Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 19
VIERZEHN
ОглавлениеLuka wollte seiner Frau antworten.
Ach, du endlich?
Ihr vorwurfsvoller Ton weckte sein schlechtes Gewissen.
Als er Natis wütendem Blick begegnete, fühlte er sich an seine Halluzination im Sideways heute Morgen erinnert, und daran, dass er das kleine Mädchen eine Zeit lang tatsächlich für seine Tochter gehalten hatte. Franzi, die noch ein Baby war.
Vielleicht sollte er Nati davon erzählen, nur eine kleine, absurde Begebenheit, die … Nein! Er verwarf den Gedanken. Nach dem ganzen Mist, der vorgefallen war, würde ein Kneipenschwank wohl kaum ihr angespanntes Verhältnis lockern, ganz im Gegenteil.
»Sorry«, sagte er deshalb. »Es ist ein bisschen später geworden.«
»Ja, ein bisschen.« Sie blickte auf die Uhr. »Rechtzeitig zum Mittagsschlaf.«
»Ich hatte dir doch gesagt, dass es …«
»Ich weiß, was du gesagt hast!«, unterbrach ihn Nati.
Luka biss sich auf die Zunge. »Na ja, ich wollte einfach etwas feiern.«
»Als wenn du einen Grund zu feiern hättest!«
»Ich muss nicht ins Gefängnis, Nati, schon vergessen?«
»Aber du bist vorbestraft, schon vergessen?«
»Natürlich nicht, aber …«
»Ist das da Kotze an deiner Hose?«
Er wollte ins Bad verschwinden, drehte sich allerdings zu schnell um. Der Restalkohol in seinem Blut ließ ihn schwindeln. Er stolperte über einen von Noahs Schuhen und schlug mit dem Knie gegen die Kommode. Ein dumpfer Knall dröhnte durch den Flur.
»Sei doch leise«, zischte Nati. »Die Kinder brauchen ihren Mittagsschlaf.« Gallig fügte sie hinzu: »Und ich eigentlich auch.«
Ungelenk zerrte er sich die verdreckten Klamotten vom Leib und schlich in Unterhose und Socken hinüber ins Schlafzimmer, wo er sich seinen Jogginganzug überstreifte.
Nati wartete in der Küche, ein Glas Wasser in der Hand.
»Warum legst du dich nicht wieder hin?«, fragte er.
Sie ging nicht darauf ein. »War das unten gerade Alf?«
»Nee, ich …«
»Luka, bitte, jetzt wird es albern. Ich hab euch vom Fenster aus gesehen!«
»Hast du auf mich gewartet?«
»Natürlich habe ich auf dich gewartet. Es ist Mittag! Du hättest wenigstens anrufen können.«
»Ich habe nicht mehr so viel Guthaben auf meiner Karte.«
»Es gibt Telefonzellen.«
»Tut mir leid.«
»Glaubst du, das macht die Sache besser?«
Unvermittelt spürte Luka wieder den Schmerz in seinem Finger.
Glaubst du, das macht die Sache besser?
Genau das waren auch Werners Worte gewesen, während er fast Lukas Finger gebrochen hatte.
»Das mit Alf«, sagte Nati.
»Das ist vorbei.«
»Du hast uns versprochen, dass das nicht mehr vorkommt.«
»Das wird es nicht.«
»Und warum hängst du dann immer noch mit dem Honk ab, säufst und …«, sie schnupperte an ihm, »… kiffst!«
»Ich habe doch gesagt, das ist vorbei.«
»Denkst du auch mal an die Kinder?«
»Natürlich, ich …«
»Warst du denn wenigstens einkaufen?« Nati schaute an ihm vorbei in den Flur.
Irritiert folgte er ihrem Blick. »Wie kommst du jetzt darauf?«
»Du wolltest heute Morgen einkaufen, das hast du auch versprochen.«
»Ja, stimmt. Mach ich gleich.«
»Hast du noch das Geld, das ich dir dafür gegeben habe?«
»Klar.«
»Oder hast du alles auf den Kopf gehauen?«
Ihm lag eine Lüge auf der Zunge. Er zögerte. Das genügte.
»Verdammt, Luka!«, fuhr Nati ihn an. »Das Geld hätte bis zum Monatsende …« Sie hielt inne.
Im Kinderzimmer begann Franzi zu schreien.
»Na super!« Zornig stapfte Nati davon.
Luka blieb alleine in der Küche zurück, mit seinem schlechtem Gewissen und einem Magenrumoren.
Hast du denn noch das Geld?
Verdammt, die 150, die er letzte Nacht im Sideways vertrunken hatte, waren sein geringstes Problem. Wie zur Hölle sollte er Nati von seinen Schulden erzählen?
Sie kam aus dem Kinderzimmer, ihr T-Shirt hochgeschoben und Franzi an ihre Brust gedrückt.
Lukas Blick fiel auf ihre prallen Brüste und wollte sich nicht mehr davon lösen. Zu seiner eigenen Überraschung verspürte er das dringende Verlangen, sie zu berühren. Wie lange war es her, seit sie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten? Viel zu lange. Sein Gefühl sagte ihm allerdings, dass sich daran auch in nächster Zeit nichts ändern würde, erst recht nicht, wenn Nati von den 5.000 Euro, Werners Drohung und –
Nein!
Sie durfte von alldem nichts erfahren, auf keinen Fall.
»Was ist mit deinem Finger?«, fragte sie.
»Wieso?«
»Du hältst ihn so komisch.«
»Hab mich nur gestoßen.«
»Lass mich raten: Zu viel getrunken?«
Luka beließ es bei einem Kopfnicken.
Mit einem verächtlichen Achselzucken griff Nati nach dem Wasserglas. Mit der anderen Hand hielt sie Franzi an ihre Brust. »Warum setzt du eigentlich nicht dein Studium fort?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Ist mir nur so durch den Kopf gegangen.«
»Einfach nur so?«
»Es wäre wenigstens etwas …«, sie zögerte.
Etwas Gescheites, dachte Luka ihren Satz zu Ende. Er schüttelte den Kopf. »Weißt du, wie lange das her ist?«
»Ist das der einzige Grund, der dich davon abhält?«
Natürlich war es nicht der einzige Grund, und das wusste sie. Er war einfach kein Nerd wie die anderen, besaß nicht die Geduld für die ständigen Versuche und endlosen Testreihen. Das Studium hatte ihn zu Tode gelangweilt, und daran würde sich auch bei einem zweiten Versuch nichts ändern.
Außerdem brauchte er Geld und das schnell. »Ich dachte, ich finde lieber eine Arbeit und …«
»Wenn du eine Arbeit finden willst, solltest du vielleicht auch mal anfangen, danach zu suchen.«
»Mach ich doch.«
»Ach? Echt? Nachts im Sideways?«
»Quatsch, ich …«
»Wenn du studierst, würdest du BAföG bekommen, mehr als jetzt Hartz IV.«
»Ich bin 34.«
»Doch, würdest du, ich habe nachgeguckt. Es gibt Ausnahmefälle, in denen …«
Lukas Handy klingelte.
Er warf einen Blick auf das Display, und für einen Moment war er sich nicht sicher, was ihm lieber war: die Diskussion mit seiner Frau fortzusetzen oder dieses Telefonat zu führen.
Nati nahm ihm die Entscheidung ab. »Wer ist es?«
»Mein Onkel.«
»Warum gehst du nicht ran?«
Er nahm das Gespräch entgegen. »Hallo?«
»Luka«, meldete sich sein Onkel. »Ich hab gehört, wie die Verhandlung ausgegangen ist. Also, da hast du ganz schön Glück gehabt.«
»Und deinen Anwalt, nochmals danke dafür.«
»Gerne, mein Junge, gerne, aber du weißt ja …«
»Ja«, sagte Luka, »ich weiß.«
Dieser Mist muss vorbei sein!
Sein Onkel räusperte sich. »Und wie geht es Nati und den Kindern?«
»Gut, nur Noahs Asthma macht uns immer mehr Sorgen.«
»Ihr müsst endlich raus aus der Wohnung.«
»Ja, wem sagst du das, aber …«
»Hast du dich immer noch nicht nach einer Arbeit umgesehen?«
Du musst endlich erwachsen werden.
»Klar, doch«, log Luka. »Aber auch das ist nicht so einfach, gerade in Berlin.«
Sein Onkel hüstelte. »Ich hätte da was.«
»Echt?«
»Eine Berliner Spedition, also, ein Kurierdienst, der unter anderem auch für meinen Weinhandel ausliefert. Es ist natürlich nichts Besonderes, aber er zahlt gut.«
»Das wäre … toll.«
»Du müsstest dich bei ihnen vorstellen. Keine Sorge, nur ein kurzes Bewerbungsgespräch, ich habe schon ein gutes Wort für dich eingelegt. Sie erwarten dich morgen um 11, ist das okay?«
»Aber ja, danke.«
»Warte, ich gebe dir die Adresse. Hast du etwas zu schreiben?«
Luka griff nach einem Zettel und einem Kugelschreiber und notierte sich die Angaben. Nachdem er aufgelegt hatte, spürte er den fragenden Blick seiner Frau. »Er hat ein Vorstellungsgespräch für mich organisiert.«
»In Köln?«
»Nein, in Kreuzberg. Bei einem Kurierdienst.«
Nati zog ihr T-Shirt runter und drückte das Baby an ihre Schulter. Nachdenklich tätschelte sie ihm den Rücken. »Ein Kurierdienst?«
»Das wolltest du doch, dass ich einen Job finde. Geld verdiene.«
»Ja, schon.«
»Und dass ich endlich an die Kinder denke.«
»Aber …«
»Papa!« Mit wildem Getrappel stürzte Noah in die Küche. »Kommst du mit mir …« Seine Stimme erstickte in einem Hustenanfall.
»Immer langsam«, sagte Luka und schwang seinen vierjährigen Sohn auf den Arm.
»Puh«, hustete Noah und wedelte mit seiner Hand vor der Nase. »Du müffelst!«
»Ist gar nicht wahr.«
»Wohl wahr!«
»Und ob«, murmelte Nati, während sie aus der Schublade einen Asthmaspray hervorkramte und ihrem Sohn zwei Stöße verabreichte.
Noahs Husten beruhigte sich. Mit heiserer Stimme fragte er: »Kommst du Spongebob gucken?«
»Also«, Luka gähnte, »eigentlich würde ich gerne …«
»Aber du hast es mir versprochen!«
»Tja«, machte Nati.
Luka wich ihrem tadelnden Blick aus. »Also dann.« Mit Noah auf dem Arm verließ er die Küche. Im Durchgang zum Wohnzimmer schlug ihm der muffige Schimmelgestank entgegen. Sein Sohn hustete wieder.
Luka drehte sich zu seiner Frau um. »Wir könnten endlich raus aus der Wohnung. Ein Neuanfang.«
Sie antwortete nicht.
Unvermittelt wurde Luka wütend. Egal was er sagte oder tat, nie konnte er es ihr recht machen.
Noch während er darüber nachdachte, erlosch sein Zorn. Das war ungerecht. Nicht Nati hatte den Mist verbockt, sondern er. Aber wenn er sich morgen am Riemen riss, würde er den Job bekommen.
Sie zahlen gut.
Vielleicht konnte er sogar um einen Vorschuss bitten und damit die erste Rate an Werner begleichen.
Es wäre ein Anfang.
Während er seinem Sohn die Spongebob-DVD einlegte, besserte sich Lukas Laune.