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1.7 Üben basiert auf Gewohnheit und Habitus

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Geübt werden Fähigkeiten und Fertigkeiten. Es werden aber auch Gewohnheiten und Haltungen im Üben erworben. Als stetige Lernform der Wiederholung hat das Üben einen bewahrenden Charakter. In der Wiederholung werden bestehende Erfahrungen bestätigt und vertieft. Erfahrungen bewirken Sedimentierungen und Habitualisierungen als Handlungs- und Wahrnehmungsdispositionen (vgl. HUA VI, S. 56). Sie ermöglichen und schränken gleichermaßen künftiges und spontanes Handeln ein. In den meisten Theorien des Lernens und der Bildung aber haben Gewohnheiten und Habitus einen schlechten Stand. Sie werden entweder nicht berücksichtigt oder sie gelten als etwas, das »unterbrochen« oder überwunden werden soll. Sie werden aufgrund ihrer leiblichen und gesellschaftlichen Herkunft unter Verdacht gestellt und dualistisch einer »theoretischen Vernunft« (Bourdieu) entgegengestellt. Nur auf letztere könne sich Lernen, Bildung und Kognition verlassen – so eine seit Kant verbreitete, intellektualistische und moralische Argumentation, die sich auf die bis heute verbreitete Assoziationspsychologie stützt.

Buck (2019, S. 215 ff.) macht dies am Beispiel von Kant deutlich. Kants Theorie des Lernens basiert auf Autonomie, Subjekt und Bewusstsein – allesamt theoretische Vorannahmen, die in diesem Buch einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Wenn aber im Lernen, in Bildung und Erziehung »alles auf die bewusste Selbstbestimmung ankommt«, dann kann in der sozial und gesellschaftlich dimensionierten Gewohnheitsbildung nur Fremdbestimmung gesehen werden. Was Kant »den stupiden Mechanismus der Gewohnheit« nennt, ist Resultat einer Theorie des Lernens, die sich seit dem Empirismus des 18. Jahrhunderts am Begriff der Assoziation orientiert. Auch das »Geschehen der Assoziation« gilt als eine mehr oder weniger automatische, nicht-selbstständige und nicht-autonome Leistung (vgl. ebd., S. 216). Löst man Gewohnheitsbildung und Habitus aus dieser normativen, assoziationspsychologischen Klammer und erweitert sie erfahrungstheoretisch, dann wird schnell klar: Gewohnheiten und Habitus basieren wie alle Erfahrungen auf einem Horizont, der als Gestalt, als Körperschema und als Verkörperung ( Kap. 5.1) sowohl Vorerfahrungen, Vorwissen und Vorkönnen als auch Antizipationen, Erwartungen und Hoffnungen umfasst (vgl. Brinkmann 2011a). Gewohnheit und Habitus sind als »Strukturen des Verhaltens« (Merleau-Ponty) weder statisch-determinierende noch ausschließlich konservativ-bewahrende Strukturen. Sie sind beides, eine strukturierte und zugleich eine strukturierende Struktur (vgl. Bourdieu 2014, S. 98 f.). Gewohnheiten sind »schlecht verstanden, wenn man sie nicht auch als intelligente und für Neues offene Fertigkeiten betrachtet. Gerade das Moment der kreativen Offenheit, die die Erfahrenheit eines erfahrenen Menschen ausmacht, lässt sich am besten verstehen, wenn man den Gang der Erfahrung« im Lernen einbezieht (Buck 2019, S. 217; Kap. 4).

Um deutlich zu machen, dass Habitus und Gewohnheit unter erfahrungs- und übungstheoretischer Perspektive durchaus Offenheit für Neues bzw. Möglichkeiten des Horizontwandels beinhalten, werde ich die leiblichen Grundlagen des Übens herausarbeiten und zeigen, dass aufgrund der temporalen Struktur der wiederholenden und negativen Erfahrung ( Kap. 5.2. und 5.3) Gewohnheiten und Habitus als Fundamente und zugleich als Elemente der Transformation im Üben gelten können.

Die Wiederkehr des Übens

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