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Berlin-Mitte

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Die Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Korea in der Glinkastraße, ein typischer DDR-Plattenbau aus den siebziger Jahren als Geschenk an den sozialistischen Bruderstaat, wirkte nahezu ausgestorben. Stumm lagen auf sechs Stockwerken Zimmer an Zimmer hinter milchigen Fenstern und grauen Vorhängen. Auf dem Dach thronte, weithin sichtbar, eine riesige, mit Querstreben versehene Antenne, die an das Grätengerippe eines Riesenfischs erinnerte.

Einst hatte die Botschaft bessere Tage gesehen. Damals waren hier über hundert Menschen beschäftigt gewesen, für die es sogar ein eigenes Schwimmbad gegeben hatte. Jetzt war nur etwa ein Zehntel davon verblieben; Menschen, die, waren sie alt genug, mit Wehmut auf jene gute alte Zeit zurückblickten. Die meisten Botschaftsangestellten entstammten jedoch einer weit jüngeren Generation. Nach der Wiedervereinigung war die Botschaft zunächst geschlossen und durch ein „Büro für den Schutz der Interessen der Demokratischen Volksrepublik Korea“ ersetzt worden. 2001 waren dann offizielle diplomatische Beziehungen aufgenommen und auf dem alten DDR-Gelände die nordkoreanische BRD-Botschaft eröffnet worden. Das protzige Gebäude war inzwischen jedoch viel zu groß, und das chronisch geldknappe Land hatte entsprechende Konsequenzen gezogen und das Hauptgebäude kurzerhand verpachtet – unter anderem an ein Hostel für Globetrotter aus aller Welt, die nun dort in Achtbettzimmern nächtigten, ohne auch nur zu ahnen, den „Boden“ welches Landes sie da betreten hatten. Die Botschaft selbst war dagegen in das ehemalige Nebengebäude an der Mohrenstraße umgezogen, das für die verbliebenen Mitarbeiter und deren Familien mehr als ausreichte.

Zwar mochte die Botschaft ein gesichtsloser Plattenbau sein, doch stand sie keinesfalls auf geschichtslosem Boden. Am gleichen Ort hatte sich zuvor das Hotel Kaiserhof befunden, eines der Lieblingshotels Adolf Hitlers, von dem es nur wenige Schritte sowohl zum alten Berliner Machtzentrum um die Reichskanzlei in der Wilhelmstraße als auch zum neuen NS-Machtzentrum mit Hitlers Neuer Reichskanzlei in der Voßstraße waren. Was nach dem Krieg noch an Trümmern geblieben war, wurde von der jungen DDR radikal entfernt, der einst für Berlin so zentrale Wilhelmplatz verschwand unter Plattenbauten und im Umkreis wurde das Botschaftsviertel von Ostberlin eingerichtet. Direkt neben der im modernen brutalistischen Stil gebauten Botschaft der Tschechoslowakei in der DDR war etwa zeitgleich das Botschaftsgebäude der Volksrepublik Korea errichtet worden.

Es war in der Botschaft meist ruhig und beschaulich. Was, wie der Botschafter fand, durchaus seine Vorteile hatte. Seit gestern Abend die Delegation aus Pjöngjang eingetroffen war, hatte sich allerdings ein leiser Abglanz der alten Größe und Geschäftigkeit über die Botschaft gelegt, was den jungen Botschafter einerseits stolz machte, andererseits aber mit Arbeit, Stress und Problemen verbunden war.

Der neue Botschafter war erst seit wenigen Wochen im Amt. Was aus seinem Vorgänger geworden war, wusste er nicht. Der hatte bis zu seiner überraschenden Abberufung seine Tätigkeit in aller Ruhe und Diskretion wahrgenommen. Nur einmal hatte er in der deutschen Presse für kleinere Schlagzeilen gesorgt, als er beim Schwarzfischen in der Havel erwischt worden war: Die polizeiliche Aufforderung zur Einstellung seines verbotenen Tuns nahm er, so der Polizeibericht, „wohlwollend und lächelnd zur Kenntnis und setzte die Straftat fort“. Aber solche diplomatische Immunität galt nicht im Heimatland: Ob jenen Vorgänger wohl das gleiche Schicksal ereilt hatte wie dessen Schweizer Kollegen, der nach 22 verdienstvollen Jahren abgelöst worden war, nur um in der Heimat hingerichtet zu werden? Davon berichtete jedenfalls die Propagandamaschinerie der westlichen Medien. Der neue Botschafter verbot sich besser jeden Gedanken daran.

Unterstützt wurde der diplomatisch noch nicht sonderlich erfahrene neue Botschafter von einigen Attachés, Wachsoldaten, Sekretärin nen und sonstigem Personal. Dazu kamen noch die Herren von der „Vereinigungsfront“, einem der mindestens vier nordkoreanischen Geheimdienste. Sie alle befanden sich hier mitten im Feindesland, und das wussten sie. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, Informationen zu sammeln, um den vereinten Angriffen einer neidischen Welt auf ihr geliebtes Heimatland zuvorzukommen, alles zu verhindern, was ihm schaden, und alles zu befördern, was ihm nutzen konnte.

Und ihr Heimatland war vielfach in Gefahr. Nur mit größten Anstrengungen war es sechzig Jahre zuvor im siegreichen Vaterländischen Befreiungskrieg gelungen, den Überfall der räuberischen Yankee-Imperialisten durch die heldenhaften Truppen der Volksrepublik zurückzuschlagen. Dabei hatten sie jedoch die südliche Hälfte ihres Landes verloren, die nach wie vor von den Imperialisten besetzt gehalten wurde. Nach wie vor musste Choson, die Demokratische Volksrepublik Korea, mithin unermüdlich auf das Ziel einer Wiedervereinigung hinarbeiten – unter der weisen Leitung ihres Obersten Führers Kim Jong Un, der bereits in jungen Jahren die Stärke und Führungskraft bewiesen hatte, um die Nachfolge des Geliebten Führers Kim Jong Il anzutreten, des Ewigen Generalsekretärs. Dieser Leitung sich freudig und aufopferungsvoll zu unterwerfen war oberste Pflicht des gesamten Botschaftspersonals. Den Prinzipien der weisen Juche-Politik des Staatsgründers, des Großen Führers und Ewigen Präsidenten Genosse Kim Il Sung, folgend, würden sie alle ihre Lebenskraft unablässig in den Dienst des Obersten Führers stellen. Hatte die Juche-Philosophie doch, über alles Denken von Marx, Lenin und selbst Stalin hinausgehend, bewiesen, dass Choson der Mittelpunkt der Welt und somit als allein in sich ruhendes Land über alle anderen Länder gestellt ist. Dies weckte natürlich den Neid der minderwertigen Staaten und ganz besonders der Yankee-Imperialisten. Angesichts der vielfachen Bedrohung von allen Seiten war aus der Juche-Doktrin konsequent die Songun-Politik gefolgt, seit 2009 das offizielle zweite Standbein des Landes. Und da diese Politik so einfach und einleuchtend ist, enthält schon ihr Name das ganze Prinzip: „Militär zuerst!“

Es hatte geklopft. Der Botschafter rieb sich die Stirn, hinter der ein unangenehmer Kopfschmerz pochte. Es folgte ein energisches „Herein!“. Die Tür öffnete sich und Kyok Kwon Il trat ein.

Er war mittelgroß, Mitte fünfzig und unauffällig korrekt in einen dunkelgrauen Anzug mit einem weißen Hemd und einer dunkelblauen einfarbigen Krawatte gekleidet. Seine wachen Augen funkelten den Botschafter hintergründig an. Kein Zweifel: Er hatte hier einen hochintelligenten – und entsprechend gefährlichen – Mann vor sich.

Sofort sprang er auf, legte die Arme an den Körper und verbeugte sich tief vor dem Eintretenden. Der reagierte mit einer ähnlichen Verneigung, die jedoch nicht ganz so tief ausfiel. Der Botschafter hatte Kyok Kwon Il erst am Vorabend kennengelernt. Ein hochrangiger Diplomat aus Pjöngjang, der als zweiter stellvertretender Delegationsleiter für die inoffiziellen Gespräche mit den Yankee-Imperialisten morgen angereist war. „Ich bin höchst erfreut, dass Sie mich mit Ihrer Anwesenheit beehren, Genosse Kyok Kwon Il.“

Kyok nickte lächelnd. „Ich sehe, Sie bereiten sich auf den Aufbruch vor, Genosse?“ Es lag ein Unterton in Kyoks Stimme, den der Botschafter nicht zu deuten wusste. Woran der andere diese Aufbruchsvorbereitungen ablesen wollte, war ihm zudem unklar.

„Ja. Sie wissen, wie sehr die Chinesen Pünktlichkeit schätzen.“

Kyok nickte und sah den Botschafter an. Der bemerkte ein Aufflackern in den Augen seines Gegenübers, das nichts Gutes zu verheißen schien. Übergangslos begann Kyok: „Ich hatte die unschätzbare Freude, heute Morgen mit einem Anruf aus Pjöngjang beehrt zu werden. Von keinem Geringeren als Generaloberst Choe Ryang Kee.“

Der Botschafter erstarrte. Äußerlich bemühte er sich, sich nichts anmerken zu lassen. Der Generaloberst war einer der höchsten Militärs der fünftgrößten Armee der Welt und folglich ein sehr mächtiger Mann. Dass Kyok Kwon Il zu diesem Mann direkten Kontakt hatte, ließ auch ihn mächtiger erscheinen, als er es dem Protokoll nach war.

Kyok machte eine bedeutungsschwere Pause. „Sie wissen vielleicht, dass es der Generaloberst nicht sonderlich schätzt, wenn Gespräche mit den Yankee-Hunden geführt werden“, fuhr er fort und blickte weiter starr ins Gesicht des Botschafters, in dem sich kein Mienenspiel bemerkbar machte. „Wer auch nur mit ihnen spreche, setze sich dem Pesthauch ihrer Verderbnis aus, mache es dem dekadenten kapitalistischen Virus leicht, überzuspringen. Insofern erübrige sich im Grunde auch das Vorbereitungsgespräch in der chinesischen Botschaft, so die Überzeugung des Generalobersts. Gerade heute, am Tag des strahlenden Sterns, sollten wir die Chinesen lieber meiden, die den Kommunismus verraten und uns so oft düpiert haben.“

Der Botschafter verkrampfte sich innerlich noch mehr. Das fiel Pjöngjang aber früh ein. Das Treffen sollte in einer knappen Stunde beginnen. Warum hatte man ihn, den Botschafter, nicht benachrichtigt? Wie sollte er jetzt reagieren? „Welche Position vertritt, wenn ich fragen darf, Genosse Pak Song Rim in diesem Punkt?“, fragte er steif.

Pak Song Rim war der eigentliche Verhandlungsführer. Ein verdienstvoller hoher Diplomat, der als junger Mann noch im Vaterländischen Befreiungskrieg gekämpft hatte, mittlerweile allerdings hochbetagt und kränklich war, so dass man mit ihm nur noch eingeschränkt rechnen konnte. Gestern Abend bei der kleinen Begrüßungsfeier war er allerdings, soweit sich der Botschafter zu erinnern vermochte, noch äußerst guter Laune gewesen.

„Ich habe ihn heute noch nicht sprechen können.“

„Und Genosse Lee Hyun Hae?“ Lee Hyun Hae war der erste Stellvertreter Pak Song Rims und damit der eigentlich Entscheidungsbefugte, wenn Pak Song Rim verhindert war.

Kyok zuckte die Schultern. Schwieg. Der Botschafter hatte bereits am Abend bemerkt, dass Kyok und Lee einen sehr distanzierten Umgang miteinander pflegten. Nebenbei hatte ihm Lee mit der gebotenen Zurückhaltung deutlich gemacht, dass Seine Exzellenz, der Oberste Führer, große Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme der Gespräche setzte. Den heutigen Termin ungenützt verstreichen zu lassen würde wohl auch das Treffen morgen platzen lassen. Das konnte Lee nicht wollen. Es sei denn, er hatte entsprechende Order aus Pjöngjang. Wo er nur blieb? Wenn sowohl Pak als auch Lee aus irgendwelchen Gründen nicht auftauchten, war der Botschafter in einer sehr schwierigen Lage. Er musste sich Gewissheit verschaffen.

„Handelt es sich bei dem ... äh ... Geäußerten aus dem hochverehrten Munde des Generaloberst Choe also um einen offiziellen Befehl?“

Kyok zögerte. „Ist es nicht die erste Pflicht eines Untergebenen, seinen Vorgesetzten jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und ihn pflichteifrig zu erfüllen?“

Also kein offizieller Befehl. Der Botschafter überlegte. Bei zwei sich widersprechenden gleichrangigen Anweisungen – Derartiges war schon wiederholt vorgekommen – war abzuwägen, welcher Befehlsgeber hochrangiger und mächtiger war, und zudem, das war sehr wichtig, auch zu berücksichtigen, wer wohl in einigen Wochen der Hochrangigere und Mächtigere sein würde. Erschwerend kam hinzu, dass Hochrangigkeit und Mächtigkeit nicht immer dasselbe waren und dass es oft besser war, sich dem Mächtigeren zu beugen, wiewohl die Ranghöhe das eigentlich Ausschlaggebende sein müsste.

Der Fall war auch hier schwierig: Generaloberst Choe Ryang Kee war um ein Vielfaches mächtiger als Lee Hyun Hae. Aber Lee Hyun Hae bezog seine Direktiven wiederum aus dem unmittelbaren Umfeld des Obersten Führers, der hochrangigsten und unanfechtbarsten Stimme der gesamten zivilisierten Welt. Damit war der Fall klar. Zumal von Generaloberst Choe offenbar kein direkter Befehl vorlag.

Der Botschafter sah den zweiten stellvertretenden Delegationsleiter an und sagte dann, jedes Wort sorgfältig wählend. „Ich denke, verehrter Genosse Kyok, wir sollten uns in dieser Sache so verhalten, wie es die übereinstimmende Ansicht der Delegationsleitung ist und wie es dem weisen Willen unseres geliebten Obersten Führers entspricht.“

„Ohne Zweifel“, antwortete Kyok Kwon Il. Dann räusperte er sich: „Es ist nur so, dass ich Sie nicht in die chinesische Botschaft begleiten werde, Genosse. Generaloberst Choe hat mir einen anderslautenden Auftrag erteilt. Entschuldigen Sie mich bitte bei der übrigen Delegationsleitung. Ich bin mir sicher, Sie werden meine Positionen würdig und in meinem Sinne vertreten. Viel Glück! Leben Sie wohl.“ Mit einer nur angedeuteten Verneigung schlüpfte er durch die Tür hinaus.

Der Botschafter sah ihm mit zusammengekniffenen Brauen nach. Dann erhellte sich sein Blick. Da kam jemand. Lee Hyun Hae. Endlich. Mit äußerst knapper Begrüßung waren der erste und der zweite stellvertretende Delegationsleiter aneinander vorbeigegangen.

„Kommen Sie, Genosse Botschafter. Der Wagen wartet bereits. Sie wissen, wie sehr die Chinesen Pünktlichkeit schätzen.“

„Wird der verehrte Genosse Delegationsleiter Pak Song Rim uns begleiten? Gerade er war es ja, der auf das heutige Treffen in der Botschaft bestanden hat, das ansonsten gar nicht erst stattgefunden hätte.“

„Er ist leider ... unpässlich. Sie wissen, die Begrüßungsfestlichkeiten gestern. Der hochverehrte Genosse hat, äh ... das deutsche ... Essen nicht vertragen. Leider ist er momentan nicht bei bester Gesundheit. Ich werde für ihn die Gespräche leiten.“

Der Botschafter nickte und stand auf. Das Essen war eigentlich koreanisch gewesen. Er hatte selbst noch einen dicken Kopf.

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