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Berlin, Weißensee

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Dr. Johannes Habrecht löschte das Licht. Morgen war auch noch ein Tag. Neben ihm im Bett schnarchte seine Frau Magda in langen, vibrierenden Zügen. Habrecht hatte vor vielen Jahren aufgehört, sich an diesem Schnarchen zu stören. Jetzt, wo er begann, ein alter Mann zu werden, hatte dieses Schnarchen vielmehr etwas Beruhigendes, Konstantes, einschläfernd Vertrautes. Er mochte Routinen, mochte die Dinge, an die er sich gewöhnt hatte. Er mochte das allnächtliche, gleichmäßige Schnarchen seiner Frau.

Es war nicht immer so gewesen, dass er das Gleichbleibende so geschätzt hatte. Obwohl: Schon seine Jugend im Osten der Stadt war geradlinig verlaufen. Was nicht heißt, dass sie in allem systemkonform gewesen wäre, was auch daran lag, dass er aus einem protestantisch geprägten Elternhaus kam. Wiewohl nie SED-Mitglied, war er lange in der FDJ aktiv gewesen, und aufgrund seiner großen Begabung und weil er, vom Protestantismus abgesehen, nie negativ aufgefallen war, war es ihm gelungen, einen Studienplatz an der Humboldt-Universität zu ergattern, wo er 1987 zu einem kernphysikalischen Thema promoviert hatte. Damals hatte er es sich in seinem Leben bereits bequem eingerichtet, und es hätte von ihm aus so weitergehen können. Er war sich bewusst gewesen, dass die DDR nicht die beste aller Welten war, aber wer hätte das auch erwarten sollen? Immerhin hatte sie einen Dr. Habrecht aus ihm gemacht. Doch dann, 1988, hatte er seine spätere Frau kennengelernt. Er hatte sich verliebt, und das hatte sein Leben durcheinandergewirbelt. Schon ein Jahr später war er mit ihr und Tausenden anderen auf der Straße gestanden und hatte „Wir sind das Volk!“ skandiert. Inmitten dieser unruhigen Tage hatten sie geheiratet und sich gemeinsam beim Neuen Forum engagiert. Da war es ihm gewesen, als sei er aus einem langen Schlaf erwacht und jetzt könne er endlich etwas bewegen, verändern. Dann die Wiedervereinigung: Plötzlich hatte er sich in einer neuen Welt wiedergefunden und sich mit ihr arrangieren müssen. Natürlich hatte ihn diese Welt mehr verändert, als er sie zu verändern vermocht hatte. Er trat der CDU bei und wurde in den Nachwendejahren weit nach oben getragen.

So hatte seine Diplomatenlaufbahn begonnen, die freilich, kaum hatte er einen mittleren Posten im Außenministerium ergattert, wieder ins Stocken geraten war. Auf diesem Posten war er geblieben, bis heute. Sein wiedererstarktes Bedürfnis, Veränderungen nie allzu groß werden zu lassen, hatte seinen Karrieretrieb einschlafen lassen. Alles war anders geworden, doch bald war auch dieses andere wieder altvertraut. Selbst jetzt, nach 25 Jahren, war er sich nicht sicher, ob das Neue wirklich besser war als das Alte. Sicher war nur: Er wollte das Alte nicht zurück. Aber er wollte auch nichts neues Neues mehr. In seiner diplomatischen Funktion hatte er sich seit langem auf eine Vermittlerfunktion für Ostasien spezialisiert, und er machte seine Sache gut, wie es hieß. Er verhandelte dahin und dorthin, hatte tief im Bauch immer das unverrückbare Gefühl, dass sich im Grunde nichts änderte, war aber ganz zufrieden damit. Solange alles blieb, wie es war, würde seine Vermittlertätigkeit jedenfalls gebraucht werden.

Er wälzte sich einmal in seinem Bett herum. Jetzt würde er einschlafen können. Von Magdas Schnarchen in den Schlaf gewiegt.

Ob sein Leben umsonst war? Manchmal hatte er sich das gefragt, früher. Nein, war die Antwort. Denn ohne ihn und sein diplomatisches Geschick wäre womöglich alles schlimmer geworden. Vielleicht war es ja mit sein Verdienst, wenn alles blieb, wie es war. Und das war viel wert auf dieser chaotischen Welt. In seinem tiefsten Inneren war er überzeugt, dass das Universum so angelegt ist, dass das Chaos größer und alles immer schlimmer wird. Und dass es die menschliche Aufgabe ist es, diese Entwicklung möglichst zu bremsen. Als Physiker war er auch überzeugt, dass sich das alles zwangsläufig aus dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik herleiten ließ, der stark vereinfacht besagt, dass die Unordnung im Universum stets zunehmen muss und daran nicht zu rütteln ist. Er wollte ja auch nicht rütteln. Er wollte so gut wie möglich bewahren und das Schlimmere aufhalten.

Er dämmerte dahin und sein Schnarchen mischte sich mit dem seiner Frau zu einer seltsam harmonischen Kakophonie. Doch das beharrlich klingelnde Telefon riss ihn aus seinen beginnenden Träumen.

Er stand schlaftrunken auf und hob ab. „Ja? ... Ach, Sie sind’s ... Probleme, welche Probleme denn? ... Ach so ... Ich sage Ihnen ja, diese Koreaner wissen selbst nicht, was sie wollen ... Jaja, ich weiß, dass Sie das auch wissen. Trotzdem bin wohl ich derjenige, der mal wieder für ...“ Er hielt inne. Schließlich seufzte er. „Gut, verstehe. Ich bin mir durchaus im Klaren, wie sehr es uns wieder zurückwerfen würde, wenn sie das Treffen abblasen. Aber noch ist nichts verloren. Ja, ich werde da sein. Halb elf, chinesische Botschaft. Mal wieder für euch die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Ist gut, dafür bin ich ja da – euer treuer Johannes Habrecht. Gute Nacht gleichfalls, Herr Korff.“

Mal wieder alles richten. Damit alles blieb, wie es war. Das Chaos ein Stück auf Abstand halten. Einen Tag. Dann sehen wir weiter.

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