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1.3 Üben ist eine Praxis der Wiederholung

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Die Übung ist eine auf Stetigkeit und Dauerhaftigkeit angelegte Lernform. Einfälle, Zufälle, Ernstfälle und Widerfahrnisse lassen sich nicht üben. Die entscheidende Figur, die die Zeitlichkeit des Übens bestimmt und das Üben vom Lernen unterscheidet, ist die Wiederholung. Alle Übenden können und wissen schon etwas, auf das die wiederholende Übung aufbaut und das in der Gegenwart des Übens iteriert und reaktualisiert wird. Zugleich weist die Gegenwart des Übens über sich selbst hinaus, indem sich in ihrer Praxis eine Gerichtetheit, eine Intention manifestiert, die darauf abzielt, etwas zu können bzw. besser zu können. In dieser Antizipation eröffnet sich ein Zeitraum des Übens zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Gewusstem und Nicht-Gewusstem, Gekonntem und Nicht-Gekonntem. Dieser temporale Kern der Wiederholung lässt sich mit Waldenfels in der Formel von der »Wiederkehr eines Ungleichen als eines Gleichen« (Waldenfels 2001a, S. 7) fassen.

Die Lernsituation der Übung ist also gekennzeichnet von der sinnvollen Wiederholung. Dadurch können Wissen und Haltung ein- und ausgeprägt, Fertigkeiten ausgebildet und Fähigkeiten kultiviert werden. Anders als die Sentenz »üben, üben, üben« suggeriert, ist die sinnvolle Wiederholung aber keine einfache Repetition desselben und auch keine Prozeduralisierung vormals »gespeicherter« kognitiver Regeln. In der Wiederholung kehrt nicht dasselbe noch einmal identisch wieder. Vielmehr scheint es nur so, als ob dasselbe wiederkehrte. Stattdessen ist es die Wiederkehr eines sich Ähnlichen. Nur deswegen sind Variation und Kreativität in der Übung möglich. Streng genommen ist die Wiederkehr eines Identischen im Üben nicht möglich, da in der Zeit schon aufgrund veränderter Kontexte das Wiederholte anders wird bzw. anders ist. Es ist somit die Wiederkehr von scheinbar Identischem, das in der Wiederholung angeglichen und auf die Situation, auf Andere und Ihre Absichten und Intentionen abgestimmt wird. Es gibt somit so etwas wie eine »temporale Differenz« zwischen Erwartung und Erinnerung. »Die Wiederkehr eines Ungleichen als eines Gleichen« (ebd.) wird im Üben thematisch, ausdrücklich oder unausdrücklich. Obwohl in einem unaufmerksamen Zustand jeder Atemzug dem anderen gleicht, erfährt die im obigen Beispiel angesprochene Meditierende in der fokussierten Achtsamkeit auf den Atem, dass jeder einzelne Atemzug ungleich allen vorhergehenden ist. Jeder Atemzug wird als eine Variation der anderen erfahren. In Kapitel 5.2 wird die Zeitstruktur des wiederholenden Übens einer genauen Analyse unterzogen und gezeigt, dass seine Performativität aus einer verändernden Verschiebung resultiert, die Veränderungen und Transformation möglich machen.

Wenn Wiederholung nicht nur als schiere Repetition desselben, sondern als Wiederholung von Gekonntem und Gewusstem mit Ausgriff auf etwas Nicht-Gekonntes und Nicht-Gewusstes gesehen wird, dann werden Transferprozesse relevant. Transfer in der Übung als Ausgriff auf etwas Neues wird nur auf der Basis von Gewusstem und Gekonntem sinnvoll verstanden. Transferprozesse sind für alle Beteiligten eine besondere Herausforderung: Für die Pädagoginnen und Pädagogen, weil sie die Reichweite des Transfers inhaltlich, didaktisch und methodisch bestimmen müssen; für die Übenden, weil sie mit negativen Erfahrungen konfrontiert werden ( Kap. 7.3).

Die Wiederkehr des Übens

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