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c) Inhalt des Subsidiaritätspostulats nach der hier vertretenen Auffassung: Beschränkung auf die Bereiche leicht möglicher individueller Risikovorsorge und insbesondere auf die Wahl der Sanktionen

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Das Postulat der Subsidiarität des Strafrechts gilt damit vor allem dort, wo institutionen- und transaktionskostentheoretische Postulate den Einsatz von Strafe nicht fordern. Konkret verbleiben für das Wirtschaftsstrafrecht damit vor allem drei Kernbereiche, in denen der Gedanke der Subsidiarität weiterhin Geltung beanspruchen kann:

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Der erste Bereich setzt sich aus all denjenigen Feldern zusammen, auf denen die staatliche Risikoverteilung durch andere Handlungssysteme zumindest gleichermaßen wirksam durchgesetzt bzw. die Verletzung der hoheitlich geschützten Interessen durch andere Maßnahmen sicher verhindert werden kann, ohne individuelle Freiheiten übermäßig einzuschränken. Tatsächlich sind solche Bereiche, in denen auf eine strafrechtliche Flankierung gänzlich verzichtet werden kann, freilich nur sehr beschränkt vorstellbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn man auch solche Handlungssysteme ausschließt, die, um den Rückgriff auf das Kriminalstrafrecht zu vermeiden, auf andere Haftungssysteme zurückgreifen wollen. Solche Strategien sind schon deshalb ganz prinzipiell abzulehnen, weil damit ein Strafrecht im weiteren Sinne außerhalb der besonderen Garantien des Strafrechts im engeren Sinne etabliert werden könnte[390].

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Der zweite Bereich beschreibt Situationen, in denen die Einzelnen mit einfachen Mitteln selbst in der Lage sind oder sich durch Lernprozesse und eigene Risikovorsorge leicht in die Lage versetzen können, Beeinträchtigungen durch Dritte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu vermeiden: Wo eigene Risikovorsorge leicht möglich ist, zieht die private Risikovorsorge nur geringe Transaktionskosten nach sich. Ein Eingreifen hoheitlicher Sanktionsmechanismen lässt sich daher nur schwer legitimieren. Hoheitliche Sanktionen könnten zwar noch aus sozialstaatlichen Erwägungen legitimiert werden, indem darauf abgestellt wird, dass auch und gerade der schwächer gestellte Wirtschaftsteilnehmer des Schutzes durch die Institutionen der Gemeinschaft bedarf. Diesem Einwand wurde freilich durch die Beschränkung des Subsidiaritätspostulats auf die Bereiche einfacher und leicht möglicher individueller Risikovorsorge bereits Rechnung getragen. So würde etwa die grundsätzliche Bestrafung übertreibender Werbung schon deshalb gegen das Postulat der Subsidiarität staatlichen Strafens verstoßen, weil innerhalb der Gesellschaft ständig und großflächig Lernprozesse im Gang sind, aufgrund derer der Einzelne mit solchen Werbeaussagen umgehen können muss.

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Der dritte verbleibende Kern des Subsidiaritätspostulats liegt bei der Wahl der Sanktion: Hier erlangt der – in der bisherigen Darstellung eingeebnete – Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeiten und Strafrecht seine innere Berechtigung[391]. Vor jeder Sanktionierung eines Verhaltens mit Kriminalstrafe muss demnach die Frage beantwortet werden, ob dieses Verhalten hinreichend qualifizierte Bedingungen erfüllt, um mit dem kommunikativen Unwertgehalt sanktioniert zu werden, der mit der Kriminalstrafe zum Ausdruck gebracht wird. Verlangt ein Verhalten nur eine Sanktion zur rein faktischen Normbestätigung – oder deutlicher noch: zur Bestätigung einer bloßen Ordnungsentscheidung des Gesetzgebers – etwa der folgenlose Verstoß gegen Vorschriften für Gefahrgütertransporte –, ist eine Kriminalstrafe regelmäßig nicht zu legitimieren. Anders ist dies, wenn neben der Ordnungsentscheidung des Gesetzgebers konkrete Individualinteressen beeinträchtigt werden – etwa bei Verätzungen der Atemwege von Dritten durch Giftdämpfe infolge des Unfalls eines ungesicherten Gefahrguttransports[392]. Gleiches gilt für den Einsatz von Strafrecht zum Schutz anderer als elementarer Voraussetzungen individueller Freiheiten und für den Einsatz des Strafrechts zum Schutz wirtschaftsethischer Axiome wie z. B. Marktneutralität oder Fairness[393]. Fragmentarisch einzelne Rechtsgutsverletzungen, etwa weil sie phänomenologisch seltener vorkommen, überhaupt nicht zu sanktionieren, ist dagegen schwer begründbar.

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › C › III. Konvergenz rechtlicher, strafrechtlicher und ökonomischer Steuerungssysteme

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