Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 15
ZEHN
ОглавлениеDavid parkte am Kottbusser Damm, dank ungezählter Spätshops, Falafelbuden, arabischer Supermärkte, Reisebüros und Banken so etwas wie die Lebensader Neuköllns.
Dabei kam man nirgendwo im Kiez dem Tod näher als dort.
Nur einen Block weiter, am Kottbusser Tor, trieben sich neuerdings skrupellose Diebesbanden zusätzlich zu den Junkies und Drogendealern herum.
Alle paar Meter zischelten junge Typen. »Dope? Coca?«
Einige rückten den Passanten hartnäckig auf die Pelle. »Come on, really good stuff!«
David ignorierte die Offerten. Zielstrebig marschierte er durch die flirrende Hitze bis zur Ecke Maybachufer.
Lkws parkten in zweiter Reihe. Der Verkehr staute sich bis zum Hermannplatz. Ein fortwährendes Hupen dröhnte in den Ohren. Davon ungestört klammerten sich vor der Ankerklause ein Dutzend trauriger Gestalten an ihre Bierflaschen.
Während er an der Ampel wartete, entzündete David eine Gauloises.
»Ey«, krächzte ein Freak mit gelbem Basecap. »Kann ich auch ’ne Kippe haben?«
David tat ihm den Gefallen.
Der Typ stopfte sich die Zigarette in die Hosentasche. »Brauchste was?«
»Nicht jetzt.«
»Braunes? Äitsch? Was du willst.«
»Später.«
»Klar doch.« Verächtlich grinste der Typ unter seiner Kappe hervor und entblößte eine breite Zahnlücke.
David sah zu, dass er weiterkam, vorbei an Frauen mit Kopftüchern, Touristen und Radfahrern.
Sein Ziel war ein schmuckloser, sechsstöckiger Wohnklotz, die Balkone zur lärmenden Straße, die Satellitenschüsseln allesamt gen Osten ausgerichtet. In der dritten Etage war eines der Fenster zerborsten, die Fassade stellenweise verrußt.
Vor dem türkischen Reisebüro im Erdgeschoss schwitzte ein Mann trotz Sandalen und Shorts, sein T-Shirt mit dem Aufdruck Chicago Fire Dept. spannte über seiner beachtlichen Wampe. In seinem teigigen Gesicht waren Äderchen geplatzt.
David sagte: »Herr Kapzcak.«
Kapzcak musterte ihn. »Haben wir miteinander telefoniert?«
»Ja.«
»Gut, nur … mir ist immer noch nicht klar, was Sie von mir wollen.«
»Ihre Meinung als Brandexperte.«
»Wie sind Sie auf mich gekommen?«
»Empfehlung.«
»Man hat Ihnen aber schon gesagt, dass ich seit anderthalb Jahren meinen Job nicht mehr ausüben darf?«
»Mhm.«
»Mit meiner Meinung können Sie also nicht wirklich was anfangen.«
David nickte.
»Und trotzdem wollen Sie dafür bezahlen?«
Noch ein Kopfnicken.
Kapzcaks fleischige Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Grinsens. »Gehen wir.«
David drückte wahllos einige der Klingeln neben der beschmierten Eingangstür. Der Summer ertönte. Sie betraten das Treppenhaus.
»Nachdem Sie mir diese Adresse genannt haben«, keuchte Kapzcak, während er mühsam seine Masse nach oben wälzte, »habe ich ein bisschen gegoogelt.«
David ging nicht darauf ein.
»Angeblich hat der Ehemann … wie war noch sein Name? Gursky? Wie auch immer, es heißt, er habe das Feuer gelegt.«
David blieb still.
»Aber Sie glauben …«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle«, unterbrach ihn David.
In der dritten Etage war die Wohnungstür, die die Feuerwehr bei den Löscharbeiten eingetreten hatte, zwischenzeitlich von der Hausverwaltung geflickt worden. Außerdem hatte sie ein neues Schloss anbringen lassen, allerdings nur ein einfaches Zylinderschloss.
David fischte seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Mit dem Dietrich knackte er das Schloss binnen weniger Sekunden.
Fast eine Woche war seit dem Brand vergangen, trotzdem schlug ihnen der Geruch von verkohltem Holz und Plastik entgegen. David glaubte sogar, noch verbranntes Fleisch zu riechen. Vermutlich gaukelte sein Verstand ihm das nur vor.
Der Schaden im hinteren Teil der Wohnung war überschaubar, im Wesentlichen nur durch die Löscharbeiten der Feuerwehr verschuldet. Das Feuer hatte in den Zimmern gewütet, die nach vorne raus zum Kottbusser Damm zeigten. Am schlimmsten hatte es das Schlafzimmer erwischt.
Schwer atmend betrachtete Kapzcak die Markierungen, die die Spurensicherung am Boden hinterlassen hatte. »Worauf soll ich achten?«
»Alles.«
»Wie viel Zeit habe ich?«
»Wie viel brauchen Sie?«
»Ich gehe davon aus, dass Sie noch heute meine Meinung hören wollen?«
»Mhm.«
»Sehr gesprächig sind Sie ja nicht.« Kapzcak beäugte die Brandschäden im Schlafzimmer aus der Nähe. Er wühlte sich durch die Überreste des Betts. Leise murmelte er vor sich hin.
Anschließend wiederholte er das Prozedere im Wohnzimmer und in der Diele.
Schneller als erwartet, kam er zu einem Ende. »Eines vorab: Die Experten von Feuerwehr und Polizei haben natürlich mehr Möglichkeiten. Mit ihren Laboranalysen können sie Rückstände einer Brandstiftung nachweisen.«
»Falls es Ihnen hilft: Es wurden Reste von Spiritus entdeckt.«
»Das bestätigt meinen Verdacht, weil …« Kapzcak fächelte sich mit der Hand etwas Luft zu. »Wir haben es mit mehreren Brandherden zu tun, in der Diele, im Wohnzimmer und im Schlafzimmer. Und ganz ehrlich, mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Feuer zufällig gleichzeitig an mehreren Stellen ausbricht. Das ist eines von mehreren Indizien auf einen Einsatz von Brandmitteln.«
»Und die anderen?«
»Was wissen Sie über Feuer?«
David zuckte mit den Schultern.
»Das verläuft nicht so, wie man es für gewöhnlich im Fernsehen sieht. Ein Feuer, insbesondere eines mit Brandmitteln, breitet sich nicht langsam und gemächlich aus. Was viele nämlich nicht wissen: Nicht die Flüssigkeit brennt …«
»… sondern die Dämpfe«, vollendete David.
Kapzcak hob seine Augenbrauen.
»Habe ich gelesen.«
»Sie haben recht, Spiritus, Benzin, flüssige Brandmittel dieser Art, bringen zündfähige Dämpfe aus. Ein Funke genügt und es kommt zu einer ausgedehnten Entflammung, oft sogar zu einer Explosion.«
»Verstehe.«
»Nach einer solchen Explosion verbleibt ein kurzfristiger, heftiger Flammenbrand, der schon bald zusammenbricht, nämlich wenn das Brandmittel aufgezehrt ist. Aber auch Luftmangel kann zum Erlöschen führen. Schauen Sie«, Kapzcak deutete auf die angekokelten Nachttischchen und den Kleiderschrank, »die Möbel sind gar nicht richtig verbrannt.«
David betrachtete einen schwarzen Brandfleck am Teppichboden unter dem Bett.
»Das«, Kapzcak war seinem Blick gefolgt, »ist eine Einbrennung, die durch die brennende Flüssigkeitspfütze entsteht.«
»Mhm.«
»Die Rauchgase, die mit der kurzfristigen, raumfüllenden Explosion einhergehen, hinterlassen außerdem einen feinen, grauen Beschlag auf allen Flächen im Umkreis. Und sehen Sie dort, die thermischen Risse in den Glasscheiben. Das alles sind weitere Indizien dafür, dass das Feuer mit Hilfe von Brandmitteln gelegt worden ist. Wie schaut es eigentlich mit den Verletzungen von diesem … Gursky aus? Hat er welche?«
»Schwere Verbrennungen an Hand, Arm und Gesicht.«
»Also frontal, was ebenfalls zu der erwähnten heftigen Zündentflammung passt. Tja, es ist immer das Gleiche, die Wucht der Explosion überrascht ungeübte Täter.«
»Demnach könnte die Staatsanwaltschaft richtig liegen.«
»Es könnte aber auch eine andere Person die Brände gelegt haben«, antwortete Kapzcak. »Und Gursky könnte einfach versucht haben, seine Frau zu retten und das Feuer zu löschen. Weshalb er mit den Brandmitteln in Berührung gekommen sein und sich dabei seine frontalen Verbrennungen zugezogen haben könnte.«
David sah ihn fragend an.
»Das«, Kapzcak grinste, »ist es doch, was Sie von mir hören wollten, oder?«
David ging nicht darauf ein.
»Könnte«, betonte Kapzcak. »Die Variante der Staatsanwaltschaft ist mindestens genau so plausibel. Was sagt denn Gursky selbst dazu?«
»Er liegt im Koma.«
»Das ist bedauerlich für ihn.«
David wandte sich zum Ausgang.
»Das Problem ist«, sagte Kapzcak auf dem Weg nach unten, »solange Sie keinen Zeugen haben, der einen anderen Tathergang wahrscheinlich macht, lassen die Spuren, die die Experten am Tatort gesichert haben, in Verbindung mit Gurskys Verletzungen, für die Staatsanwaltschaft nur einen Schluss zu.«
Sie verließen das Haus, tauchten in das Getümmel auf den Bürgersteigen und den Lärm auf der Straße.
»Wird immer schlimmer«, stöhnte Kapzcak, ließ aber offen, was er damit meinte: die Sommerhitze oder den türkischen Pop, der aus einem der Läden dudelte.
David zählte 250 Euro ab und drückte sie ihm in die Hand.
Er wartete, bis Kapzcak verschwunden war, dann lief er zurück zum Kottbusser Tor.
An der Ankerklause hatten sich mittlerweile zwei Dutzend verwahrloster Gestalten versammelt. Am Bordstein gegenüber hockte der Freak mit dem gelben Basecap und drehte einen Joint.
David blieb vor ihm stehen. »Du bist Alf.«
»Was?«
»Ein Kumpel von Gursky.«
»Wer …?« In Alfs Schädel begann es zu rattern. Er sprang los.
David hatte nichts anderes erwartet.
Alf stolperte über sein ausgestrecktes Bein und knallte der Länge nach auf den Bürgersteig. Jammernd wälzte er sich im Staub.
David hockte sich zu ihm. »Ich habe doch gesagt: später.«