen. Bei wertender Betrachtung sei es nicht systemgerecht, dem sich wehrenden Opfer das Risiko aufzulasten, bei Überschreitung der rechtlichen Grenzen der Rechtfertigung sogleich das Mordmerkmal der Heimtücke zu verwirklichen. Folglich müsse die Arglosigkeit des Erpressers und damit auch die Heimtücke verneint werden.

102Ungereimt erscheint zunächst, dass der BGH in den sog. Haustyrannenfällen302, in denen das Opfer den Angriff ebenfalls veranlasst, auf die tatsächliche Arglosigkeit abstellt und Korrekturen lediglich über die Rechtsfolgenlösung vornimmt. Für diese Unterscheidung könnte vielleicht noch angeführt werden, dass es bei Haustyrannenfällen regelmäßig an einem konkreten Angriff des Opfers fehlt, so dass der Getötete im Zeitpunkt der Tötungshandlung selbst bei normativer Betrachtung arglos war303. Dennoch überzeugt es nicht, wenn der BGH auf das Kriterium der tatsächlichen Arglosigkeit des Opfers verzichtet und es genügen lässt, dass dieses mit einem Angriff rechnen muss. Denn auch ansonsten darf sich nach Ansicht des BGH die Arglosigkeit nicht „an Kriterien ausrichten, die auf die Feststellung eines fahrlässig verschuldeten Mangels an Abwehrbereitschaft hinauslaufen“. Die Arglosigkeit wird daher gerade nicht dadurch ausgeschlossen, „dass das Opfer nach den Umständen mit einem tätlichen Angriff hätte rechnen müssen“304. Erst recht sollte die Arglosigkeit daher bejaht werden, wenn zum Zeitpunkt der Tötungshandlung (ebenso wie in Haustyrannenfällen) kein gegenwärtiger Angriff des Erpressers i. S. d. § 32 vorliegt, sondern lediglich eine zuvor begonnene Erpressung als sog. Dauergefahr i. S. d. § 34 anhält305.

Bsp.: O fordert von T telefonisch binnen einer Woche Zahlung einer Geldsumme, andernfalls werde er den T töten. – Begibt sich T daraufhin zu O und erschießt diesen hinterrücks, so wäre trotz der Erpressung eine heimtückische Tötung anzunehmen, da es zum Zeitpunkt der Tatbegehung an einer konkreten gegen die körperliche Integrität oder das Leben gerichteten Angriffshandlung des O fehlt. Jedoch wird man aufgrund der Dauergefahr – nicht anders als bei Haustyrannenfällen – die Rechtsfolgenlösung zu diskutieren haben306.

103(c) Und drittens folgt aus dem eben Gesagten, dass für die Beurteilung der Arglosigkeit grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Tathandlung, d. h. bei Tatbeginn, abzustellen ist307. Eine Ausnahme wird jedoch für Fälle zugelassen, in denen der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt oder ihm eine Falle stellt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob das Opfer arglos ist, soll hier nicht der Beginn der Tötungshandlung, sondern bereits das im Vorbereitungsstadium liegende hinterhältige Vorgehen sein. Demnach soll es ausreichend sein, dass das Opfer vom Täter mit Tötungsvorsatz unter Ausnutzung der Arglosigkeit im Vorbereitungsstadium in eine wehrlose Lage gebracht wird und diese geschaffene Wehrlosigkeit bis zur Tatausführung ununterbrochen fortbesteht, selbst wenn das Opfer inzwischen argwönisch ist308. Begründet wird diese – dogmatisch jedoch nicht ganz zweifelsfreie – Ansicht damit, dass das Heimtückische in den Maßnahmen liegt, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, soweit diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Für die Annahme von Heimtücke lässt sich ferner anführen, dass dem Opfer durch die raffinierte Vorgehensweise des Täters bei der Vorbereitung bereits in diesem Stadium die Verteidigungsmöglichkeiten genommen werden309.

Bsp.: T lockt den O unter einem Vorwand an einen abgelegenen Ort, um ihn zu töten. Dort angelangt, wird auch dem nunmehr wehrlosen O klar, was T geplant hat. – Tötet T den O, so verwirklicht er das Mordmerkmal der Heimtücke, weil die hinterhältige Vorgehensweise bis zur Tötung fortgewirkt hat.

104(2) Auf Grund der Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein, d. h. es muss gerade wegen seiner Arglosigkeit nicht zur Verteidigung im Stande sein310. Kann sich das Opfer trotz Arglosigkeit noch aktiv wehren oder die Flucht ergreifen, so ist es nicht wehrlos.311 Beruht die Wehrlosigkeit auf anderen Gründen als der Arglosigkeit, etwa der körperlichen Unterlegenheit des Opfers, so scheidet Heimtücke aus, da es an der erforderlichen kausalen Verknüpfung fehlt.

Bsp.:312 O lässt sich von T beim Liebesspiel fesseln. T beschließt erst dann, diese Situation auszunutzen und die O zu töten. – Die Wehrlosigkeit der O beruht nicht auf deren Arglosigkeit, sondern auf der vorangegangenen Fesselung, bei der T noch keinen Tatentschluss besaß.

105(3) Der Täter muss ferner die Arg- und Wehrlosigkeit in tückisch verschlagener Weise zur Tötung bewusst ausnutzen313. Hierfür genügt es, dass der Täter sich bewusst ist, einen durch seine Sorglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen314. Dies kann im Einzelfall zu verneinen sein, wenn der Täter spontan in hoher Erregung handelt oder ein psychischer Ausnahmezustand vorliegt, zwingend ausgeschlossen ist das Ausnutzungsbewusstsein hierdurch aber nicht315. Nicht erforderlich ist, dass der Täter die überraschende Angriffsmöglichkeit gezielt herbeiführt316 oder ein konkretes Opfer sinnlich wahrnimmt. Daher kann die Arg- und Wehrlosigkeit auch ausnutzen, wer bei einem illegalen Autorennen den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers, den er nicht wahrnimmt, billigend in Kauf nimmt317.

106(4) Das Merkmal in feindseliger Willensrichtung wirkt tatbestandseinschränkend. Damit sollten bislang Fälle vom Mord ausgenommen werden, in denen der Täter „zum (vermeintlich) Besten“ des Opfers handelt318.

Bsp.: Der Ehemann E mischt heimlich Gift in den Tee seiner todkranken Frau, um ihr weitere Leiden zu ersparen. – Obwohl E die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Ehefrau ausnutzt, sah der BGH darin bislang keine heimtückische Tötung, da E nicht in feindseliger Willensrichtung handelt. Entsprechendes sollte gelten, wenn der Täter im Rahmen eines Suizidversuchs Familienangehörige tötet, um diese nicht mit ihrem Schicksal ­allein zurückzulassen319.

106aNunmehr hat der BGH seine Rechtsprechung korrigiert und möchte nur noch in Ausnahmefällen den Tatbestand verneinen320. Im Übrigen müsse ein Schuldspruch wegen Mordes erfolgen. Außergewöhnliche Motive bzw. Umstände könnten grundsätzlich nur noch im Rahmen der sog. Rechtsfolgenlösung321 Berücksichtigung finden.

Bsp.: 322 T ist hoch verschuldet und ihm droht eine Kündigung sowie eine Strafanzeige. Er möchte seine Ehefrau O von der existenzbedrohenden Situation verschonen, da ihre Gehfähigkeit eingeschränkt ist und sie aufgrund psychischer Niedergedrücktheit Psychopharmaka nimmt. Daher erschlägt er O im Schlaf.

Entscheidend ist für den BGH, dass das Mordmerkmal der Heimtücke nur die Begehungsweise der Tat – nicht aber die Motivation des Täters – betrifft und nur so die Bestimmtheit des Tatbestandes gewahrt bleibe; auch spreche der absolute Lebensschutz dafür, weil sich kein Dritter anmaßen dürfe, über das Leben des Opfers zu bestimmen, ohne dieses gefragt zu haben323. Für das Bsp. argumentiert er, dass allein die O über ihr Leben, mag dieses auch mit Leiden behaftet sein, zu entscheiden hat. Für die Verneinung einer feindseligen Willensrichtung sollen lediglich Fälle verbleiben, in denen, wie etwa beim sog. erweiterten Suizid, beide Beteiligte in Willensübereinstimmung aus dem Leben scheiden möchten324 oder Kinder325 bzw. Todkranke326 nicht in der Lage sind, eine entsprechende Entscheidung zu treffen327. Freilich verkennt der BGH insoweit, dass auch ansonsten der Tatbestand der Mordmerkmale restriktiv ausgelegt wird und bei einer Einwilligung des Opfers ohnehin regelmäßig die Arglosigkeit entfällt und darüber hinaus sogar die Privilegierung des § 216 vorliegen kann328.

107(5) Um Unbilligkeiten im Hinblick auf eine schuldangemessene Bestrafung zu vermeiden, werden im Schrifttum darüber hinaus weitere Einschränkungen vertreten. Wie bereits dargestellt, wird bisweilen eine negative oder positive Typenkorrektur verlangt329, um so im Einzelfall den Tatbestand des § 211 im Wege einer Gesamtwürdigung zu verneinen bzw. zu begründen. Nach anderer Ansicht soll das Merkmal der Heimtücke zusätzlich einen verwerflichen Vertrauensbruch voraussetzen330. Dagegen spricht, dass der Begriff des Vertrauens zu konturenlos ist und im Übrigen auch hinterhältige Attentate nicht erfasst werden könnten.

Bsp.: T versteckt sich hinter einer Hecke und erschießt den ahnungslosen O hinterrücks. – Weil T keinen verwerflichen Vertrauensbruch begangen hat, müsste die genannte Ansicht das Mordmerkmal der Heimtücke verneinen, obwohl hier der klassische Fall einer heimtückischen Tötung („Meuchelmord“) gegeben ist331.

108Die Rechtsprechung lehnt hingegen weitere Einschränkungen auf Tatbestandsebene ab und verweist auf die sog. Rechtsfolgenlösung, wonach in besonders gelagerten Ausnahmefällen die lebenslange Freiheitsstrafe entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 zu mildern sein soll332.

109bb) Das Mordmerkmal grausam ist verwirklicht, wenn der Täter seinem Opfer in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen333. Eine äußerlich brutale Vorgehensweise des Täters genügt für sich genommen also nicht334. Das grausame Verhalten muss dabei vor Abschluss der den tödlichen Erfolg herbeiführenden Handlung auftreten und vom Tötungsvorsatz umfasst sein335. Einbezogen werden damit nur Handlungen, die vom unmittelbaren Ansetzen bis zum Erfolgseintritt reichen.

Bsp.: T fügt O mit Tötungsvorsatz über einen Zeitraum von zwei Stunden zahlreiche Messerschnitte zu, bis O – wie von T gewollt – schließlich qualvoll verblutet.

Gegenbsp.: T fügt O auf grausame Weise Körperverletzungen zu. Dann erschießt er den schwer verletzten O. – Es liegt hier lediglich ein Totschlag, jedoch kein Mord vor. Lediglich die Körperverletzungen wurden grausam begangen, nicht jedoch die Tötung.

110Zu beachten ist, dass das Merkmal grausam bei einer Tötung mit einer Waffe oder einem gefährlichen Werkzeug nicht ohne weiteres verwirklicht ist.

Bsp.: T tötet O mit einem Messerstich. Obwohl O bereits tot ist, sticht T noch eine Weile auf O ein. – Das Merkmal grausam ist hier nicht verwirklicht, weil O bereits nach dem ersten Messerstich tot war.

Klausurhinweis: In Klausuren wird das Merkmal grausam oft vorschnell und ohne hinreichende Subsumtion bejaht, da die Tötung eines Menschen an sich als „grausam“ angesehen wird. Dabei wird übersehen, dass der Normalfall der Tötung jedoch von § 212 erfasst wird und die lebenslange Freiheitsstrafe des § 211 demgegenüber einen erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt der Tat verlangt.

111cc) Die Qualifikation des gemeingefährlichen Mittels findet ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht336. Ein gemeingefährliches Mittel liegt vor, wenn das Tatwerkzeug in der konkreten Tatsituation geeignet ist, eine Mehrzahl von Menschen (als Repräsentanten der Allgemeinheit) an Leib337 oder Leben zu gefährden, weil der Täter seine Wirkungsweise und damit die Ausdehnung der Gefahr nicht beherrschen kann338. Überwiegend wird eine Mehrzahl ab drei Personen angenommen339. Nicht ausreichend ist einerseits eine nur abstrakte Gefährlichkeit340, andererseits ist aber auch nicht erforderlich, dass tatsächlich eine konkrete Lebensgefahr eintritt341. Auch ein Mittel – z. B. ein KFZ –, das bei abstrakter Betrachtung grundsätzlich nicht gemeingefährlich ist, kann in der konkreten Tatsituation gemeingefährlich eingesetzt werden342. Insoweit ist aber darauf zu achten, dass die Gemeingefährlichkeit auch vom zumindest bedingten Vorsatz erfasst ist343.

Bspe.: T möchte O töten und zündet eine Bombe in einer Menschenmenge; – T setzt ein Haus in Brand, in dem eine große Anzahl von Menschen wohnt; – T nimmt an einem illegalen Autorennen teil und nimmt den Tod anderer in Kauf344.

112(1) Nicht erfasst werden jedoch Fälle einer „schlichten“ Mehrfachtötung, bei denen der Tätervorsatz gegen eine bestimmte Anzahl von ihm individualisierter Opfer gerichtet ist, er etwa drei konkret individualisierte Menschen mittels Brandsatz töten möchte345. Anderes gilt jedoch zumindest dann, wenn darüber hinaus auch weitere Personen durch das Mittel in Gefahr geraten können346. Zudem entfällt die Gemeingefährlichkeit des Mittels richtigerweise nicht deshalb, weil sich der Vorsatz des Täters darauf erstreckt, alle Repräsentanten der Allgemeinheit, die nicht weiter individualisiert sind, zu töten.

Bspe.: T tötet den O mittels einer Bombe und nimmt dabei den Tod der anderen Anwesenden billigend in Kauf. T sprengt ein Flugzeug, wobei alle Passagiere zu Tode kommen.

113Teilweise wird die Gemeingefährlichkeit des Mittels in solchen Fällen verneint, weil über den vom Vorsatz erfassten Opferkreis hinaus keine weiteren Personen gefährdet werden und daher Dritte nicht aufgrund der Unbeherrschbarkeit des Mittels betroffen sind347. Vom Wortlaut ist jedoch eine Verknüpfung der Gemeingefährlichkeit mit dem Tötungsvorsatz – wie auch bei den anderen Mordmerkmalen – nicht geboten. Und in der Sache selbst besteht kein Grund, den mit Tötungsvorsatz hinsichtlich einer Mehrzahl von Personen handelnden Täter zu begünstigen, zumal bei solchen Attentaten kaum noch von einer Auswahl individueller Opfer gesprochen werden kann348.

114(2) Ist das Mittel nicht geeignet, eine Mehrzahl von Personen zu gefährden, so liegt kein gemeingefährliches Mittel vor349.

Bsp.: T legt sich im Gebüsch auf die Lauer und tötet O mit mehreren Schüssen aus einer Pistole.

115Dies gilt selbst dann, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen in den Gefahrenbereich geraten kann, tatsächlich aber – wie bei einem Schuss aus einer Pistole – die Wirkungen begrenzt sind. Das Tötungsmittel wird also nicht allein dadurch zum gemeingefährlichen Mittel, dass der Täter die Waffe nicht ausreichend beherrscht, sein Ziel verfehlt und eine andere als die anvisierte Person trifft.

Bsp.:350 T zielt mit einer Pistole in einer Menschenmenge auf seinen Feind F, verfehlt diesen und trifft den O, was T billigend in Kauf nahm. – Da T Eventualvorsatz auch hinsichtlich des Todes des O besaß, liegt kein klassischer Fall einer aberratio ictus (mit der Folge eines versuchten Totschlags an F und fahrlässiger Tötung an O) vor. Vielmehr verwirklicht T den Tatbestand des § 212 an O. Mord scheidet hingegen aus, da es sich bei der Waffe nicht um ein gemeingefährliches Mittel handelte, da dieses in seinen Wirkungen begrenzt war – es konnte von vornherein nur eine Person getroffen werden. Hinzu treten §§ 212, 22, 23 bzgl. F.

116(3) Ein gemeingefährliches Mittel ist nach h. M. ferner nicht gegeben, wenn der Täter nur eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation zur Tat ausnutzt, so dass bloßes Unterlassen grundsätzlich nicht erfasst wird351. Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob die Gefahr zufällig (etwa durch ein Naturereignis), von einer an der Tötung unbeteiligten Person oder sogar vom Täter selbst zuvor ohne Tötungsvorsatz verursacht worden ist. Gegen einen generellen Ausschluss des Unterlassens lässt sich aber anführen, dass die Frage einer Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln durch Unterlassen letztlich eine Frage der Entsprechensklausel nach § 13 I a. E. ist; dabei ist zu berücksichtigen, dass auch beim Ausnutzen einer gemeingefährlichen Situation sowohl das Handlungs- als auch das Erfolgsunrecht erhöht sein können352.

Bsp.:353 T setzt mit seiner Zigarette aufgrund einer Unachtsamkeit ein Haus in Brand. Obwohl er erkennt, dass mehrere Bewohner zu Tode kommen können, unternimmt er nichts und nimmt ihren Tod billigend in Kauf. O kommt bei dem Brand zu Tode. – Was Tötungsdelikte anbelangt, so hat sich T zunächst nach § 222 strafbar gemacht. Durch das pflichtwidrige Vorverhalten ist er zudem Garant kraft Ingerenz und macht sich daher auch gem. §§ 212, 13 strafbar. Als T den Tötungsvorsatz fasste, war die gemeingefährliche Situation des Brandes jedoch bereits entstanden, so dass nach h. M. § 211 ausscheidet. § 222 ist gegenüber §§ 212, 13 mitbestrafte Vortat, da die Sorgfaltspflichtverletzung als pflichtwidriges Vorverhalten erst die Garantenstellung begründet.

117c) Die persönlichen Mordmerkmale der 3. Gruppe (Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht) sind wie die Merkmale der 1. Gruppe subjektive Tatbestandsmerkmale (nach a. A. spezielle Schuldmerkmale). Sie kennzeichnen den besonders verwerflichen Zweck der Tötung und beruhen auf dem Gedanken, dass Unrecht durch den Täter mit weiterem Unrecht verknüpft wird354. Die Absicht ist im Sinne eines zielgerichteten Wollens hinsichtlich der Ermöglichung bzw. der Verdeckung einer anderen Straftat zu verstehen355. Die Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht kann dabei neben andere Motive des Täters treten (sog. Motivbündel), muss aber auch hier Haupttriebfeder sein356.

118aa) Die Ermöglichungsabsicht („um eine andere Straftat zu ermöglichen“) liegt dann vor, wenn die Tötung als Mittel zur Begehung oder Erleichterung von Straftaten eingesetzt wird. Der Täter geht in diesen Fällen also „notfalls über Leichen“357, um seine kriminelle Energie in die Tat umzusetzen. Prinzipiell ist auch bei dolus eventualis hinsichtlich des Todes die Ermöglichungsabsicht nicht ausgeschlossen358, jedoch muss hierbei der Tod das Mittel zur Ermöglichung der weiteren Tat sein359. Nicht erforderlich ist, dass sich die weitere Straftat nach Vorstellung des Täters nur durch die zum Tode führende Handlung oder gar den Todeserfolg und nicht auch auf andere Weise erreichen lässt360. Vielmehr genügt es, dass deren Begehung durch die Tötungshandlung erleichtert werden soll361.

Bsp.:362 T überfällt O und betäubt ihn mit Chloroform, um ihn auszurauben. Nach ca. 30 Minuten erholt sich O. T entschließt sich nunmehr, auf andere Weise dafür zu sorgen, dass er die Suche nach Wertgegenständen ungestört fortsetzen kann. Er würgt sein Opfer massiv am Hals und erkennt dabei und billigt es auch, dass sein Handeln zum Tode führen kann. O stirbt kurz darauf. – T macht sich nach §§ 211, 212 strafbar, da seine Absicht darauf gerichtet war, einen Raub zu ermöglichen. Es ist weder erforderlich, dass das Würgen, das zum Tode führte, für die Begehung des Raubes ein notwendiges Mittel war, noch dass der Raub nur durch den Tod des Opfers begangen werden konnte. Auch dass T hinsichtlich des Todes nur mit dolus eventualis handelte, ist unschädlich.

119Soll auf die Leiche nach der Tötung weiter eingewirkt werden und sollen diese Tathandlungen gar auf Videoband aufgezeichnet und verbreitet werden, so kommen als Straftaten, die der Täter durch die Tötung seines Opfers ermöglichen wollte, auch Störung der Totenruhe (§ 168), verharmlosende oder verherrlichende Darstellung von Gewalt (§ 131) oder Verbreitung von gewaltpornographischen Schriften (§ 184a) in Betracht363.

120bb) Mit Verdeckungsabsicht („um eine andere Straftat zu verdecken“) handelt der Täter, wenn er die eigene Bestrafung oder die Bestrafung eines Dritten – es muss sich also um keine eigene Straftat des Täters handeln364 – vereiteln will. Es stellt sich zunächst die Frage, ob die Strafschärfung in solchen Fällen überhaupt sachgerecht ist. Denn in den zugrunde liegenden Konstellationen ist häufig eine Konfliktlage gegeben, in der der Täter sich selbst (bzw. einen Dritten) hinsichtlich der vorangegangenen Tat einer Bestrafung entziehen möchte. Bei solchen Begünstigungen handelt es sich aber um Motivationen, die das Strafgesetzbuch in §§ 257, 258 sogar als strafausschließend wertet. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings darin, dass der Täter bei §§ 257, 258 lediglich die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes bzw. die Bestrafung durch staatliche Organe hindert, ohne dabei jedoch weitergehenden Schaden anzurichten. Hingegen wird in den Fällen der Verdeckungsabsicht das Unrecht der Vortat mit neuem, zusätzlichem Unrecht verknüpft365.

121(1) Entscheidend ist allein die Tätersicht und nicht die objektive Lage366. Es kommt also darauf an, ob aus Sicht des Täters eine Straftat verdeckt werden soll. Die Absicht des Täters muss sich dabei auf eine Straftat und nicht nur auf eine Ordnungswidrigkeit367 beziehen368. Da es allein auf die Tätervorstellung ankommt, ist es aber nicht erforderlich, dass die Handlung überhaupt objektiv eine Straftat darstellt, so dass auch eine wahndeliktische Vorstellung erfasst wird369.

Bsp.: T wird von O mit einem Messer angegriffen. T wehrt den Angriff mit einem Schuss aus einer Pistole ab. Er geht anschließend irrig davon aus, dass dieses Verhalten strafbar war und tötet den O mit einem weiteren Schuss, um eine Anzeige zu verhindern. – Der erste Schuss des T begründet keine Strafbarkeit wegen Körperverletzung, soweit dieser von § 32 gedeckt ist. Die abweichende Annahme des T stellt lediglich ein (strafloses) Wahndelikt dar. Der weitere Schuss führt dann aber zu einer Strafbarkeit wegen vollendeten Mordes, da die Absicht zur Verdeckung einer nicht vorliegenden Straftat nach h. M. ausreicht.

122(2) Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, wenn die Handlung dazu dient, eine vorangegangene Straftat oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten370. Klassischer Fall der Verdeckungsabsicht ist damit die Tötung eines Polizisten, Verfolgers oder Zeugen, der dem Täter auf der Spur ist. Auch wenn aus Tätersicht nur die Tat, nicht jedoch seine Tatbeteiligung bekannt ist, ist Verdeckungsabsicht noch möglich371. Entsprechendes gilt, wenn die genaue Kenntnis über den strafrechtlich bedeutsamen Sachverhalt allein bei Täter und Opfer liegen, so dass die Tatumstände deshalb noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt sind372. Da auch insoweit die Tätersicht maßgebend ist, kommt es darauf an, dass aus dessen Sicht die Tat noch nicht aufgedeckt ist, mag dies auch objektiv der Fall sein373. Keine Verdeckungsabsicht ist allerdings gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, dass bereits Tat und Täter aufgedeckt sind und er durch die Tötung nur noch seine Überführung erschweren, die Festnahme verhindern bzw. die Flucht ermöglichen möchte374. Letzterenfalls kann jedoch ein niedriger Beweggrund in Betracht kommen375. Hingegen scheidet die Annahme eines niedrigen Beweggrundes aus, wenn Verdeckungsabsicht bejaht wird und keine weiteren Umstände hinzukommen376.

Bsp.: T flieht nach einem Raub und rast mit Absicht auf eine aufgrund dieser Tat eingerichtete Polizeisperre des Polizisten P zu, der T mit Handzeichen anhalten möchte. P kommt dabei zu Tode. – T ging es bei seinem Verhalten allein darum, seine Beteiligung am Raub zu verdecken. T macht sich gem. §§ 211, 212 strafbar, da zwar die Tat, jedoch noch nicht seine Tatbeteiligung aufgedeckt war. In Tateinheit (§ 52 Abs. 1 Var. 1) hierzu steht § 113 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2. § 240 ist gegenüber dieser Privilegierung für Vollstreckungshandlungen subsidiär. Ebenfalls in Tateinheit steht § 315b Abs. 1 Nr. 3, da T mit Schädigungsvorsatz handelte und daher ein verkehrsfremder Eingriff in den Straßenverkehr vorliegt377. Über § 315b Abs. 3 wird die Tat nach § 315 Abs. 3 Nr. 1a und b, Nr. 2 qualifiziert (Verbrechen). Hingegen scheidet eine Strafbarkeit nach § 315c aus, da T keine der genannten Fehlverhaltensweisen im Straßenverkehr verwirklicht.

123(3) Nach h. M. soll Verdeckungsabsicht auch möglich sein, wenn der Täter die Tat nicht vor der Polizei verdecken möchte, sondern außerstrafrechtliche Folgen, etwa Racheaktionen Dritter, verhindern will. Für diese Lösung spricht, dass dem Wortlaut des § 211 nicht zu entnehmen ist, dass es dem Täter darum gehen muss, sein vorangegangenes strafbares Tun gegenüber Strafverfolgungsbehörden zu verheimlichen. Auch schützt § 211 nicht die Belange der Rechtspflege378.

Bsp.:379 Der Täter eines Betrugs tötet das Opfer, damit dieses nicht im Falle der Entdeckung der Tat Rache an ihm übt.

124(4) Problematisch sind Fälle, in denen der Täter hinsichtlich des Todes des Opfers (§ 212) lediglich mit dolus eventualis handelt. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese schwächste Vorsatzform mit Verdeckungsabsicht „vereinbar“ ist380. Verdeckungsabsicht ist jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Straftat nach Vorstellung des Täters überhaupt nur dadurch verdeckt werden kann, dass das Opfer zu Tode kommt, weil dieses etwa den Täter kennt. Eventualvorsatz ist in diesem Falle nicht ausreichend, da dieser auch die Möglichkeit des Überlebens beinhaltet – eine Situation also, die der Verdeckung gerade entgegensteht381.

Bsp.: T lässt das schwer verletzte Raubopfer O liegen und nimmt dessen Tod billigend in Kauf. –Verdeckungsabsicht scheidet aus, wenn das Opfer den Täter kennt oder diesen identifiziert hat und daher die Tat überhaupt nur durch den Tod verdeckt werden kann; in diesem Fall ist Verdeckungsabsicht nur bei direktem Tötungsvorsatz möglich, da der Täter das Opfer aus seiner Sicht zwingend ausschalten muss.

125In allen übrigen Fällen gelten jedoch die bei der Ermöglichungsabsicht geschilderten Grundsätze382, wonach es genügt, dass der Täter seine Tötungshandlung als Mittel zur Verdeckung der Tat ansieht383. Ein Verdeckungsmord kann daher grundsätzlich auch dann vorliegen, wenn der Tod lediglich eine billigend in Kauf genommene Folge der zum Zweck der Verdeckung vorgenommenen Handlung ist384.

126(5) Für die Annahme von Verdeckungsabsicht ist es ferner unerheblich, ob die Aufdeckung vom Getöteten selbst oder von einem Dritten zu befürchten war.

Bsp.385: T tötet den A. Anschließend beschließt er, die Spuren zu beseitigen und die Tat dadurch zu verdecken, dass er das Haus in Brand setzt. Dabei weiß er, dass im Haus die O wohnt und diese durch den Brand getötet werden kann. Diesen Erfolg nimmt er aber billigend in Kauf, da ihm die Beseitigung der Spuren wichtiger ist. – T verwirklicht zunächst § 212 hinsichtlich des A. Bezüglich des Todes der O macht er sich nach §§ 211, 212 strafbar. Er handelte mit Verdeckungsabsicht, da durch die zweite Tat der Totschlag an A verdeckt werden sollte.

127(6) Auch das Liegenlassen eines Unfallopfers, um durch dessen Tod die im Zusammenhang mit dem Unfall stehende Straftat zu verdecken, kann die Verdeckungsabsicht begründen.

Bsp.: T fährt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,8 Promille Fußgänger O an, der schwer verletzt liegen bleibt. Als T, der aus seinem Fahrzeug aussteigt, die schweren Verletzungen des O erkennt, entfernt er sich von der Unfallstelle, ohne Hilfe zu leisten. Er beabsichtigt dabei den Tod des O, damit dieser nicht sein KFZ-Kennzeichen der Polizei übermittelt. O kommt zu Tode, weil ihm nicht rechtzeitig Hilfe geleistet wird. – T hat sich zunächst (1. Tatkomplex) nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 strafbar gemacht. § 316 Abs. 1 ist demgegenüber formell subsidiär (Gesetzeskonkurrenz). Ferner hat T aufgrund des Unfalls § 222 verwirklicht. Das Verlassen des Unfallorts begründet anschließend (2. Tatkomplex) § 142 Abs. 1 Nr. 2, da T keine angemessene Zeit gewartet hat (Nr. 1 ist zu verneinen, da der schwer verletzte O keine feststellungsbereite Person ist). Zudem hat sich T nach §§ 211, 212, 13 strafbar gemacht, da er aufgrund des Unfalls Garant kraft Ingerenz war und das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht. Im Wege der Gesetzeskonkurrenz treten § 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 und § 323c dahinter als subsidiär zurück. Es bleibt noch eine Strafbarkeit nach § 316 Abs. 1, weil der Unfall eine Zäsur bildet und anschließend eine neue Trunkenheitsfahrt beginnt386. § 315c Abs. 1 Nr. 1a i. V. m. Abs. 3 Nr. 1 steht in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1) zu § 142 Abs. 1 Nr. 2, da das Entfernen vom Unfallort durch einen neuen Entschluss des T begründet wurde. In Tateinheit zu § 142 Abs. 1 Nr. 2 stehen §§ 211, 212, 13 und § 316 Abs. 1, die auf derselben Handlung – Verlassen des Unfallorts – beruhen. § 222 ist gegenüber dem Mord durch Unterlassen richtigerweise mitbestrafte Vortat (Gesetzeskonkurrenz), da die Garantenstellung (Ingerenz) auf dem pflichtwidrigen Vorverhalten beruht, das die Sorgfaltspflichtverletzung und damit die Strafbarkeit nach § 222 begründet.

128(7) In Fällen des Unterlassens ist ebenfalls nicht zwingend notwendig, dass eine erfolgreiche Verdeckung den Eintritt des Todes zur Folge hat. Auch hier kann es genügen, dass die Tötungshandlung (das Unterlassen) zur Verdeckung ausreicht oder die Aufdeckung nur von einem Dritten zu befürchten war.

Bsp.:387 Vater T misshandelt sein Kind O über einen längeren Zeitraum. Um die schweren Misshandlungen zu verdecken, unterlässt er es später, ärztliche Hilfe zu holen, so dass O zu Tode kommt. – Es liegt hier ein Mord durch Unterlassen vor, da T als Garant (kraft Gesetz nach § 1626 Abs. 1 BGB und Ingerenz) die vorangegangenen Körperverletzungen verdecken wollte. Dass die Aufdeckung der Taten durch den Arzt und nicht das Opfer zu befürchten war, ist unerheblich.

129(8) Die Vortat und die Tötung können nach h. M. ineinander übergehen388. Einer zeitlichen oder räumlichen Zäsur zwischen beiden Taten bedarf es grundsätzlich nicht389. Der Entschluss zur Tötung kann also bereits vor390, während oder sogleich nach der Vortat gefasst werden. Denn der Grund der Strafschärfung – die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht – ist auch dann gegeben, wenn beide Taten unmittelbar aufeinander folgen. Der Vorsatzwechsel begründet dabei eine hinreichende Zäsur391. Eine restriktive Auslegung im Hinblick auf die Schuldangemessenheit der Strafe ist demnach nicht geboten.

Bsp. (1): T bedroht den O mit einer Waffe und fordert dessen Geldbörse. Bevor O diese übergibt, beschließt T, den O sogleich nach Übergabe zu erschießen, um den Zeugen auszuschalten.

Bsp. (2):392 T verletzt O mit Körperverletzungsvorsatz und geht sodann – wie geplant – zur Tötung über, um eine Strafverfolgung zu verhindern.

130Problematischer gelagert sind Fälle, in denen bereits die Vortat gegen Leib und Leben gerichtet ist. Verdeckungsabsicht ist hier jedenfalls dann zu bejahen, wenn nach der ersten (erfolglosen) Tötungshandlung eine zeitliche Zäsur liegt, so dass nicht mehr von einer einheitlichen Tat gesprochen werden kann.

Bsp.: T schlägt mit einer Flasche auf O ein, wobei er bereits bei diesen Schlägen dessen Tod billigend in Kauf nimmt. Anschließend verlässt T den Tatort. Erst zu Hause befürchtet er die Aufdeckung der Tat. Er begibt sich erneut zu O und tötet diesen. – Verdeckungsabsicht ist zu bejahen, da der vorausgegangene Schlag eine andere Tat darstellt393.

131Verdeckungsabsicht scheidet nach der Rechtsprechung aber in solchen Fällen aus, in denen von Anfang an eine einheitliche Tötungshandlung gegeben ist und keine (deutliche) zeitliche Zäsur gegeben ist394. Dies soll auch gelten, wenn zunächst eine (gefährliche) Körperverletzung mit einer versuchten Tötung, die mit Eventualvorsatz begangen wird, zusammentrifft.

Bsp.:395 T schlägt (wie in Bsp. Rn. 130) mit einer Flasche auf O ein, wobei er dessen Tod billigend in Kauf nimmt. Anschließend tötet er O sofort, um eine Anzeige wegen Körperverletzung zu verhindern.

132Da im vorgenannten Beispiel bereits der erste Schlag vom einheitlichen und nicht durch eine Zäsur unterbrochenen Tötungsvorsatz getragen war, liegt nach der Rechtsprechung eine einheitliche Tötungshandlung vor, so dass T nicht zur Verdeckung einer anderen Straftat handelt. Für diese Lösung lässt sich zunächst der Wortlaut „andere“ Straftat anführen. Auch könnten im Verhältnis zu anderen Fällen ansonsten Friktionen auftreten: Denn es wäre wenig überzeugend, denjenigen (unstreitig) vom Mordmerkmal auszunehmen, der sogleich mit Tötungsabsicht handelt – den Erfolgseintritt dabei aber für unwahrscheinlich hält – und im Anschluss daran durch weitere Tötungsakte zusätzlich zur Verdeckung der vorausgegangenen Schläge handelt, während der Übergang vom Eventualvorsatz zur Tötungsabsicht einbezogen wäre396. Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass dann wiederum derjenige privilegiert wird, der sein Opfer sogleich mit bedingtem Tötungsvorsatz angreift, während derjenige, der nur mit Körperverletzungsvorsatz handelt, wegen Verdeckungsabsicht bestraft werden kann397. Zudem muss man sehen, dass ansonsten eine etwaige Anstiftung (nur) zum zweiten Akt, der nach Rechtsprechung keine eigenständige Bedeutung erlangt, schlecht erfasst werden kann. Letztlich widerspricht die Bejahung der Verdeckungsabsicht auch nicht dem Wortlaut, weil der erste Akt bereits eine vollendete Körperverletzung und damit eine „andere Tat“ darstellt398.

133Diese Grundsätze gelten auch bei nachfolgendem Unterlassen, wenn T etwa den schwer verletzen O mit Verdeckungsabsicht nach dem ersten Schlag mit der Flasche einfach liegen lässt und dieser an den Folgen der Schläge stirbt399. Hier verwirklicht T zunächst § 212 und anschließend einen Mord durch Unterlassen, weil richtigerweise auch der vorsätzliche Begehungstäter Garant kraft Ingerenz ist, so dass es sich letztlich um eine Konkurrenzfrage handelt400. Da mit dem Unterlassen die weitreichendere Vorschrift des § 211 verwirklicht ist, wird § 212 als mitbestrafte Vortat verdrängt401.

Klausurhinweis: Es empfiehlt sich beide Akte – Tun und Unterlassen – chronologisch zu prüfen; ggf. ist dann beim Unterlassen bereits die Garantenstellung zu verneinen. Andernfalls ist § 211 mit Verdeckungsabsicht sowie die Konkurrenzfrage zu erörtern.

134(9) Umstritten ist, ob bei dem Merkmal der Verdeckungsabsicht im Hinblick auf die lebenslange Freiheitsstrafe weitere Korrekturen – etwa in Fällen spontaner und im Affekt begangener Taten – vorzunehmen sind. Bisweilen wird vertreten, die Verdeckungsabsicht als Unterfall des niedrigen Beweggrundes anzusehen und daher eine Gesamtwürdigung zuzulassen402. Angesichts der Bedenken gegen eine Gesamtwürdigung auf Tatbestandsebene ist dies jedoch abzulehnen403. Im Einzelfall ist eine restriktive Tatbestandsauslegung zu bevorzugen, bei Affekttaten kann zudem die innere Tatseite zu verneinen sein404.

Strafrecht - Besonderer Teil I

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