Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 12
SIEBEN
ОглавлениеValentina kam auf der Couch ihrer Nachbarn zu sich.
Für einen Moment lag sie benommen da, versuchte zu verstehen, wie es sie in deren Wohnzimmer verschlagen hatte.
»Walle?«, hörte sie Gertis besorgte Stimme. »Wie geht es dir?«
Sie fühlte sich verschwitzt und gerädert. Verwirrt und desorientiert wie nach einem Traum. Einem schlechten Traum.
Sie wandte sich ihrer Nachbarin zu. Auf Gertis Schoß hockte Lennard. Seine Augen waren gerötet, sein Gesicht von Tränen verquollen. Seine Schwester, die neben ihm kauerte, bot den gleichen verheulten Anblick.
Alles in Valentina verkrampfte sich.
Am Gartentor zu ihrem Grundstück tauchte Helmar auf. Mit hastigen Schritten durchquerte er seinen Garten bis zur Veranda, wo er durch die offene Schiebetür ins Wohnzimmer trat. Unvermittelt blieb er stehen, nur ein großer, kräftiger Schemen vor dem hellen Sonnenlicht.
Bitte, mit zusammengekniffenen Augen schaute Valentina zu ihm auf. Bitte sag mir, dass es nur ein Albtraum war!
Helmar wischte sich die Stirn. »Walle, es …« Seine Stimme erstarb.
»Nein!«, presste Valentina hervor. »Nein!«
»Es …« Helmar tat einen Schritt auf sie zu. Sonnenstrahlen streiften sein Gesicht. Es war schreckensbleich. »Es tut mir so leid.« Mit diesen Worten stolperte er zum Telefon.
»Nein!« Ein Schluchzen durchzuckte Valentinas Körper wie ein elektrischer Schlag.
»Walle!« Gerti wollte zu ihr. In der gleichen Sekunde begann Lennard auf ihrem Arm, wieder zu weinen.
Heulend stürzte Mia auf ihre Mutter zu.
»Nein! Nein!« Valentina schluchzte und schrie.
Sie bekam kaum mit, wie ihre Kinder sich an sie klammerten. Wie ihre Nachbarn sie verzweifelt zu beruhigen versuchten. Sie hörte weder die Sirenen, die sich näherten, noch den Türgong, der wiederholt ertönte. Sie sah die Menschen nicht, die das Haus betraten, konnte ihre Stimmen kaum wahrnehmen, ihren Worten nicht folgen, ihren Fragen.
Sie sank auf der Couch zusammen – ihre Glieder schwer wie Blei, ihre Gedanken von tiefer Müdigkeit vernebelt.
»Walle?« Eine Stimme durchdrang den Dunst.
Sie öffnete die Augen. Ihre Zunge klebte am Gaumen. »He… Helmar?«
»Wie fühlst du dich?«
»Wo … wo …«
»Keine Sorge, die Kinder sind mit Gerti in der Küche. Nane ist bei ihnen, eure Nanny um halb 8 gekommen wie jeden Tag und …« Er holte schnaufend Luft, als fiele ihm das Weiterreden schwer. »Wie geht es dir?«
»Es ist so …«, ihre schläfrige Stimme leierte, »so …«
»Der Notarzt hat dir eine Beruhigungsspritze gegeben.«
Sie versuchte sich an den Arzt zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Sie wollte etwas sagen, aber aus ihrer trockenen Kehle löste sich nur ein Röcheln, und sie hatte den Gedanken auch bereits wieder vergessen.
»Du musst was trinken«, sagte Helmar. »Ich hole dir ein Glas Wasser aus der Küche.«
Valentina blieb allein zurück und versank wieder in ihrem Nebel.
Die Verzweiflung fühlte sich unwirklich an, selbst ihr Körper, den sie unter einer Decke auf dem Sofa nicht spürte. Als gehörten Arme und Beine nicht mehr zu ihr.
Sie nahm eine Bewegung wahr.
Schwerfällig neigte sie ihren Kopf zur Seite und entdeckte zwei Streifenbeamte, die im Durchgang zum Foyer standen. Sie traute ihren Augen nicht, blinzelte, doch die Polizisten blieben, wo sie waren. Der eine war schlaksig mit Halbglatze, der andere stämmig mit einem pelzigen Schnauzbart.
Ein Mann in zerknitterter Bundfaltenhose, zerbeultem Jackett und mit ungekämmten grauen Haaren gesellte sich zu den beiden. Sie wechselten einige Worte.
»Frau Starke?«
Valentina brauchte einen Augenblick, bis sie begriff, dass der Neuankömmling jetzt mit ihr sprach.
»Frau Starke?«
Sogar ihr eigener Name klang fremd in ihren Ohren.
Der Mann kam auf sie zu. Im Gegensatz zu seiner nachlässigen Kleiderwahl stand sein mächtiger Schnurrbart, der zu zwei preußisch-akkuraten Speerspitzen gezwirbelt war. »Ich bin Kriminalhauptkommissar Berger und das«, er zeigte auf einen jungen, schlaksigen Mann in Lederjacke, der aus seinem Schatten trat, »ist mein Kollege, Kriminalkommissar Gesing. Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?«
»Nein, das kann sie nicht!« Helmar stapfte mit einem Glas Wasser herein.
Der Kommissar schaute Valentina an. »Frau Starke?«
»Ich …«, mühsam stammelte sie gegen ihre Apathie an, »ich …«
»Walle!« Helmar baute sich vor ihr auf. »Du stehst unter Schock.«
»Es ist wichtig«, sagte der Kommissar. »Frau Starke?«
Valentina mühte sich zu einem Kopfnicken. Grummelnd ließ Helmar sich neben ihr nieder.
»Wir würden gern allein mit ihr sprechen«, sagte der Kommissar.
Mit einem verärgerten Schnauben drückte Helmar ihr das Wasserglas in die Hand und verließ den Raum.
»Frau Starke«, der Kommissar setzte sich auf das gegenüberliegende Sofa, sein Kollege blieb stehen. »Können Sie uns sagen, was in Ihrem Haus geschehen ist?«
Valentinas Blick glitt hinaus in den Garten und hinüber zu ihrem Grundstück. Ihr Haus lag im gleißenden Sonnenlicht, die Bäume und die Sträucher standen in voller Pracht. Ein Blumentraum …
»Frau Starke?«
… im Grunewald. Sie blinzelte verwirrt.
»Frau Starke«, sagte er, »was ist in Ihrem Haus geschehen?«
Sie dachte nach, ihr trüber Kopf verweigerte jedoch einen klaren Gedanken. »Ich …«, ihr Mund war noch immer staubtrocken und sie nippte am Wasserglas. »Ich weiß nicht.«
»Sie haben Ihren Mann heute Morgen in seinem Arbeitszimmer gefunden, richtig?«
Eine Erinnerung blitzte in ihr auf, und sie spürte einen spitzen Schmerz im Magen, der sich gleich darauf wieder in ihrer Müdigkeit verlor.
»Frau Starke«, sagte der Kommissar. »Haben Sie meine Frage verstanden?«
Sie versuchte sie sich ins Gedächtnis zu rufen. Heute Morgen? Wieder deutete sie ein schwaches Nicken an.
»Warum sind Sie in sein Zimmer gegangen?«
Irritiert schaute sie ihn an.
»Haben Sie ein Geräusch gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht erinnern.
»Oder jemanden gesehen?«
Noch ein Kopfschütteln.
Zerknirscht rieb sich der Kommissar seinen Schnauzbart.
»Auf dem Fußboden im Arbeitszimmer lag dieses Telefon«, sagte sein Kollege und hielt einen Plastikbeutel hoch. »Gehört es Ihnen?«
Valentina betrachtete das Smartphone. Ja, das kam ihr bekannt vor. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wie es in das Arbeitszimmer gelangt war. Hatte sie es dort verloren?
»Frau Starke, ist das Ihr Handy?«
Sie nickte.
»Gut, damit haben wir wenigstens das schon mal geklärt.« Der Kommissar nahm die Tüte mit dem Handy an sich und legte sie auf den Tisch. »Eine andere Frage ist, äh, ach so, genau: Was hat Ihr Mann heute Morgen in dem Zimmer gewollt?«
Daran erinnerte sie sich, weil Georg das jeden Morgen tat. »Arbeiten.«
»Um diese Uhrzeit?«
»Er … er ist immer … früh wach.« Erneut glaubte sie sich zu erinnern. Daran, wie sie selber jeden Morgen erwachte, weil sich Georg aus dem Schlafzimmer schlich.
Drück mich noch mal.
Plötzlich trübten Tränen ihren Blick. Das Wasserglas drohte ihren Händen zu entgleiten.
Der Kommissar stellte es auf den Tisch. »Wer wusste außerdem –«
»Ist das die Möglichkeit?!«, unterbrach ihn eine wütende Stimme aus dem Foyer.
Helmar sprach beruhigend auf sie ein.
»Haben Sie das denn nicht gesehen? Diese Reporter?«
Noch ehe die beiden Streifenbeamten ihr den Weg ins Wohnzimmer versperren konnten, stöckelte eine Furie herein. »Meine Güte, Walle!«
Durch ihre Tränen spürte Valentina Arme, die sie umschlangen.
»Ich hab auf dich gewartet, das Frühstück und dann … dann hab ich es im Radio gehört. Es ist so … so schrecklich.«
Der Kommissar ließ einige Sekunden verstreichen, bevor er fragte: »Und wer sind Sie?«
»Amelie Kunstmann.« Amy löste ihre Umarmung, kramte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und drückte es Valentina in die Hände. »Ihre Freundin. Und Sie?«
»Kriminalhauptkommissar Berger«, stellte er sich vor. »Und mein Kollege Gesing. Wir würden Frau Starke gern noch einige Fragen stellen.«
»Nur zu.«
»Allein, bitte.«
Amy setzte zu einer Erwiderung an.
»Mit Ihnen«, kam ihr Kommissar Gesing zuvor, »werden wir uns anschließend unterhalten.«
Er wartete, bis Amy den Raum verlassen hatte. »Frau Starke, war Ihr Mann heute Morgen verabredet?«
Valentina ließ das Taschentuch sinken, mit dem sie sich die Augen trocknete. Verwirrt sah sie den Polizisten an.
»Ich formuliere meine Frage anders: Wer wusste davon, dass sich Ihr Mann immer so früh in sein Arbeitszimmer begab?«
Valentina hielt das Taschentuch zwischen ihren verschränkten Händen. Sie hatte keine Ahnung, worauf der Mann hinauswollte.
Dieser erklärte: »Soweit wir das bisher erkennen können, gibt es keine Einbruchsspuren an Fenster und Türen. Ihr Mann muss ihn also ins Haus gelassen haben, vermutlich, weil er ihn gekannt hat.«
»Wen?«
»Seinen Mörder.«
Valentina zuckte zusammen. Mörder. Das Taschentuch entglitt ihren Händen.
»Deshalb müssen wir Sie das fragen: Haben Sie eine Ahnung, wer ihm das angetan haben könnte?«
Valentinas Finger verkrampften sich ineinander. Der Ehering bohrte sich in ihre Haut. Eine erste Ahnung des Begreifens stellte sich ein.
Georg ist tot. Ermordet.
Wer sollte ihm so etwas antun?
»Hatte Ihr Mann Feinde?«, fragte Kommissar Berger.
»Nein«, murmelte Valentina, »er …«
»Wurde er bedroht?«
»Nein …«
»Gab es in letzter Zeit …«
»Nein, nein …«
»Aufhören!« Helmar betrat den Raum. »Sie sehen doch, das alles ist zu viel für sie.«
»Wenn Sie möchten«, erwiderte Kommissar Berger, »verständigen wir einen Psychologen oder Seelsorger.«
»Darum werden wir uns kümmern.«
Bevor er sich erhob, legte Kommissar Berger eine Visitenkarte auf den Tisch. »Falls Ihnen noch etwas einfällt …«
Die Buchstaben verschwammen vor Valentinas Augen. Dankbar zog sie sich wieder in ihren Nebel zurück. Nur bruchstückhaft bekam sie den Wortwechsel zwischen Helmar und den Polizisten mit.
»… Kriminaltechniker sind beschäftigt.«
»… nicht ins Haus zurück.«
»… Angehörige?«
»… Eltern bei einem Unfall gestorben.«
»… sie bei Ihnen?«
»Nein!«, rief Amy. »Selbstverständlich kommt sie mit den Kindern zu mir!«