Читать книгу Korea Inc. - Karl Pilny - Страница 20
Berlin, Insel Schwanenwerder
ОглавлениеJeremy machte, dass er vom Aspen-Haus mit seinem mysteriösen Bewacher wegkam, und ging die Inselstraße zurück. Irgendwie musste er die Hausnummer 40a übersehen haben. Er dachte an die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts in Ost und West und an sein Filmprojekt, das nicht die Verbrechen von Goebbels und Co, sondern die zeitgleichen Untaten der verbündeten Japaner thematisierte. Noch immer war keine einzige Szene gedreht, auch wenn eine der entscheidenden Fragen nun geklärt war. Er musste an Mie denken und an seine Euphorie und Verwirrung vom Vorabend. Sicher hatten da die geistigen Getränke eine Rolle gespielt. Heute, am hellen, klaren Wintertag, würde sich alles in jeder Beziehung viel nüchterner gestalten. Nur schade, dass Mie sich nicht meldete und offenkundig nicht nach Schwanenwerder gekommen war. Nun gut: auch etwas Ernüchterndes.
Dann dachte er an Cathy. Sobald er das Haus seiner Großmutter gefunden hatte, wollte er sie anrufen, direkt an Ort und Stelle. Sie mussten an ihrer Beziehung arbeiten. Dringend. Momentan waren sie eindeutig dabei, sich auseinanderzuleben, auch wenn er sich das meist nicht eingestehen wollte. Wenn es nur mit dem Kinderkriegen geklappt hätte! Bei Cathys erster Fehlgeburt im vergangenen Jahr hatte er sich ihr noch ganz nah gefühlt, hatte das Gefühl, das gemeinsame Unglück habe sie nur weiter zusammengeschweißt. Bei der zweiten schweren Fehlgeburt vor wenigen Wochen war das anders gewesen. Für Cathy war es ein Trauma, und es kam ihm so vor, als könne er seitdem nicht mehr wirklich zu ihr durchdringen. Fast, als würde sie ihm irgendwie die Schuld an ihrem Unglück geben, das er weder von ihr abzuwenden noch körperlich zu teilen vermocht hatte.
Eine überwachsene Einfahrt führte nach links von der Inselstraße ab. Davor ein Holztor mit Schild: „Privatweg. Durchgang verboten“. Hier war er vorhin vorbeigegangen. Jeremy stellte verwundert fest, dass das Tor unverschlossen war. An einem Baum dahinter entdeckte er ein verwittertes Schild. „40a“, daneben ein Pfeil nach rechts. Kurzentschlossen folgte er dem Fahrweg zwischen dicht gepflanzten Tannen, Douglasien und Fichten, bis er an einem weiteren, nun schmiedeeisernen Tor anlangte. Das war verriegelt. Durch kahle Buchen und Birken hindurch konnte er etwa zwanzig Meter weiter ein Gebäude ausmachen. Ja, das war es. Inselstraße 40a. Eine ockergelb gestrichene, gut hundert Jahre alte Villa. Jeremy erinnerte sich an vergilbte Schwarzweiß-Fotos aus dem Fotoalbum seiner Mutter und fühlte sich in der Zeit zurückversetzt. Viele der alten Villen waren nach dem Krieg abgerissen worden, um pompösen Neubauten Platz zu machen. Doch das Geburtshaus seiner Großmutter war stehen geblieben. Schweigend lag das Haus, verwunschen, braune Blätter bedeckten die Zufahrt, die Fensterläden dicht, kein Licht. Dennoch drückte Jeremy auf den Klingelknopf. Nichts geschah. Vermutlich gehörte das Haus inzwischen einem reichen Industriellen, der im Winter auf Ibiza oder Bali residierte. Doch wenn Jeremy jetzt einfach über den Zaun oder die Steinmauer stieg, würde die Alarmanlage losgehen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Halb vier. Zwecklos, noch zu warten.
Er machte ein Foto mit seinem iPhone und wandte sich zum Gehen. Da fiel ihm ein, dass er ja Cathy hatte anrufen wollen. Er wollte gerade wählen, als er ein Geräusch unter den Tannen rechts der Einfahrt hörte. Hinter der Mauer. War doch jemand zu Hause und kam nun, um ihn hereinzulassen? Oder zu verjagen? Eine Gestalt trat aus den Schatten. Zierlich, schwarze Haare, glänzende Mandelaugen, weiblich.