Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 23
ACHTZEHN
ОглавлениеDavid wartete. Von seinem Sohn kam keine Reaktion.
Draußen senkte sich die Sonne dem Abend entgegen. Schatten stahlen sich in das Zimmer.
Trotzdem stierte Jan auf den Comic, den er auf seinem Schoß aufgeschlagen hielt. Ein Lucky Luke, ein Geschenk, das ihm Richard bei einem seiner letzten Besuche gemacht hatte.
David fragte: »Was meinst du? Sollen wir raus zum See?«
Jan schlug eine Seite seines Comics um.
»Enten füttern. Steine flitschen. Das macht dir doch immer Spaß.«
Jan blätterte weiter.
David ließ einige Zeit vergehen, bevor er sagte: »Tobse hat mir erzählt, was passiert ist. Worüber hast du mit Winnie gestritten?«
Und noch eine Seite, in einer Geschwindigkeit, die kaum Zeit ließ, die bunten Bilder zu erfassen.
»Jan!«
»Nichts!« Durch den Luftschlauch klang Jans Stimme nasal.
»Ihr habt euch wegen nichts gestritten?«
Jan nickte und der Schlauch löste sich von seinem Gesicht.
David griff danach.
Sein Sohn war schneller. Mit einem Schnaufen packte er den Plastikschlauch und pfropfte ihn sich wieder an die Nase.
Mittlerweile benötigte er die Sauerstoffinsufflation nicht mehr regelmäßig, meist nur dann, wenn ihn etwas stresste.
Das war ein Fortschritt im Vergleich zu der Zeit vor einem halben Jahr, als noch rund um die Uhr Schläuche in seiner Luftröhre gesteckt hatten. Weil er selbstständig überhaupt nicht hatte atmen können. Weil er gerade erst dem Tod entronnen war.
David bemerkte Schorf am Kinn seines Sohnes. »Was hast du da?«
Sofort sackte Jans Kopf herab.
»Bist du gestürzt?«
Keine Antwort.
»Hat dir jemand wehgetan?«
Nichts.
»Jan! «
Jan murmelte etwas.
David fragte: »Wie bitte?«
»Er ist doof!«
»Wer? Winnie?«
»Ich kann ihn nicht leiden.«
David war überrascht. »Ich dachte, er ist dein Freund.«
»Jetzt nicht mehr!« Jan schnappte nach Luft.
»Und warum?«
»Darum.«
»Das ist keine Antwort.«
Jan zuckte mit den Schultern. Diesmal hielt er den Schlauch an seiner Nase fest. Sein Blick war auf das Comic-Heft gerichtet.
»Okay«, David atmete durch, »meinetwegen, ihr habt euch gestritten, aus welchem Grund auch immer, das ist in Ordnung. Das kann passieren. Was nicht passieren darf: Dass du ihn schlägst. Oder noch schlimmer, ihn aus seinem Rollstuhl schubst.«
Jan blätterte eine Seite weiter.
»Du solltest am besten wissen, dass dabei wer weiß was hätte passieren können, meinst du nicht auch?«
Jan schlug noch eine Seite um.
»Jan, bitte, mach es uns nicht schwerer, als es ist.«
Noch eine Seite.
»Warum verhältst du dich wie ein kleines, bockiges Kind, das …«
Die Zimmertür klappte auf.
Verschüchtert fuhr Winnie mit seinem Rollstuhl herein. Nur kurz schaute er zu Jan, bevor er sich auf David konzentrierte. »Tobse hat gesagt, wenn Sie gehen, dann soll Jan beim Essen helfen.«
Jan schleuderte seinen Comic beiseite und setzte sich in Bewegung. Die Gummireifen seines Rollstuhls quietschten.
»Warte!« David hielt ihn zurück. »Hast du Winnie nicht noch etwas zu sagen?«
Jan presste die Lippen aufeinander.
»Jan!«
»Tschuldigung«, flüsterte er. Dann fuhr er zur Tür.
Flieg, flieg, klingelte Davids Smartphone, fahr aus der Haut.
Der Anrufer war Richard. David drückte ihn weg.
Sein Sohn erreichte den Flur.
David folgte ihm und versperrte ihm den Weg. Er ging in die Hocke. »Jan, bitte, ich weiß, wie du dich fühlst, wirklich, aber so wie du dich aufführst, machst du dir keine Freunde.«
»Will ich sowieso nicht.«
»Willst du lieber wieder ins Krankenhaus?«
»Ist mir egal.«
»Nein, ist es nicht, denn dort hat es dir noch viel weniger gefallen, hast du das vergessen? Hier dagegen hast du Freiheiten, Freunde, Spaß. Willst du dir das alles verderben?«
Jan hob sein Gesicht. Ihre Blicke trafen sich.
David erschrak über die Wut in den Augen seines Sohnes.
Jan griff an die Räder seines Rollstuhls und schlug einen Bogen in die Küche. Nur sein Quietschen war noch zu hören.
Flieg, flieg, fahr aus der Haut.
Auf dem Weg zum Ausgang nahm David den Anruf entgegen. »Richard?«
»Hast du Zeit?«
»Ich bin bei Jan.«
»Ich fasse mich kurz: Vielleicht erinnerst du dich an die große, internationale Wissenschaftskonferenz, die bis vor vier Tagen in Berlin ausgerichtet wurde.«
»Mhm.«
»Einer der Teilnehmer, Dr. Sven Scheder aus Augsburg, ist seitdem verschwunden.«
Einige Schritte weiter bemerkte David seinen Sohn.
»Die Polizei unternimmt nicht mehr als notwendig, wie immer in solchen Fällen.«
Er schritt Jan entgegen.
»Deshalb wollen seine Frau und ihre Schwiegereltern, dass du nach ihm suchst. Sie sind heute eigens aus Augsburg angereist und sitzen in meiner Kanzlei. Ich habe ihnen gesagt, du bist auf dem Weg.«
»Du weißt, ich nehme nur ungern zwei Aufträge gleichzeitig an.«
»Ich weiß, dass du das Geld gut gebrauchen kannst.«
David legte auf. Er spürte den Blick seines Sohnes.
Jans immense Pflegekosten waren einer der beiden Gründe, weswegen er die Jobs für Richard erledigte.
Jan sagte: »Mama hat was anderes gesagt.«
Davids Kehle schnürte sich zu.
»Sie hat gesagt, ich bin ein großer Junge.« Jan rollte quietschend davon.
Hilflos starrte David ihm nach.
Mama hat was anderes gesagt.
Jans Mutter war der zweite Grund.