Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 12
Küsnacht
ОглавлениеAls Chloe Bodmer am Morgen aufwachte, war das Bett neben ihr leer. Jonathan war in aller Frühe aufgebrochen und hatte sie, von einem nicht allzu wohlriechenden Abschiedskuss abgesehen, schlafen lassen, und das war auch gut so. Chloe, tendenziell eher ein Nachtmensch, neigte zu Migräne, wenn sie vor acht Uhr geweckt wurde.
Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und stellte sich erst einmal ausgiebig unter die Dusche. Dann ging sie nach unten, um Kaffee zu kochen. Als sie die Zeitung aus dem Rohr zog, fiel ein Kuvert heraus, wie sie, mit Werbung gefüllt, des Öfteren Zeitungen beiliegen. Als sie es aufhob, bemerkte sie, dass es mit drei großen roten Ausrufezeichen versehen war, per Hand mit dickem Edding aufgetragen. Neugierig geworden, griff sie hinein und zog ein Blatt der Berner Zeitung hervor. Ein Artikel war rot umrandet. Er trug die Überschrift: „Bestialischer Mord im Oberland. Marcus B. von Hunden zerrissen?“ Sie erinnerte sich an einen kurzen Bericht in den Nachrichten gestern. Da war allerdings kein Name gefallen. Mit stockendem Herzen las sie weiter.
Grindelwald. Eine schreckliche Entdeckung machte die Polizei gestern in einem Chalet bei Grindelwald. Als sie, auf einen anonymen Hinweis hin, ein abgelegenes Haus an der Oberen Gletscherstrasse inspizierten, stiessen die Polizisten auf die stark verstümmelte Leiche des Berner Unternehmers Marcus B. (31). Die Leiche, die offensichtlich schon seit einigen Tagen dort gelegen hatte, wies zahlreiche Bisswunden am ganzen Körper auf, der rechte Unterarm und ein Teil des rechten Fusses fehlten. Ersten gerichtsmedizinischen Untersuchungen gemäss wurden die Bisswunden von mindestens zwei grösseren Hunden zugefügt. Noch ist unklar, ob sie auch die Todesursache darstellen. Striemen am Hals deuten darauf hin, dass Marcus B. auch gewürgt wurde – mutmasslich waren mindestens zwei Täter an der Gräueltat beteiligt. Noch ist das Tatmotiv völlig unklar. Obwohl auch Wertgegenstände aus dem Haus verschwanden, geht die Polizei nicht von einem Raubmord aus. Die Umstände lassen eher auf einen Rachemord oder eine rituelle Tötung schliessen. Der alleinstehende Berner Unternehmer war zum Skifahren nach Grindelwald gefahren. Bekannte beschreiben ihn als freundlich, aber verschlossen. Über persönliche Feinde oder mögliche mafiöse Kontakte seiner Firma ist nichts bekannt. Denkbar ist allerdings eine Verbindung ins Rotlichtmilieu – Marcus B.s Firma „Princesse bizarre“ handelte mit Intimschmuck und erotischen Accessoires und er soll seine Waren auch direkt in einschlägigen Kreisen vertrieben haben. Die Ermittlungen dauern an.
Marcus B.? 31 Jahre alt? Sie kannte einen Marcus, der so alt war, ein ehemaliger Mitschüler: Marcus Berghof. Chloe setzte sich an den Computer, gab im Suchfenster „Marcus“ und „Princesse bizarre“ ein. Etwa siebzig Funde. In den Meldungen zur Gräueltat war der Nachname immer mit „B.“ abgekürzt, aber die Seiten zur Firma ließen keinen Zweifel: Marcus B. war Marcus Berghof.
Und der hatte mit Intimschmuck gehandelt? Marcus? Dabei war er immer so ein biederes Bübchen gewesen! So geschockt sie auch war zu erfahren, dass er auf eine derart bestialische Weise zu Tode gekommen sein sollte – dass er in so ein Schmuddelgeschäft eingestiegen war, fand sie fast genauso unglaublich, ja, anständige Bankierstochter, die sie war, geradezu empörend. (Dass auch sie, als angesehene Bankierin, ihre Piercings natürlich nur an Stellen tragen konnte, wo sie im normalen Kundenverkehr nicht auffielen, stand für sie auf einem ganz anderen Blatt; Privatsache ist eben Privatsache.)
Marcus – wie lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen? Womöglich schon seit der Matura nicht mehr. Kaum zu glauben, dass sie mal mit dem „gegangen“ war, wie man seinerzeit gesagt hatte. Mein Gott, die Geburtstagsfete bei ihm, Mirjam und sie die einzigen Mädchen, mit Apfelkorn und Flaschendrehen. Wie gut, dass es da noch kein Facebook gegeben hat! Damals, mit fünfzehn, hatte er immer nach Amerika auswandern und Profi-Basketballspieler werden wollen. Was hatte er sie damit genervt! Aber daraus war nichts geworden. Und jetzt handelte er also mit Intimschmuck? Nein. Jetzt war er tot. Aber warum sollte den jemand ermorden? Wie war das nochmal? Von Hunden zerrissen? Was für eine Todesart war das denn? Und, Frage der Fragen, wer hatte ihr das Kuvert in den Briefkasten gesteckt?
Plötzlich lief es ihr kalt über den Rücken. Sie musste an die drei Asiaten gestern denken, mit ihrem wütend kläffenden Hund. Was hatte das alles zu bedeuten? Ihre Haut begann zu jucken, und sie fühlte sich irgendwie schmutzig. Sie musste ins Bad.