Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 25
ZWANZIG
ОглавлениеDavid stellte seinen Wagen in der Hardenbergstraße ab.
Dunkelheit hing über dem Asphalt, passend zu seiner düsteren Stimmung.
Du hast mich k.o. geschlagen, klang Silly aus dem Radio, das per Bluetooth mit seinem iPhone verbunden war.
Er hatte keinen blassen Schimmer, wie er die Wut seines Sohnes zu lindern vermochte. Wie auch? Er kam ja nicht einmal gegen die eigene Verzweiflung an.
Du hast mich k.o. geschlagen, ganz ohne Fäuste, ganz ohne Fäuste.
Während er eine Gauloises rauchte, überquerte er den Steinplatz bis vor einen Altbau, mit Giebeln und verschnörkelten Erkern ein Lichtblick in der Betonwüste rings um den Bahnhof Zoo. Auch drinnen bot das Haus einen prachtvollen Anblick: geschliffenes Parkett, Flügeltüren, die hohen Zimmerdecken mit Stuck verziert.
In dem fürstlichen Ambiente seiner Kanzlei wirkte Richard – klein, untersetzt, grauhaarig – wie verirrt.
Er wartete hinter dem verwaisten Empfang. Seine beiden Sekretärinnen hatte er bereits in den Feierabend entlassen. »Du hast gesagt, du warst bei Jan?«
»Mhm.«
»Wie geht es ihm?«
Wie von selbst strich Davids Hand über die Tätowierung auf seinem Arm. Er spürte die Narbe, die der rostig rote Drache überdeckte. »Er erinnert mich daran, wie es mir mit meiner Mutter erging.«
»Ich dachte, sie ist verschwunden, als du klein warst.«
»Eben drum.«
Irritiert schaute Richard zu ihm auf.
David wehrte mit einem Kopfschütteln ab. Er wollte nicht weiter darüber reden. »Können wir?«
Als hätte er nur darauf gewartet, setzte sich Richard in Bewegung.
Man durfte sich von seiner schmächtigen Erscheinung nicht täuschen lassen. Der Anwalt – von seinen Kontrahenten gefürchtet, von den Medien Berserker genannt – handelte jederzeit entschlossen und kompromisslos.
In gewisser Weise waren Richard und David einander sehr ähnlich gewesen, vielleicht ein Grund, weshalb sie sich angefreundet hatten.
Der Konferenzraum glich mit einem Kronleuchter einem Ratssaal. An einem ausladenden, rustikalen Kirschholztisch klammerte sich eine blonde, hochschwangere Frau Ende 20, Anfang 30 an ein leeres Wasserglas, zu ihrer Linken ein älteres, ergrautes Ehepaar, rechts von ihr ein Reisekoffer und eine Laptoptasche.
»Verena Scheder«, stellte Richard sie vor, während er ihr leeres Glas auffüllte. »Herr Scheders Ehefrau.«
David gab ihr die Hand.
»Und ihre Schwiegereltern, Brigitte und Gustav Scheder.« Richard schob ein Glas vor David. »Du auch?«
David bejahte. Er ließ sich den Scheders gegenüber nieder.
Alle drei schauten ihn aus blassen, übermüdeten Gesichtern heraus an. David kannte diesen Blick. Aus Verzweiflung geborene Hoffnung, dass er – die letzte Rettung – Erfolg haben würde.
Richard nahm neben ihm Platz. »Wenn Sie erlauben«, er schaute die Scheders der Reihe nach an, »fasse ich das Wichtigste kurz zusammen.«
Keiner widersprach. Verena Scheder nippte nervös an ihrem Wasser.
»Herr Dr. Sven Scheder, 34 …«
»Mein Sohn ist 35«, korrigierte Gustav Scheder. »Seit letzter Woche.«
»Entschuldigung, natürlich, 35.« Richard dachte kurz nach, als korrigiere er eine geistige Notiz. »Seit fast vier Jahren ist er angestellt bei der Münchner Forschungsgesellschaft für Hochfrequenztechnik, FoGH m.b.H. Seine Arbeit dort war auch der Grund für seinen Aufenthalt in Berlin, wo er an einer internationalen Konferenz für Infrarot-, Millimeter- und Terahertz-Strahlung teilgenommen hat. Er reiste vor anderthalb Wochen an, seine Unterkunft war im Ringhotel Seehof am Lietzensee, in Fußnähe zum Kongresszentrum, der Messe Berlin. Termin für den Rückflug nach München wäre heute vor vier Tagen gewesen, mit der Lufthansa ab Tegel. Allerdings hat er seinen Flug nicht angetreten.«
Eine Pause entstand. Verena Scheder leerte ihr Glas. Ihre Kehle gluckste laut in der Stille.
Richard schenkte ihr Wasser nach. »Anfangs war davon auszugehen, dass er lediglich seinen Flug verpasst hatte. Als er sich allerdings nicht meldete, auf seinem Handy nicht erreichbar war, und sich nach einem Anruf im Hotel herausstellte, dass er morgens auch nicht ausgecheckt hatte, begann die Familie sich verständlicherweise Sorgen zu machen. Gleich am nächsten Morgen gaben sie in Augsburg eine Vermisstenanzeige auf. Diese wurde an die Berliner Polizei weitergeleitet.«
»Aber das hat nichts gebracht!«, fuhr Gustav Scheder auf.
»Sie haben kaum nach ihm gesucht«, ergänzte seine Frau mit einem kaum hörbaren Wispern.
»Sie haben die Sachen abgeholt, die er auf seinem Hotelzimmer zurückgelassen hat«, fuhr ihr Mann fort, »seinen Reisekoffer, seine Kleidung, seinen Laptop, aber das … das war’s auch schon. Nicht einmal mit Leuten in Berlin wollten sie reden, die ihn kennen, die ihn vielleicht gesehen haben könnten. Sie meinten, das würden sie uns überlassen, seine Freunde und Kollegen zu kontaktieren.«
Mit zittrigen Händen führte seine Schwiegertochter das volle Glas an ihre Lippen. Wasser schwappte über den Rand und tropfte auf den Tisch.
Richard räusperte sich. »Eine Vermisstenanzeige bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Polizei unter Hochdruck zu suchen beginnt, insbesondere wenn es sich bei dem Verschwundenen um einen Erwachsenen handelt und kein Verdacht auf ein Verbrechen vorliegt.« Er schaute zu David. »Du weißt ja, wie das läuft.«
»Und deshalb wissen wir bis heute nichts«, grollte Gustav Scheder.
»Nichts«, flüsterte seine Frau.
»Nichts, was wir … was wir nicht auch selbst hätten herausfinden können«, fügte ihr Mann hinzu.
David hob die Augenbrauen.
Gustav Scheder sagte: »Die Nacht vor seiner Abreise hat er wie gewohnt auf seinem Hotelzimmer verbracht. Morgens wurde er zum Frühstück im Speiseraum gesehen. Aber dann: Warum er im Anschluss daran seinen Koffer nicht gepackt und ausgecheckt hat? Weshalb er nicht zum Flughafen gefahren ist? Wohin er stattdessen gegangen ist? Was ihm dabei widerfahren ist? Wir wissen es nicht.«
»Es gab seitdem kein Lebenszeichen?«
»Nein, kein Anruf, keine Email, keine SMS, sein Handy ist ebenfalls verschwunden und seitdem ausgeschaltet. Auch seine Brieftasche mit den Bankkarten ist weg, aber sein Konto wurde nicht belastet.«
David wollte eine weitere Frage stellen.
»Und auch eine Lösegeldforderung ist nicht eingegangen«, kam ihm Gustav Scheder zuvor.
»Wie gesagt«, warf Richard ein, »es gibt keinerlei Hinweis auf ein Verbrechen.«
»Aber irgendetwas muss ihm passiert sein«, platzte es aus Verena Scheder hervor, als hätte sie sich bisher nur mit Mühe zurückhalten können. »Etwas Schlimmes!«
»Verena«, ihr Schwiegervater legte ihr besänftigend eine Hand auf den Arm.
»Aber es kann nicht anders sein, er ist …«
»Verena, bitte«, ächzte ihre Schwiegermutter. »Sag das nicht!«
»Aber warum … Warum sollte er einfach so verschwinden? Und wieso meldet er sich nicht? Das würde er nicht tun, das sieht ihm einfach nicht ähnlich.«
»Du hast vollkommen recht«, sagte Gustav Scheder. »Das würde er nicht tun. Wahrscheinlich hatte er einen Unfall, liegt in einem Krankenhaus, vielleicht im Koma, ohne Papiere, und niemand weiß, wer er ist.«
»Glaubst du nicht«, die Stimme seiner Schwiegertochter schraubte sich nach oben, »die Polizei hätte ihn dann längst gefunden?«
»Verena«, Gustav Scheder bemühte sich um einen beschwichtigenden Tonfall. »Solange wir nicht wissen, was geschehen ist, besteht immer noch Hoffnung.«
Das Telefon auf dem Tisch klingelte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Richard und drückte den Hörer an sein Ohr. Er lauschte kurz, bevor er sich erhob. »Ich bin gleich wieder da.«
Er verließ den Raum.
»Ich muss wissen, was mit Sven passiert ist«, sagte Verena Scheder. Sie beugte sich nach vorn und prallte mit dem Babybauch gegen den Tisch. Noch mehr Wasser schwappte aus den Gläsern.
»Verena«, mahnte ihr Schwiegervater, der noch immer die Hand auf ihrem Arm hielt. »Bitte, du musst dich schonen …«
»Nein, ich muss endlich wissen, was passiert ist, selbst wenn er …«, sie stockte, und für einen Augenblick schien es, als bräche sie in Tränen aus, »… selbst wenn Sven tot sein sollte.«
»Verena!«, stöhnte ihre Schwiegermutter.
»Ich muss es wissen, denn diese Ungewissheit, die macht mich verrückt«, Verena Scheder blickte zu David. »Verstehen Sie das?«
»Ja«, sagte er. Und das tat er tatsächlich.
Verena Scheder sackte in ihrem Stuhl zusammen. Ihr Körper zuckte.
Auch ihre Schwiegermutter brach in Tränen aus.
»Es tut mir leid«, sagte Gustav Scheder.
Richard kehrte in den Raum zurück.
Gustav Scheder deutete auf die beiden Gepäckstücke neben seiner schluchzenden Schwiegertochter. »Wir haben alle Unterlagen mitgebracht, um die Sie gebeten haben.«
David wechselte einen verwunderten Blick mit Richard.
»Svens Sachen aus dem Hotelzimmer«, erklärte Gustav Scheder, »die die Polizei uns wieder ausgehändigt hat, sein Reisekoffer, seine Kleidung, sein Laptop. Außerdem eine Kontaktliste, seine Studienfreunde in Berlin, Kollegen, und sein Doktorvater, Professor Doktor Kuszinski, mit dem er sich zur Konferenz verabredet hatte.« Erwartungsvoll sah er David an. »Werden Sie …?«
»Ich werde mir alles ansehen«, sagte David.
»Heißt das …«
»Sie hören von uns«, unterbrach Richard, bevor er die Scheders nach draußen geleitete.
Als er zurückkehrte, brachte er ein Handtuch mit und wischte die Wasserpfützen vom Tisch. Danach setzte er sich neben David.
Für eine Weile sagten sie nichts.
»Du warst heute Morgen wieder in der Rechtsmedizin«, brach Richard die Stille.
David antwortete nicht.
»Wie lange willst du noch nach Caro suchen?«
Caro.
Fast vier Monate waren vergangen, seit Davids Frau aus ihrer Wohnung verschleppt worden war. Seit vier Monaten fehlte jede Spur von ihr und ihren Entführern.
Sei ehrlich: Hast du je etwas verhindern können?
Zuerst hatte er die Kontrolle über sein Leben verloren, getrunken, wieder mit dem Rauchen begonnen, irgendetwas, an dem er sich festhalten konnte, und wenn es nur eine Kippe war.
David griff nach seinem Wasserglas. »Du hast selbst gesagt …«
»Ich sagte«, fiel ihm Richard ins Wort, »du sollst dich zusammenreißen.«
»Weil du einen Dummen für deine Jobs …«
»Jetzt wirst du unfair«, unterbrach Richard erneut.
Wie lange willst du noch nach Caro suchen?
David trank einen Schluck.
Richard seufzte. »Der Anruf gerade eben, das war Gurskys Onkel. Sein Neffe ist am Abend seinen Verletzungen erlegen.«
David schwieg.
»Damit hat sich auch die Klage gegen ihn erübrigt. Sein Onkel will die Sache damit gut sein lassen. Natürlich wird er dir die Stunden bezahlen, die du bereits absolviert hast, aber alles andere, sagt er, koste ihm nur unnötig Geld und Kraft und lässt ihn und die Kinder nicht zur Ruhe kommen.«
Schweigen.
»Also?«, fragte Richard.
Ich sagte, du sollst dich zusammenreißen.
David erhob sich von seinem Stuhl. »Ich muss wissen, was die Polizei im Fall Sven Scheder unternommen hat.«
»Ich habe bereits einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt.«
Überrascht schaute David ihn an.
Richard zuckte mit den Schultern. »Ich wusste, dass du den Job übernimmst.«