Читать книгу Brandstifter - Martin Krist - Страница 21
SECHZEHN
ОглавлениеDavid quälte sich durch den dichten Nachmittagsverkehr.
Eine Unannehmlichkeit …
Er stellte den Wagen auf einem der Besucherparkplätze vor einem zweckmäßigen Neubau ab. Zwischen den Bäumen im Garten glitzerte der Schäfersee, ein grünes, stilles Idyll mitten in Reinickendorf.
Jan mochte den See, die Enten, die er füttern durfte, die Steine, die er über das flache Wasser springen ließ. Sie waren einige Male dort spazieren gefahren.
Der Summer öffnete ihm die Tür zum Treppenhaus.
Gleich in der ersten Tür stand ein Junge mit Down-Syndrom. Der Kleine trug zu seinem T-Shirt und Sandalen nichts weiter als eine Unterhose. »Bist du der Eismann?«
Noch ehe David antworten konnte, kam eine Stimme aus dem Innern der Wohnung. »Raik? Warum liegen deine Shorts vor dem Klo?«
»Es hat geklingelt.«
»Sag mal, hast du dir etwa den Hintern nicht abgeputzt?«
»Der Eismann ist da.«
»Also«, der mit Rastalocken behängte Kopf des Pflegers schaute zur WC-Tür heraus, »das ist nicht der Eismann.«
David grüßte mit einem Kopfnicken.
»Bin gleich bei Ihnen.« Amüsiert nahm Tobse den halbnackten Raik an die Hand und führte ihn zurück zur Toilette.
»Hier, hier«, juchzte ein anderer Junge, dessen Beine von Metallschienen fixiert waren. »Ich hab die Stormtrooper gefunden, haha!«
Während er drei Spielfiguren in seiner Hand schwenkte, stakste er überraschend flink an David vorbei in den Gemeinschaftsraum. Ein großes Zimmer, die Wände bunt bemalt, nur wenige Möbel, die den Weg versperrten, ein Schrank voller Brettspiele, ein Fernseher, ein Sofa, daneben ein Tisch und fünf Stühle.
Auf einem saß ein blindes Mädchen. »Waren die bei mir in der Kiste?«
»Wo sonst, haha!«
»Dann hat die da jemand …« Die Kleine runzelte ihre Stirn, bevor sie ihren starren Blick auf David richtete. »Hallo, Papa von Jan.«
»Hallo Nicky.«
Nicky lächelte ihn schelmisch an.
David hatte keine Ahnung, wie es die Kleine schaffte, aber immer wieder spürte sie seine Anwesenheit, selbst wenn er beim Hereinkommen keinen Ton von sich gab.
Sie wurde wieder ernst. »Das war nicht nett von Jan.«
»Mhm.«
»Warum macht er so was?«
»Weil er traurig ist«, sagte Tobse, der wieder in den Flur getreten war. Er winkte David in die Küche. »Einen Kaffee?«
David verneinte. Fragend schaute er den Pfleger an.
Tobse war nicht sehr viel größer als die Kinder, die er hier in dem Projekt für betreutes Wohnen beaufsichtigte. Seine Rastalocken, die Tätowierungen und die hölzernen Tunnel in seinen Ohrläppchen gaben allerdings ausreichend Aufschluss über seine Volljährigkeit.
Er schaltete den Wasserkocher an und gab Instantpulver in eine Tasse. »Winnie und Ihr Sohn hatten einen Streit, worüber, konnten die beiden am Ende selbst nicht mehr so recht sagen. Ich vermute, es ging um ihr Rennen, das sie veranstaltet haben.«
»Ein Rennen?«
»Mit ihren Rollstühlen, das machen sie ab und zu.«
»Es war nicht das erste Rennen?«
»Und mit Sicherheit nicht das letzte«, sagte eine Stimme aus dem Flur.
Anka gesellte sich zu ihnen in die Küche. Die zweite Pflegerin war das genaue Gegenteil von Tobse, groß, untersetzt, älter, mit einem Pagenkopf und Birkenstocksandalen.
Tobse nahm den brodelnden Wasserkocher und füllte zwei Tassen mit Kaffee. Eine reichte er Anka.
»Aber das ist nicht das Problem«, fuhr die Pflegerin fort. »Die Kinder sollen ihren Spaß miteinander haben, allen Widrigkeiten zum Trotz, deswegen sind sie ja schließlich hier.«
»Mhm.«
»Das Problem ist der Streit zwischen Ihrem Sohn und Winnie anschließend, der ziemlich eskaliert ist. Jan hat ihn mit der Faust geschlagen und ihn aus seinem Rollstuhl gestoßen.« Anka verrührte Milch in ihrer dampfenden Tasse. »Dass er auf mein Zureden hin patzig reagiert hat und dass er sich nicht hat entschuldigen wollen, davon will ich gar nicht erst reden.«
»Tut mir leid.«
»Ich weiß um Jans besondere Situation, aber wir beide, Sie und ich, wissen auch, dass dies nicht der erste Vorfall war.«
David setzte zu einer Erwiderung an.
»Ich möchte nur ungern die Leitung darüber in Kenntnis setzen müssen«, kam ihm Anka zuvor, »aber wenn erst andere Eltern sich beschweren …«
Davids iPhone vibrierte. Er ignorierte es. »Wo ist er?«
»Ich hab ihn auf sein Zimmer geschickt, damit er über sein Verhalten nachdenkt, aber …«
»Ich rede mit ihm.«
»Ja, das wäre hilfreich.«
Und wer hilft dir?
David verscheuchte den Gedanken.
Während er durch einen bunt bemalten Flur Jans Zimmer entgegen schritt, las er die SMS, die eingetroffen war.
lange nichts voneinander gehört. geht es dir gut? ich komme nach berlin. jessica
David hatte sie vor einer Weile bei einem Job in Düsseldorf kennengelernt. Sie hatten sich einige Male zum Essen und einer leidenschaftlichen Nacht getroffen, aber das war lange bevor –
»Bist du wirklich nicht der Eismann?«, fragte Raik, der plötzlich wieder vor ihm stand.
»Nein«, David löschte die Nachricht. »Aber wenn du möchtest, bringe ich dir beim nächsten Mal gern ein Eis mit.«
»Dann bist du ja doch der Eismann.« Zufrieden stapfte Raik davon.
David betrat das Zimmer seines Sohnes.
Es glich beinahe dem Raum, den er einst zu Hause bewohnt hatte, fünf Meter im Quadrat, in der einen Ecke sein altes Bett, in der anderen sein Kleiderschrank. Nur die Poster an der Wand zeigten nicht mehr Clownsfisch Nemo, die Meeresschildkröte Crush und Wall-E, sondern Batman und den Flash.
Jan kauerte in seinem Rollstuhl am Fenster und blätterte in einem Comic. An seiner Nase hing ein dünner Schlauch, der ihn mit Sauerstoff versorgte.
Sauerstoffinsufflation.
Ein Wort, das David wohl nie wieder vergessen würde.
Ebenso wie das beklemmende Gefühl, das ihn jedes Mal aufs Neue erfasste, sobald er seinen Sohn so dasitzen sah.
An den zerbrechlichen Anblick hatte er sich gewöhnt. Nicht jedoch an die Schuld, die ihn quälte, mehr denn je.
Weil du auch sein Leiden nicht hast verhindern können.
Er konnte seinem Sohn nicht böse sein. Trotzdem musste er mit ihm reden. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Hallo Jan.«
Jan reagierte nicht.
»Also, was ist passiert?«