Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 7
London, Chelsea
ОглавлениеCathy versetzte den Computer in den Ruhemodus, nahm noch einen Schluck aus ihrem Weißweinglas, dann strich sie sich über die Augen. Sie ordnete die Papiere auf dem Schreibtisch, dabei fiel ihr die Einladung des Bankenvereins zum exklusiven Charity-Dinner im Dorchester Hotel in Mayfair in die Hände. Stimmt, da hatten sie sich schon vor ein paar Wochen angemeldet. Ihr Blick fiel auf das Datum und sie erschrak. Das war ja schon übermorgen! Ob Jeremy noch daran dachte? Eigentlich wollte er übermorgen nach Hause kommen. Aber sicher konnte man sich bei ihm nie sein. Bestimmt hatte er das Dinner völlig vergessen. Ihrem zur Muffeligkeit neigenden Göttergatten waren solche Anlässe ja eher egal bis lästig. Sie dagegen liebte Veranstaltungen wie diese: mit einer gewissen Exklusivität, mit Anspruch, edlem Geschmack und interessanten Leuten. Sie gehörten zu den wenigen Dingen, die sie aus ihrem Londoner Mauerblümchendasein zurück ins Leben der Welt rissen, Aufregung und Noblesse in ihren tristen Schnürsenkelregen-Alltag brachten. Wahrscheinlich würde Jeremy zu spät kommen, oder einfach keine Lust haben und nach der langen Reise lieber zu Hause seine Füße hochlegen und statt Champagner seinen Furunkelsalben-Whisky trinken wollen. Ungerührt vermieste er ihr auch noch die wenigen Freuden, die ihr geblieben waren. Aber das würde sie nicht mit sich machen lassen. Beim nächsten Telefonat musste sie ihn unbedingt an das Dinner im Dorchester erinnern und ihm unmissverständlich klarmachen, dass sie mit ihm dort hingehen würde. Wenigstens einmal wieder einen schönen, beschwingten Abend unter der feinen Gesellschaft Londons haben.
Und dann? Wenn das Dinner vorbei war? Wieder der öde englische Alltag? Vielleicht sollte sie wirklich nach Shanghai fliegen, wie Coco ihr vorgeschlagen hatte. Coco würde sich freuen, das wusste sie. Vielleicht könnte sie dort einmal abschalten, alles vergessen. Mit sich ins Reine kommen und über die Beziehung mit Jeremy nachdenken. Sich der Wahrheit stellen, auch wenn sie vielleicht schmerzlich war.
Sie schenkte sich nach. Und, ja, sie würde Kim Park im Krankenhaus aufsuchen. Kim, der in sie verliebt gewesen war, mit dem sie eine einzige, schöne Nacht verbracht hatte, die vielleicht doch kein Fehler gewesen war, wie sie es sich immer einzureden versucht hatte. Kim, der schließlich sein Leben für sie hingegeben hatte, sein menschliches Leben, als ihn die Kugel in seinem Hirn zu einer Art fleischlicher Pflanze gemacht hatte. Vielleicht brauchte er sie. Vielleicht fehlte ihm nur eine mitfühlende Hand, die ihm aufgelegt wurde, und er würde durch sein Koma hindurch spüren, dass da noch jemand war, dass er gebraucht wurde, dass noch nicht alles vorbei war. Sie kannte Geschichten von solchen Heilungen, und man musste kein Wundertäter sein, um so etwas zu vollbringen, denn schließlich gab es, da war sie sich sicher, verborgene psychische Prozesse, vor denen die allzu kopflastigen Mediziner und Wissenschaftler dieser Welt ihre Augen verschlossen, weil sie sie nicht begreifen und steuern konnten.
Doch das waren Träume. Oder nicht? Sie würde morgen früh aufstehen und dann weiter in diesem nassen, kalten, nebligen London mit seinen grauen Menschen mit grauen Gesichtern und grauen, verregneten Seelen auf Jeremy warten und versauern, weil er nicht kam, und sich nur Tag für Tag etwas vormachen. Aber war das denn das Leben? Glauben, es würde irgendwann, bald, anders werden? Dabei wurde sie nur von Tag zu Tag älter und faltiger.
Seufzend stand sie auf, ging ins Bad, sich nachtfertig machen, kroch dann schlotternd in ihr immer noch viel zu kaltes, viel zu großes, viel zu leeres Bett und versuchte lange vergeblich einzuschlafen.