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FÜNFZEHN

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Valentinas Trauer war wie fortgeblasen.

Wo ist Lennard?

»Keine Sorge«, antwortete Amy. »Er ist mit Nane zum Spielplatz.«

Noch während ihre Freundin sprach, sprang Valentina vom Bett. Sie schlug sich den Zeh am vorspringenden Bettrahmen, ohne den Schmerz wirklich zu spüren.

»Was hast du vor?«

Valentina rannte ins Treppenhaus, hetzte die Stufen hinunter und stolperte hinaus auf den Bürgersteig. Die Nachmittagssonne hing tief über den Dächern und blendete sie. Ein hektischer Blick nach links, ein Blick nach rechts – sie überquerte die Straße.

Zwei Polizisten entstiegen einem Streifenwagen.

Auf dem Spielplatz buddelten ein paar Kinder im Sandkasten. Juchzend schwang ein Junge auf der Schaukel. Vor einer Parkbank stand ein Kinderwagen. Das Baby lag im Arm seiner Mutter und nuckelte an seinem Fläschchen.

Von Lennard war nichts zu sehen.

Valentinas Herz klopfte. »Lennard!«

Mütter und Väter drehten sich zu ihr um.

»Lennard?«

»Mama!« Ihr Sohn kraxelte in einem Häuschen herum, aus dem sich eine Rutsche zu Boden schwang.

Einige Schritte weiter lehnte Nane an einem Baum, vertieft in ein Telefonat.

Schwankend zwischen Erleichterung und Zorn stürzte Valentina auf ihren Sohn zu.

Lachend glitt er die Rutsche hinab in ihre Arme.

»Oh Gott, Lenny.« Sie drückte ihn an sich, küsste ihn auf die Wange, die Stirn, seinen Mund.

Er quietschte vor Vergnügen. »Noch mal rutschen, Mama!«

»Frau Starke?« Nane steckte ihr Telefon ein und klemmte sich eine widerborstige rote Strähne hinters Ohr. »Ist alles in Ordnung?«

»Verdammt, nein, du musst auf Lennard aufpassen!«

»Aber ich …«

»Und nicht mit Gott und der Welt herumtelefonieren.«

»Ich … ich habe nur meine Eltern angerufen. Ihnen gesagt, dass es heute Abend etwas später wird, weil … weil doch …« Sie brach ab.

Valentina verstand dennoch und ihre Wut erlosch. »Es tut mir leid, Nane, ich wollte dich nicht anschreien, ich … ich …« Sie spürte die Blicke der anderen Leute. »Können wir bitte einfach wieder ins Haus gehen?«

»Nein, Mama, rutschen!«, verlangte Lennard.

»Später, Lenny, okay? Bis dahin bleibst du in der Wohnung.«

»Darf ich malen?«

»Soviel du willst.« Valentina trug ihn zurück zum Haus.

Vor dem Eingang warteten die Streifenbeamten.

»Frau Starke«, sagte der eine, schlaksig, blass, mit Ringen unter den Augen und einer Halbglatze, »ich bin Polizeiobermeister Sasse und das ist mein Kollege Marxner …«

Valentina glaubte sich an ihn zu erinnern, auch an seinen Kollegen, stämmig mit einem Schnauzbart. Beide hatte sie im Haus ihrer Nachbarn gesehen.

»… und wir wollten Ihnen nur sagen, dass Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Wir passen auf Ihren Sohn auf.«

Sie fragte sich, was er mit dieser Ansprache bezwecken wollte. Falls seine Worte sie beruhigen sollten, verfehlten sie ihr Ziel. Sie hatte Angst. Furchtbare Angst.

»Mir ist lieber, ich habe ihn bei mir.« Sie lief mit Lennard ins Haus.

In der Wohnung hörte sie ihre Tochter weinen. Mia saß auf der Couch, tränenüberströmt und mit blutiger Lippe. Leon tröstete sie.

»Walle«, sagte Amy vorwurfsvoll. »Glaubst du nicht, du hast etwas überreagiert?«

»Nein. Das glaube ich nicht.«

»Aber …«

»Mama«, quengelte Lennard, »darf ich jetzt malen?«

»Gleich.«

»Wann denn?«

»Na komm, Lenny«, Nane brachte ihn in die Küche. »Ich kümmere mich darum.«

Valentina sank neben ihrer Tochter auf die Couch. Sofort legte sich Mia in ihren Schoss.

»Walle«, sagte Amy.

Valentina ließ sie nicht ausreden. »Was hat er gesagt?«

»Äh, wer?«

»Dieser Kommissar. Vorhin bei Gerti und Helmar.«

»Was hätte er sagen sollen?«

Valentina versuchte sich an das Gespräch zu erinnern, aber da waren nur bruchstückhafte Fetzen. »Sind wir … sind die Kinder in Gefahr?«

»Nein, davon war keine Rede.«

»Aber wenn keine Gefahr droht, wozu …«

»Es ist nur zu deinem Besten«, meldete sich Leon zu Wort. »Solange die Polizei nicht weiß, wer und warum Georg«, er japste und schüttelte fassungslos den Kopf, »also, solange gewähren sie dir und den Kindern Polizeischutz.«

Abermals war sich Valentina nicht sicher, ob diese Erklärung sie beruhigen sollte. Allerdings fiel ihr nichts ein, was sie hätte erwidern können. Die zurückliegenden Stunden, der Schock, die Verzweiflung, jetzt noch ihre Angst … Sie hielt es nicht mehr aus.

Mia presste sich dicht an sie.

»Walle«, sagte Leon, »wenn du möchtest …«

»Ich möchte alleine sein!«, platzte es aus ihr heraus.

»Brauchst du …«

»Die Kinder brauchen mich jetzt.«

Leon schaute aus, als wollte er einen Einwand erheben.

»Sie hat recht«, sagte seine Frau.

Er nickte. »Natürlich, entschuldige Walle, das alles ist so … Oh verflixt!« Niedergeschlagen schleppte er sich zur Tür.

Auf halbem Weg drehte sich seine Frau noch einmal um. »Walle?«

Valentina schaute zu ihr auf.

Charlotte zögerte, als fehlten ihr die Worte, was durchaus untypisch für sie war. »Ich weiß«, sagte sie schließlich, »wir beide hatten unsere Schwierigkeiten …« Ihre Stimme erlahmte.

Vielleicht weil ihr bewusst wurde, dass dies der falsche Ausdruck war, weil sie in Wahrheit nämlich gar nichts miteinander hatten, nicht einmal mehr Schwierigkeiten.

»Aber wir sollten sie jetzt überwinden«, fügte sie hinzu, gefolgt von einer weiteren Pause, als erwartete sie eine Bestätigung. Dabei war sie es, die Schuld an allem trug, und auch dessen war sie sich zweifellos bewusst.

Valentina nickte. Das Allerletzte, was sie gerade brauchte, war ein Gespräch mit ihrer Schwägerin über ihr zerrüttetes Verhältnis.

»Wenn ich dir, also …« Charlotte zupfte unsichtbaren Staub von ihrem Kostüm, atmete durch, als kosteten sie ihre nächsten Worte Überwindung. Dann straffte sie ihren Rücken und war wieder die Alte, perfekt manikürt, akkurat frisiert, unerschütterlich. »Wenn ich dir und deinen Kindern helfen kann, dann lass es mich bitte wissen, ja?«

Valentina beließ es bei einem neuerlichen dankbaren Nicken.

Ihre Schwägerin deutete ein mitfühlendes Lächeln an, bevor sie ihrem Mann nach draußen folgte.

»Ich hole dir einen Tee«, sagte Amy, »und du solltest auch etwas essen.«

Allein bei dem Gedanken an Essen wurde Valentina übel.

Lennard tapste ins Wohnzimmer. Seine Hände waren mit Farbe beschmiert. »Mama, wann gehen wir nach Hause?«

Valentina verspürte einen Stich.

Nach Hause?

Was um alles in der Welt sollte sie ihm antworten?

»Junger Mann«, Nane bugsierte ihn zurück in die Küche. »Hast du deine Hände gewaschen?«

Valentina spürte das Gewicht ihrer Tochter auf ihrem Schoss. Mit Tränen in den Augen schaute sie zum Fenster.

Inzwischen ging die Sonne hinter den Häusern unter. Schatten krochen aus den Zimmerecken. In der Dunkelheit lauerten Schmerz, Trauer und Angst.

Wie sah ihr Zuhause zukünftig aus – ohne Vater, ohne Georg?

»Hier, dein Tee.« Amy stellte eine dampfende Tasse und einen Teller mit Zwieback auf den Glastisch. Daneben legte sie einen Plastikbeutel.

Verwundert betrachtete Valentina das Handy darin.

»Der Kommissar hat es dir zurückgegeben, erinnerst du dich nicht?«

»Dunkel.« Valentina griff nach dem Telefon. Es blinkte blau. Etliche Anrufe waren eingegangen, außerdem einige WhatsApp-Nachrichten.

»Ich … ich muss Mias Lehrerin anrufen«, hörte sie sich sagen.

»Wie bitte?«

»Der Reitlehrerin Bescheid geben. Unserer Haushälterin.«

»Was redest du da?«

»Und dem Gärtner.« Ihr fiel die Lesung in der Berthold-Schule ein. Das geplante Charity-Event, das Treffen mit dem Orga-Team, Rebecca und Margret.

Oh Gott, wie sollte sie ihr Leben in Zukunft meistern?

»Ich kümmere mich um alles«, sagte Amy, als wüsste sie um ihre Gedanken. »Du hast jetzt … Nun … Die Kinder brauchen dich. Und bevor du …«

Es klingelte an der Tür. Amy ging in die Diele.

Kurz darauf führte sie Kommissar Berger und seinen Kollegen Gesing ins Wohnzimmer.

»Frau Starke«, die beiden Beamten schauten sie ernst an, »wir müssen dringend mit Ihnen reden.«

Brandstifter

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