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NEUN

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»Walle?« Eine Hand streifte Valentinas Arm.

Für einige Sekunden war sie weggedämmert. Im Stehen, wie sie überrascht feststellte, und mit ihrer Tochter an der Hand.

Mias Kinn hing auf der Brust. Stumm nagte sie an ihrer Unterlippe.

»Ich sagte: Besser, ihr legt euch erst einmal hin.« Das war Amy. »Am besten in mein Schlafzimmer, da habt ihr Ruhe.«

Im Wohnzimmer wirbelte Lennard seinen Teddybär herum. Polternd stieß er eine Zierpalme um, noch ehe Nane es verhindern konnte.

»Lenny«, tadelte sie ihn. »Pass bitte auf.«

»War ich nicht, war Monk.«

»Junger Mann, du …«

»Ach, lass ihn doch«, warf Amy ein und richtete die Palme wieder auf.

Sie trug eine weiße Bluse zu einer schwarzen, aufgeschlagenen Stretch-Jeans, die ihre sportliche Figur zur Geltung brachte. Das lange, braune Haar wallte hinab bis auf ihre Schultern. Sie hatte sich herausgeputzt für ihr gemeinsames Frühstück.

»Tut mir leid«, murmelte Valentina.

»Wieso?« Ihre Freundin schob den Blumentopf zurück an seinen Platz. »Ist ja nichts passiert.«

»Nein, es … es tut mir leid, dass …«

»Was meinst du? Dass ihr hier seid?«

»Ich will nicht, dass wir dir …«

»Walle, bitte, was redest du da?« Amy sah sie verärgert an. »Das ist in Ordnung, absolut. Ich wüsste keinen Ort, an dem ihr jetzt besser aufgehoben wärt.«

Valentinas Blick driftete durch das Wohnzimmer, als habe sie es noch nie gesehen.

Raumhohe Fenster mit Blick auf die Spree, Möbel im antiken Landhausstil, von denen insbesondere das große furnierte, mit Intarsien verzierte Mahagoni-Sofa ein echter Blickfang war. Dazu ein Glastisch mit verschnörkelten Füßen, ein flaumiger Teppich über dem Parkett, während Schmuckpflanzen und Bodenlampen einen augenfälligen Kontrast zu exotischen Wandbildern bildeten. Die Gemälde waren Souvenirs gemeinsamer Urlaube, daran entsann sich Valentina. Und daran, dass Amy die Eigentumswohnung in Alt-Moabit kurz nach ihrer Trennung von ihrem Ehemann bezogen hatte und dabei –

»Walle?«, fragte Amy.

Mit ihrer Tochter an der Hand folgte Valentina ihr in die Diele.

Hinter mehreren Türen lagen ein Arbeitszimmer, ein Gäste-WC sowie zwei Gästezimmer. Eines davon war vollgestopft mit Spielzeug für Mia und Lennard, die gelegentlich bei Amy übernachteten, auch daran konnte Valentina sich erinnern.

Gegenüber dem Badezimmer erreichten sie das Schlafzimmer, dessen Mittelpunkt ein kolossales französisches Art-Déco-Bett bildete. Obwohl es in perfekter Harmonie zu den braun getünchten Wänden stand, bereute Amy die teure Anschaffung. Ungezählt ihre blauen Flecken, die sie dem vorspringenden Bettrahmen mit seinen verschnörkelten Intarsien verdankte.

Sie zog die Tagesdecke ab. »Wollt ihr euch umziehen, bevor ihr euch hinlegt?«

»Umziehen?«

»Ihr habt Sachen zum Wechseln dabei.« Amy deutete auf den vollgepackten Reisekoffer neben dem Bett. »Unterwäsche, Socken, kurze Hosen für Lennard, Kleider für Mia, Blusen, Röcke, Schuhe für dich. Ach so, und dort steht deine Handtasche. Geldbörse, Ausweise, Schlüssel, alles ist drin.« Sie bemerkte Valentinas irritierten Blick. »Dieser Kommissar, wie war noch gleich sein Name? Berger, oder? Er hat mir erlaubt, euch einige Sachen aus dem Haus zu holen.«

»Du … du warst im Haus?«

»Hätte ich euch in euren Nachthemden durch die Stadt fahren sollen?«

Jetzt, da ihre Freundin es erwähnte, konnte Valentina sich daran erinnern, das verschwitzte Negligé gegen eine Jeans, eine Bluse und Socken getauscht zu haben. Und daran, wie ihre Füße geschmerzt hatten, als sie in ihre Sneakers geschlüpft war. Anschließend hatte sie sich tränenreich von Gerti und Helmar verabschiedet. Sie erinnerte sich an die vielen Polizeiautos, Rettungswagen und die Transporter, die auf der Straße parkten, an die Journalisten, die hinter der Absperrung lauerten, an das Blitzen der Fotoapparate, an die Fahrt hierher, die vorbeisausenden Autos, das Schaukeln von Amys Lexus. Lennards unruhiges Murmeln, nachdem er in Nanes Armen eingeschlafen war. Den dichten, roten Haarschopf der Nanny auf der Rückbank. Und Mias beklommenes Schweigen.

Noch wirkte die Beruhigungsspritze mit bleierner Müdigkeit. Doch immer häufiger gewährte ihr umwölkter Verstand ihr lichte Momente. Mit ihnen wuchs ein beklemmendes Gefühl in Valentina.

Vielleicht war es tatsächlich besser, sie legte sich erst einmal hin.

Mia rutschte dicht an sie heran. Schmatzend nagte sie an ihrer Unterlippe.

»Schlaft ein wenig, kommt zur Ruhe«, Amy breitete die Decke über sie. »Unterdessen werde ich mich um alles andere kümmern, okay?« Sie schob die Vorhänge zusammen.

Valentinas Blick verschmolz mit den Schatten im Zimmer.

Die zurückliegenden Stunden kamen ihr vor wie ein scheußlicher Traum, der jetzt, mit nachlassender Wirkung der Medikamente, langsam, aber unaufhaltsam von einer noch schlimmeren Realität abgelöst wurde.

Georg ist tot.

Noch konnte sie die Tragweite dieser Worte nicht erfassen.

Im Wohnzimmer, weit entfernt, brummte der Teddybär. Lennard schienen die Ereignisse bislang kaum berührt zu haben. Zweifellos hatte Nane ihren Anteil daran. Sie sorgte für ihn, weit besser als es Valentina in ihrer derzeitigen Verfassung vermochte.

»Mia?«, flüsterte die Nanny, als sie ans Bett trat. »Lenny möchte zum Spielplatz. Magst du mitkommen?«

Mia schlang ihre Arme fester um ihre Mutter.

»Danach können wir in den Zoo gehen. Du hast dich doch so auf die Ponys gefreut.«

Mia presste sich an ihre Mutter.

»Ich denke, sie ist bei Walle vorerst besser aufgehoben«, sagte Amy, die etwas auf das Nachttischchen abstellte. »Walle, ich hab dir einen Tee gemacht. Du musst unbedingt was trinken.«

Wieder war das verspielte Knurren des Teddybären zu hören.

Eine weitere Erinnerung blitzte in Valentina auf. »Woher hat er ihn?«

»Wen?«, fragte Amy.

»Monk.«

»Wie meinst du das?«

»Er … er hat ihn doch im Haus verloren.«

»Ach so, ja. Du hast recht. Aber nachdem sich Lennard geweigert hat, ohne seinen Teddybären zu fahren, hat der Kommissar ihn holen lassen.« Amy wollte noch etwas hinzufügen, doch das schrille Läuten der Türklingel kam ihr zuvor. Sie eilte in die Diele.

Sekundenlang legte sich Stille über die Wohnung.

Valentina schloss die Augen und –

Eine vertraute Stimme fragte: »Wo ist sie?«

Georgs Stimme. Valentinas Herz tat einen Satz.

Es war nur ein Traum, sie sprang aus dem Bett, alles war nur ein schlechter Traum!

Sie stolperte in die Diele.

»Onkel Leon!« Lennard stürmte in die Arme seines Onkels.

Ein Schmerz, so heftig wie kein anderer, zerschmetterte Valentinas Herz.

Sie torkelte benommen. Endlich erfasste sie die ganze Tragweite.

Georg ist tot … TOT!

Sein Bruder fing ihren Sturz rechtzeitig auf. »Oh Walle, ich …«

Den Rest seiner Worte verschluckte ihr Weinkrampf.

Brandstifter

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