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VIER

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David Gross überquerte den Innenhof, ein gepflastertes Idyll aus vierhundert Metern im Quadrat, mit acht Steinbänken im gleichmäßigen Abstand zueinander, zehn Abfalleimern, die täglich entleert wurden, und sechs mächtigen Platanen. Eine von ihnen war mit einem Vogelhäuschen beschlagen, in dem seit Kurzem eine Rotkehlchenfamilie nistete.

Die Baumwipfel spendeten Schatten, trotzdem schwitzte David.

Es war jedes Mal das Gleiche: Sobald er sich dem Hintereingang näherte, nahm seine Nervosität zu.

Vor der verschlossenen Glastür blieb er stehen. Er klaubte ein Zippo-Feuerzeug und eine zerknüllte Schachtel Gauloises aus seiner Hosentasche. Auch das Rauchen linderte kaum seinen inneren Aufruhr.

Sei ehrlich: Hast du je etwas verhindern können?

Noch immer lastete die Schuld, die er auf sich geladen hatte, schwer auf ihm. Nachts ließ sie ihn nur selten schlafen, und sie trieb ihn immer wieder an diesen Ort, wo ihm trotz der Schatten der Schweiß aus den Poren quoll.

Die Zigarette war fast herabgebrannt, als er hinter der Glasscheibe eine Bewegung wahrnahm.

Ein Mann näherte sich der Tür und entriegelte ihr Schloss. Mit einem vertrauten, rostigen Knarzen öffnete sie sich. Ein dichter Haarkranz umgab ein gebräuntes Gesicht. Wie immer schlackerte ein grüner Kittel um den athletischen Körper. Farblich passend zum Kittel trug er seine grünen Crocs. »Guten Morgen.«

»Morgen, Dr. Wittpfuhl.«

»Tut mir leid, dass Sie warten mussten, ich wurde aufgehalten.«

»Kein Problem.«

»Sind Sie sich sicher, dass Sie sich das antun wollen?«

»Mhm.«

»Wie ich am Telefon schon sagte, es ist kein schöner Anblick.«

David schwieg.

»Sie könnten auch das Ergebnis des DNA-Abgleichs abwarten.«

Schweigen.

»Meinetwegen«, resignierte Dr. Wittpfuhl. »Aber wir müssen uns beeilen, für meine Kollegen beginnt in wenigen Minuten der Dienst.«

David zertrat seine Kippe auf dem Pflaster. Obwohl ein Vielfaches an Zigarettenresten ringsum verstreut lag, tadelte ihn Dr. Wittpfuhl mit einem strengen Blick.

Wortlos folgte er ihm in die Berliner Gerichtsmedizin an der Charité.

Sie eilten durch einen lang gestreckten Flur, gedämpftes Neonlicht an der Decke, dezent blaue Kacheln an den Wänden, ebensolche Fliesen am Boden. Die Plastiksohlen von Dr. Wittpfuhls Crocs quietschten.

Die Kühlhalle bot das gleiche sterile Bild. Über ihre gesamte Breite erstreckte sich ein vierstöckiges Stahlregal mit 52 quadratischen Stahltüren, einige zerkratzt oder mit Dellen, bei dreien funktionierte der Schließmechanismus nicht.

Im Durchgang zum Obduktionsraum war der Feuermelder defekt.

David wusste nicht mehr zu sagen, wie oft er inzwischen hier gewesen war. Nach dem zwölften oder dreizehnten Mal hatte er aufgehört zu zählen. Längst hätte er den Weg auch blind gefunden. Dennoch wurden seine Schritte langsamer. Trotz eisiger Temperaturen klebte ihm der Schweiß die Klamotten an den Körper.

Dr. Wittpfuhl klappte eine der Stahltüren auf. Auf schmalen Schienen wuchtete er die Bahre hervor.

Die Leiche war in einen weißen Plastiksack eingepackt. Der Reißverschluss stand unten offen, sodass die nackten Füße herausragten. Um den großen Zeh hing ein kleiner Bindfaden mit einer braunen Pappkarte.

Auch dieser Anblick war David wohlvertraut. Doch als ihm die Fäulnis in die Nase stieg, die dem Sack entwich, blieb er mit einigem Abstand stehen.

Dr. Wittpfuhl drehte sich zu ihm um, als spürte er seine Zweifel.

Sind Sie sich sicher, dass Sie sich das antun wollen?

David gab sich einen Ruck und überwand die Distanz zur Bahre. Von wollen konnte auch diesmal keine Rede sein.

Mit einem Ratsch löste Dr. Wittpfuhl den Reißverschluss.

Für einen Augenblick hielt David den Atem an.

Dr. Wittpfuhl sagte: »Ich habe Sie gewarnt.«

Es ist kein schöner Anblick.

David hielt seinen Blick auf die Tote gerichtet.

Die Wahrheit war: Er musste das tun. Weil es das Einzige war, was ihm Gewissheit gab, auch wenn diese am Ende noch mehr Schmerz und noch mehr Schuld bedeutete.

Weil du ihren Tod nicht hast verhindern können!

Ihre Kleidung war zerrissen, ihre Haut runzlig und aufgequollen, teilweise hing sie in Fetzen herab, an manchen Stellen war sie mit Algen überwachsen.

Dr. Wittpfuhl sagte: »Gefunden wurde sie gestern Abend von Spaziergängern am Spreeufer in Köpenick. Dort hat sie schon eine Weile im Wasser gelegen.«

Trotz der bereits deutlichen sichtbaren Verwesung war ihr Äußeres noch nicht komplett entstellt. An Kopf, Hand, Brust und Knien waren Verletzungen zu erkennen, einige zweifellos durch Wasserbewegung und Tierfraß. Bei anderen war sich David nicht so sicher über die Ursache.

Dr. Wittpfuhl fragte: »Ihr Alter schätze ich zwischen 30 und 40, das würde passen, oder?«

Auch wenn das Alter passte: Die Tote war zu groß, nicht zierlich genug und sie hatte langes, braunes Haar. Außerdem waren die Überreste zweier Tätowierungen zu erkennen, eine knapp unter der Brust, die andere am linken Unterschenkel.

David stieß die Luft aus seinen Lungen. »Sie ist es nicht.«

»Sind Sie sicher?«

»Mhm.«

»Gut«, Dr. Wittpfuhl zog den Reißverschluss zu und hievte die Bahre zurück ins Fach. »Wenn es also sonst …«

Davids iPhone stimmte summend eine Melodie von Silly an. Flieg, flieg. Sein Klingelton. Flieg, fahr aus der Haut. Das Display zeigte ein Bild des Anrufers.

David drückte ihn weg. »Doch.«

»Wie bitte?«, fragte Dr. Wittpfuhl, der vor einem Waschbecken stand und seine Hände unter das laufende Wasser hielt.

»Da wäre noch etwas.«

»Nämlich?«

»Vor acht Tagen hatten Sie eine Frau zur Obduktion, Natalie Gursky, 28 Jahre, Opfer eines Wohnungsbrands in Neukölln.«

»Sie wissen, dass ich darüber nicht reden darf.«

»Nur eine Frage.«

»Hören Sie«, Dr. Wittpfuhl trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. »Sie haben etwas gut bei mir, und deshalb gebe ich Ihnen Bescheid, sobald ich eine unbekannte Frauenleiche hereinbekomme. Schon dafür könnte ich in Teufels Küche geraten. Aber wenn ich jetzt auch noch damit anfange, Ihnen Informationen zu laufenden Ermittlungsverfahren …«

Flieg, flieg, fahr aus der Haut, klingelte Davids Handy erneut.

Er fixierte Dr. Wittpfuhl. »Hat das Feuer zu Frau Gurskys Tod geführt?«

»Haben Sie mir nicht zugehört?«

»Nur ein Ja oder Nein.«

»Das macht keinen Unterschied.«

David schwieg.

Flieg, flieg

Dr. Wittpfuhl seufzte. Fast unmerklich hob und senkte er seinen Kopf.

David fragte: »Sie konnten also ein Fremdeinwirken zweifelsfrei ausschließen? Kein Hinweis darauf, dass Frau Gursky zuvor betäubt, vergiftet, erwürgt oder erschlagen wurde?«

»Das sind schon drei Fragen.«

»Ja oder nein?«

»Nein, verflucht, nichts davon.« Dr. Wittpfuhl blickte auf die Uhr. »Und jetzt gehen Sie bitte.«

Flieg, fahr aus der Haut.

Als David auf den Innenhof hinaustrat, hatte er noch immer den Fäulnisgestank in der Nase. Aus dem Vogelhäuschen erscholl das Gezwitscher der Rotkehlchenfamilie.

Er zündete sich eine Zigarette an. Erst dann nahm er den Anruf entgegen. »Richard?«

»David, ich habe Herrn Gursky in der Leitung.«

»Nein.«

»Er möchte kurz mit dir reden.«

»Richard!«

Ein Klicken, dann ein entferntes Stimmenwirrwarr.

David fragte: »Herr Gursky?«

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