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Der bildungstheoretisch-identitätstheoretische Ansatz

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Wulff D. Rehfus

Am Anfang ist nicht Didaktik, sondern Unterricht. Didaktik macht Unterricht nicht möglich, sie macht ihn denkbar. Philosophiedidaktik ist zu verstehen als ein Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhang philosophischer Unterrichtspraxis.

Es gibt wenige Orte, an denen Philosophie produziert wird – in der Regel sind es akademische –, an mehreren Orten allerdings wird Philosophie unterrichtet; so auch in der gymnasialen Oberstufe. Bekanntlich steckt der gymnasiale Unterricht in einer Krise, so dass die Philosophiedidaktik nicht auf eine Theorie des Gymnasiums zurückgreifen kann. Deshalb muss der Philosophieunterricht von der Philosophiedidaktik selbst gerechtfertigt werden. Als Grundlage kann ihr dazu nur die Philosophie dienen. Da es nun »die« Philosophie nicht mehr gibt, bleibt dem Philosophiedidaktiker nichts anderes übrig, als sich entweder einer philosophischen Richtung anzuschließen oder selbst zu rekonstruieren, was Philosophie sein soll. Somit muss die Didaktik der Philosophie notwendig philosophisch sein. Diese Behauptung ist mein erster didaktischer Grundsatz. Was soll das heißen? Dies, dass Philosophiedidaktik nicht nur Techniken bereitstellt, um universitäre Forschungsergebnisse Schülern der gymnasialen Oberstufe lehrbar zu machen. Vielmehr ist Philosophiedidaktik ein selbständiger, philosophisch-systematischer Begründungszusammenhang von Erziehungszielen, Inhalten, Methoden, Lernvorgängen und Lernkontrollverfahren des Philosophieunterrichts.

Der Grundsatz, dass Didaktik der Philosophie philosophisch zu sein habe, ist nicht umkehrbar: Philosophie ist nicht als solche didaktisch, Philosophie als Philosophie bedarf nicht strukturell des empirischen Dialogs, sie bedarf einzig des diskursiven Denkens, das als solches argumentativ ist; Argumentation aber ist monologisch möglich, sie braucht zwar Regeln, nicht aber einen empirischen Gesprächspartner. Denken bedarf weder einer Handlungs- noch einer Kommunikationsgemeinschaft.

Aus meinem ersten Grundsatz ergeben sich zwei unterrichtspraktische Folgen: in Bezug auf die Inhalte des Philosophieunterrichts und in Bezug auf das Redeverhalten im Philosophieunterricht.

Zunächst zu den Inhalten. Die Selbstständigkeit der Philosophiedidaktik bezieht sich auf den Begründungszusammenhang, den sie als ihr didaktisches Konzept entwerfen muss. Sie bezieht sich nicht auf die akademische Philosophie in dem Sinne, dass sie die überkommenen und gegenwärtigen Problemstellungen, -lösungen und Methoden der Philosophie außer Acht lassen könnte. Ein Philosophieunterricht, der sich von der akademischen Philosophie abkoppelt, hat das Recht verloren, sich Philosophieunterricht zu nennen. Nun mag mit guten Gründen für die Einführung eines weiteren Unterrichtsfaches sowohl in der Sekundarstufe Il als auch I plädiert werden; ob es nun »Kommunikative Verständigungslehre« heißt oder anders. Indes hat der Schüler, der einen Philosophiekurs wählt, berechtigten Anspruch, auch in Philosophie unterrichtet zu werden.

Da die Fülle der philosophischen Tradition schier unübersehbar ist, muss die Philosophiedidaktik Gesichtspunkte entwickeln, kraft derer für den Philosophieunterricht taugliche Inhalte ausgewählt werden können. Solche Gesichtspunkte gibt die Universitätsphilosophie nicht vor, sie müssen vom Philosophiedidaktiker entwickelt werden. Vier Gesichtspunkte schlage ich vor: die Zielvorstellungen des Philosophieunterrichts, die Geschichte der Philosophie, das Interesse des Lehrers und die Interessen der Schüler. Diese vier Gesichtspunkte müssen in ein ausgewogenes Verhältnis gesetzt werden, das nur vom einzelnen Lehrer aufgrund seiner Lerngruppe dargelegt und verantwortet werden kann. Die grundsätzliche Aufgabe des Lehrers besteht darin, den objektiven Geist der Philosophie mit dem subjektiven der Schüler zu vermitteln. Der Lehrer muss die Probleme der Philosophie zu Problemen der Schüler machen. Die Philosophiegeschichte muss zum Ort werden, an dem sich das Abenteuer des eigenen Denkens der Schüler abspielt. Dass dies möglich ist, liegt daran, dass die philosophieinternen Probleme so intern gar nicht sind, sondern dass sie jeden angehen. Wenn man das philosophische Denken in Entdeckungs- und Begründungszusammenhänge scheidet, dann mag der Entdeckungszusammenhang philosophischen Denkens in dem Sinne esoterisch sein, dass für ihn keine Regeln angebbar sind; der Begründungszusammenhang indessen ist notwendig exoterisch, wenn auch nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen. Außer im sokratischen Denken, wie es uns Platon überlieferte, liegen in allen philosophischen Werken keine Entdeckungs-, sondern Begründungszusammenhänge vor (auch in den cartesischen »Meditationen« und in Hegels »Phänomenologie«). Somit gibt es keine Esoterik-Exoterik-Spannung im philosophischen Denken. Weder die Schüler noch sonst irgendjemand braucht, um die vermeintliche Spannung zu überwinden, eine »Jedermannsphilosophie«; Philosophie ist für alle und keinen.

Im Philosophieunterricht geht es darum, den Schüler hinzuführen zu den überkommenen und gegenwärtigen Problemstellungen und -lösungen der Philosophie, zu den Methoden des Philosophierens (wie zum Beispiel transzendentale, dialektische, hermeneutische usf.) und schließlich zu den Wegen, sich philosophische Schriften philosophisch erschließen zu können. »Hinführung« ist also kein Heruntertransformieren der großen Denker auf Schülerniveau, umgekehrt kommt es vielmehr darauf an, die Schüler zur Philosophie zu führen. Dazu eignen sich vor allem paradigmatische Autoren. Darunter sind solche zu verstehen, die eine Philosophie in ihren Grundzügen entwickelt haben, die in der Folgezeit zum Ausgangspunkt weiterer philosophischer Diskussion wurde.

Ich habe die eine unterrichtspraktische Folge meines didaktischen Grundsatzes aufgezeigt, dass Didaktik der Philosophie philosophisch ist. Ich komme zur nächsten, die das Redeverhalten betrifft.

Da die Philosophie als solche nicht dialogisch ist, besteht keine Notwendigkeit, den Dialog zum unterrichtspraktischen Prinzip des Philosophieunterrichts schlechthin zu erklären. Das heißt nicht, dass das Gespräch aus dem Philosophieunterricht verbannt werden müsste; vielmehr ist das philosophische Gespräch als das zu sehen, was es ist: nämlich ein sehr sinnvolles Verfahren der Unterrichtsgestaltung, aber es ist weder das einzige Verfahren, noch ist es ein philosophiespezifisches. Das philosophische Denken jedenfalls geht nicht im Dialog und schon gar nicht in Kommunikation auf. Der Dialog ist weder eine notwendige noch eine zureichende Bedingung für Philosophie. Nicht überall, wo Dialog ist, ist Philosophie, und nicht überall, wo Philosophie ist, ist Dialog.

Der Zwang zum Dialog birgt Gefahren und Missverständnisse. Er erweckt den Schein, als geschähe etwas, wo doch nichts geschieht, außer dass geredet wird; weder geschieht dadurch Wahrheit noch geschieht Handlung, was der inflationäre Gebrauch des Wortes »Handlung« verstellt. Der Dialog als unterrichtspraktischer Grundsatz zwingt dazu, sich redend zu offenbaren, auch wenn es nichts zu offenbaren gibt. Unterm Kommunikationszwang ist, wer schweigt, verdächtig.

Genau dieses Schweigen jedoch ist für die Philosophie unerlässlich; das stille Nachdenken, das sich nicht an die Kursöffentlichkeit preisgibt. Wahrscheinlich ist die nicht-öffentliche Verarbeitung dessen, was ein Schüler im Philosophieunterricht lernt und erlebt, von größerer Bedeutung für ihn als das, was er im Unterricht mitteilt. Aber nicht nur psychologisch gesehen ist Schweigen notwendiger Bestandteil des Philosophieunterrichts. Schweigen ist auch von der Philosophie her notwendig. Der Philosoph muss spätestens seit Arkesilaos, Pyrrhon, Boethius, Kant, Husserl und Wittgenstein wissen, wo er zu schweigen hat: Die Urteilsenthaltsamkeit ist dort erfordert, wo die Gefahr der Grenzüberschreitung besteht, wo die endliche Vernunft sich anmaßt, ihren Erkenntnisbereich zu verlassen. Diese Grenze ist im Philosophieunterricht noch enger: Sie endet schon ganz empirisch dort, wo das empirische Wissen von Lehrer und Schülern nicht ausreicht, um die anstehenden Probleme angemessen bewältigen zu können. Bescheidenheit und kritische Selbstbeschränkung ist deshalb angebracht, nicht Vielsprecherei. Der Philosophieunterricht muss deshalb den Schüler zum Schweigen an der richtigen Stelle befähigen und ermuntern.

Damit schließe ich die Darlegungen der unterrichtspraktischen Folgen meines ersten didaktischen Grundsatzes ab und komme zum zweiten; er lautet: Didaktik der Philosophie ist reflexionsbezogen. Damit ist Doppeltes gemeint. Zum einen, dass die Didaktik der Philosophie nicht nur Handlungswissenschaft ist und zum andern, dass sie den Philosophieunterricht nicht handlungs-, sondern reflexionsbezogen entwerfen muss.

Nun ist es trivial, dass Unterricht Handeln einschließt. Deshalb muss eine Philosophiedidaktik Handlungswissenschaft in dem Sinne sein, dass sie angibt, wie philosophische Lernvorgänge bewerkstelligt werden können. Dies ist aber nur die eine Seite der Didaktik; die andere habe ich oben schon ausgeführt: dass Didaktik der Philosophie einen selbständigen Begründungszusammenhang entwickeln muss von Zielen, Inhalten, Lernmethoden und Kontrollverfahren; ein solcher Begründungszusammenhang ist nicht handlungsorientiert, sondern nur reflexiv-diskursiv leistbar.

Auch aus meinem zweiten didaktischen Grundsatz, dass Philosophiedidaktik reflexionsbezogen ist, ergeben sich unterrichtspraktische Folgen. Nämlich die erste, dass es im Philosophieunterricht nicht um Handeln geht, sondern um reflexives Denken. Ich möchte das ›reflexive Denken‹ in seine Bestandteile ›Denken‹ und ›Reflexion‹ auflösen und kurz erläutern.

Zunächst zum Denken. Unterrichtliches Geschehen besteht nicht nur aus Handeln, sondern auch aus Sprechen, und Sprechen heißt nicht immer Handeln, und Sprechen heißt auch nicht notwendig Kommunizieren (dass ich den inflationären Gebrauch von »Handlung« nicht mitmache, erwähnte ich schon); Denk- und Sprechpausen sind wichtige Bestandteile des Denkens selbst.

Denken im Philosophieunterricht bedeutet, dass sich der Schüler Wirklichkeit theoretisch aneignet und nicht praktisch. Sowohl die Philosophie als auch der Philosophieunterricht sind überfordert, wenn man ihnen aufbürdet, die Schüler zum praktischen Handeln zu befähigen.

Wird praktische Handlungsorientierung zum Ziel des Philosophieunterrichts erhoben, ist die Philosophie als Denken unterlaufen. Denn um Handlungsorientierung geben zu können, ist vorausgesetzt, dass das Denken an einen Punkt gelangen könnte, an dem es sich selbst begrenzt: »Genug gedacht, jetzt wird gehandelt«, denn während der Handlung ist Denken tunlichst zu vermeiden. Das Denken muss also an einem bestimmten Punkt abgebrochen werden, und die Frage ist: an welchem Punkt? Hier zeigt sich der versteckte Zirkel in der Forderung nach Handlungsorientierung, denn das Denken wird dann abgebrochen, wenn es an den Punkt gelangt, an dem es in Praxis übergehen kann. Dazu aber muss Praxis schon vorausgesetzt sein. Das Denken wird also von einer Praxis begrenzt, die es selbst nicht überdenkt. Solches Denken ist Nützlichkeitsdenken, funktionales, instrumentelles Denken, ist Ideologie und Dogmatismus. Ein Denken, das eingebunden ist in eine vorab schon festgelegte Praxis, verdient nicht den Namen Philosophie. Philosophie, die zu einem Ende kommt, ist am Ende.

Damit der Philosophieunterricht nicht zum Schrein der Philosophie wird, muss das Denken vor dem Handeln geschützt werden. Denken kann nicht an Praxis gemessen werden, sondern nur am Denken selbst. Denken muss davor bewahrt werden, sich vor Praxis rechtfertigen zu müssen. Das Maß des Denkens ist einzig das Denken.

Ausgehend von meinem zweiten didaktischen Grundsatz, dass Didaktik der Philosophie reflexionsbezogen ist, habe ich eine erste unterrichtspraktische Folge erläutert, dass nämlich im Philosophieunterricht nicht gehandelt, sondern gedacht werden müsse, dass Denken weder mit Dialog noch mit Kommunikation zusammenfällt und dass es nicht eingebunden sein darf in vorgängige Praxis. Ich komme zur nächsten unterrichtspraktischen Folge, die sich auf das reflexive Moment philosophischen Denkens bezieht.

Das Denken, das im Philosophieunterricht vollzogen wird, ist weder auf Handeln abgezweckt noch auf die Verfügung über Dinge. Philosophisches Wissen ist weder Handlungs- noch Verfügungswissen. Das philosophische Denken ist eines, das, indem es Wirklichkeit begreift, den Denkenden ergreift. Wenn sich also der Schüler im Philosophieunterricht Welt denkerisch aneignet, dann ergreift der Schüler sich gleichzeitig selbst. Selbstergreifung ist das Ergebnis einer Objektivierung, nicht einer Subjektivierung. Und dies bezeichnet die eigentümliche Reflexivität des philosophischen Denkens, die ich im Anschluss an Platon »Paideia« nenne. Philosophische Paideia ist die Abwendung vom lebensweltlichen Alltagswissen, ohne schlichte Anhäufung von Kenntnissen zu sein. Philosophieunterricht betreibt nicht dort die Sache der Schüler, wo er sich mit Alltagsproblemen als Alltagsproblemen befasst, vielmehr betreibt er dann die Sache der Schüler, wenn es ihm gelingt, den Alltag zu überwinden. Das philosophische Denken ist nicht die Fortsetzung des Alltagsdenkens, sondern der Bruch mit dem Alltagsdenken. Und nur die philosophische Distanz vom Alltag ermöglicht es, sich auf den Alltag rückzubeziehen. Dieser Rückbezug ist jedoch äußerst vermittelt und schafft für diesen Alltag keine klaren Verhältnisse. Das philosophische Denken verwirrt eher den Alltag, als dass es ihn klärt, denn es macht Probleme in ihrer Komplexität deutlich, und je differenzierter die Problemsicht ist, desto schwieriger ist es, zu eindeutigen Handlungsanweisungen zu kommen. Jeder Handwerker ist lebenspraktisch besser orientiert als irgendein Philosoph. Philosophische Paideia fördert nicht die Lebensklugheit, sie ist Bildung als ein Prozess der Abarbeitung zufälliger, empirischer Subjektivität und Bedingtheit an der Objektivität des Seins kraft der Aufarbeitung der philosophischen Tradition.

Zwar orientiert die Philosophie keinen Menschen praktisch-Iebensweltlich, zwar bildet die Philosophie keine Routiniers des besseren Lebens aus und macht keinen Schüler glücklicher; gleichwohl hat die Philosophie natürlich Auswirkungen auf den Philosophierenden. Philosophieren verändert das Selbstverständnis der Philosophierenden. Insofern ist Philosophie Denkorientierung. Wie sich diese jedoch im Alltag auswirkt, entzieht sich der Philosophie. Jedenfalls führt kein direkter Weg vom philosophischen Denken zum Handeln. Der Philosophieunterricht kann und sollte den Schüler dazu führen, seine Freiheit und Verantwortung zu erkennen, anzunehmen und zu leben, die Gegenwart kraft des Wissens um die Problemstellungen und -lösungen der philosophischen Tradition und ihrer Methoden zu verstehen und mittels dieses Wissens und Könnens das eigene Denken und Handeln zu begründen.

Bekanntlich steht es nicht in unserer Macht, uns aus unserer jeweiligen Tradition herauszunehmen. Umso dringlicher ist es, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dazu muss man sie kennen. Gleichzeitig gibt das philosophische Denken der Vergangenheit das Maß unseres heutigen Denkens vor, das wir nicht unterschreiten sollten und an das es den Schüler heranzuführen gilt.

Reflexivität im philosophischen Sinne ist Denken über die Sache in der methodischen Einbeziehung des erkennenden Subjekts in die zu erkennende Sache, die dadurch aus ihrer Nur-Objekthaftigkeit gelöst wird. Gleichzeitig wird dadurch aber auch das Subjekt aus seiner Nur-Subjekthaftigkeit gelöst. In diesem Sinne konstituieren sich im philosophischen Denken das erkennende Subjekt und das erkannte Objekt zugleich. Leisten die Einzelwissenschaften, etwa in der Quantentheorie, noch die Rückbezüglichkeit des zu Erkennenden auf den Erkennenden, so bleibt die Rückbezüglichkeit des Erkennenden auf das zu Erkennende der Philosophie vorbehalten. Aber auch schon im ersten Fall nähert sich das physikalische Denken so stark dem philosophischen, dass die Übergänge fließend werden.

Damit stellt sich die Philosophiedidaktik quer zur gängigen Lernzieltheorie, sofern diese die Schüler nur in den Kategorien ›Fähigkeit‹ und ›Bereitschaft‹ sieht (und sie als Individuen vergisst) und die Schule in einen Funktionszusammenhang mit der außerschulischen ›Lebenssituation‹ bringt. Gemessen an einem solch eindimensionalen Bezug zur »praktischen Relevanz« ist philosophische Paideia streng antifunktional; sie widerstreitet jedem Versuch, das Subjekt in einen vorgegebenen Rahmen einzuspannen. Philosophische Paideia erreicht keine Lernziele; der Philosophieunterricht schreitet nicht von Lernziel zu Lernziel fort, sondern wendet die philosophische Sache denkend hin und her.

Der Philosophieunterricht führt den Schüler hin zu Inhalten und Methoden der Philosophie, er erzeugt dabei eine Denkhaltung, eine Geisteshaltung, nämlich die Öffnung des Denkens für Metaphysik, und übt das Denken in den methodischen Zweifel ein. Metaphysik und methodischer Zweifel können dabei nicht als getrennte gesehen werden, sondern müssen stets, als wechselseitige Korrektive, in Zweieinheit auftreten. Der Philosophieunterricht muss den Schüler in die Spannung von wissenschaftlich-philosophischer Argumentation und außerwissenschaftlicher Sehnsucht nach dem Unbedingten versetzen, sie ihm bewusst und lebbar machen, ihn dazu befähigen, sein Selbstverständnis in dieser Spannung zu finden. Metaphysik ist also nicht dogmatisch verstanden, nicht als Ergründung des letzten Bodens unseres Denkens und Handelns, vielmehr als die Sehnsucht danach; das Unbedingte ist gefasst als methodisches Postulat im kantischen Sinne. Selbst also wenn Metaphysik reine Spekulation sein sollte, so ist sie als solche doch von Bedeutung für den »Humanus«.

So verstandene Metaphysik ist eine im kantischen Sinne kritische: als Prüfung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, die, in der Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis, dennoch am Unbedingten als uneinholbarem Zielpunkt festhält. Metaphysik wird also im Philosophieunterricht zu einer philosophischen Haltung, die den methodischen Zweifel verbindet mit der Sehnsucht nach dem Unbedingten. Methodischer Zweifel heißt hierbei, dass der Schüler lernt, sich diskursiv, argumentativ und systematisch mit der philosophischen Tradition auseinanderzusetzen, und zwar so, dass ihm die Geschichte der Philosophie zum Ort der eigenen Denkgeschichte wird. Solche Denkabenteuer befassen in sich einen Unterschied von Denken und Sein in dem Sinn, dass eine denkerische Aporie nicht zur lebensweltlichen Sackgasse wird, dass der methodische Zweifel nicht in die existentielle Verzweiflung treibt.

Philosophische Paideia, so fasse ich zusammen, ist die Abkehr vom Alltagsdenken, ist die Abarbeitung der zufälligen Subjektivität und empirischen Bedingtheit am objektiven Sein, indem Wirklichkeit denkerisch angeeignet wird, und zwar in der Aufarbeitung von und der Auseinandersetzung mit den überkommenen und gegenwärtigen Problemstellungen, -lösungen und Methoden der Philosophie.

Wird dem Philosophieunterricht Handlungs- und Lebensorientierung abverlangt, wird Philosophie in das Gefährt pädagogischer Leitvorstellungen gespannt. Philosophie wird mit allen Fächern, die es sich gefallen lassen, über den Leisten der Handlungsorientierung, Lebensorientierung und Kommunikation geschlagen.

In der gesellschaftlichen Wirklichkeit wünscht man sich gern statt Herrschaft, Zwang und Ungerechtigkeit Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Verständigung. Werden diese Zielvorstellungen jedoch unmittelbar auf den Philosophieunterricht übertragen, dann kommt es zu dem Kurzschluss, die Philosophie für den Zustand der Welt verantwortlich zu machen und von ihr nicht Erkenntnis, sondern Verständigung zu erwarten.

Die Forderung nach Handlungsorientierung missachtet, dass auch Erkenntnis eine Form der Praxis ist. Die Praxis des Philosophen ist die Theorie. Sie ist auch da noch Theorie, wo sie über gesellschaftliche Praxis nachdenkt. In der Philosophie geschieht Praxis als Denken, nicht als Handeln. Handlungen außerhalb des Denkens sind keine philosophischen. Ein Blick auf die philosophische Praxis des Diogenes zeigt dies aufs Klarste. Sein Handeln ist theoretisches Handeln und hat mit dem, was man heute unter Praxis versteht, nichts im Sinn. Die Forderung nach Handlungs- und Lebensorientierung setzt einen nicht-philosophischen Handlungsbegriff an, der zweifelsohne seine Berechtigung hat – nur, von der Philosophie kann solches Handeln nicht vorbereitet werden. Die Philosophie ist nicht zuständig, wenn es darum geht, für eine Praxis zu orientieren, die nicht philosophisch ist, wie die Physik nicht zuständig ist, wenn es darum geht, für eine Praxis zu orientieren, die nicht physikalisch ist.

Damit ist Philosophieunterricht in seiner Praxis der aristotelischen Theoria-Haltung verwandt. Theorie ist eine Form der Praxis. Das theoretische Leben ist die eigentliche Praxis des Philosophen. Als kontemplativ-reflexiv ist das Philosophieren keine Vorbereitung auf ein Leben außerhalb der Philosophie. Philosophie wird nicht um eines Nutzens willen betrieben. Genau deshalb ist sie in unserer nutzenorientierten Zeit von so großer Bedeutung. Das kontemplative Denken könnte die Alternative sein zum zweckrationalen Denken, das unsere Gegenwart bestimmt. Zweckrationalität ist verfügendes Denken, das kontemplative dagegen will weder die Menschen noch die Dinge beherrschen. Zweckrationalität unterwirft, Kontemplation macht frei, ohne im schönen, schlechten Schein zu versöhnen. Deshalb ist die theoretische Haltung heute der Luxus, den wir uns leisten müssen, wollen wir auch nur eine kleine Chance haben, die heutigen Schwierigkeiten zu meistern.

Gemessen an der Elle der Lernzieltheorie jedenfalls trägt Philosophie schlechterdings nichts zur Bewältigung von Lebenssituationen bei. (Bekanntlich muss im Höhlengleichnis der Philosoph gezwungen werden, in die Höhle zurückzukehren. Das Missvergnügen, das dadurch sowohl der Philosoph als auch die Zurückgebliebenen erleiden, kann man sich lebhaft vorstellen). Insofern gibt der Philosophieunterricht keine Handlungsorientierung. Philosophieunterricht ist Denkorientierung, und zwar im doppelten Sinn: Zum einen gibt er Orientierung im Denken und zum anderen verbindet er den lebensweltlichen Alltag mit dem Denken. Leben und Denken sind nicht getrennt, sondern ergänzen sich gegenseitig.

Ich habe zwei didaktische Grundsätze vorgetragen, nämlich erstens, dass die Didaktik der Philosophie philosophisch ist, und zweitens, dass die Didaktik der Philosophie reflexionsbezogen ist. Aus beiden Grundsätzen habe ich je zwei unterrichtspraktische Folgen abgeleitet. Ich komme nun zu meinem dritten didaktischen Grundsatz. Er lautet: Didaktik der Philosophie hat einen Zeitkern. Damit ist gemeint, dass Didaktik unterrichtsbezogen ist und Unterricht sich nicht auf einer Metaebene abspielt, sondern auf einer empirischen. Daraus folgt, dass jede Didaktik die geschichtlich-gesellschaftlichen Umstände berücksichtigen muss, für die sie Didaktik sein will. Der erste Schritt einer Philosophiedidaktik muss deshalb eine Theorie der Moderne sein. Eine Theorie der Moderne, so meine ich, muss eine Theorie der Aufklärung sein, genauer: Sie muss die Gegenwart begreifen als eine Entwicklungsphase innerhalb der Selbstbewegung der Aufklärung.

Die Selbstbewegung der Aufklärung raubte dem europäisch-neuzeitlichen Subjekt sein Selbstverständnis: Es ist nicht in der Lage, sich auf sich selbst zu gründen. Diesen Umstand nenne ich »Identitätsnot«. Damit behaupte ich nicht, dass es früher keine »Identitätsnot« gegeben habe. Die Psychologie hat gezeigt, dass Identitätskrisen zur Individualgeschichte unabdingbar dazugehören. Darum aber geht es mir nicht. Vielmehr interessiert mich der Umstand, dass die Neuzeit ihr Selbstverständnis insgesamt einbüßt, weil und soweit es mit »Vernunft« verbunden ist und war. Die Identitätsnot, die ich meine, ist somit keine individualpsychologische, auch keine soziologische, sondern eine historische, objektive Not, die kraft Identifizierungen, wie dies Psychologen und Soziologen meinen, nicht überwunden, sondern nur individuell übertuscht werden kann. Jetzt wird vielleicht auch deutlich, weshalb ich zu Recht die Forderung aufgestellt habe, dass das Ziel des Philosophieunterrichts zu sein habe, die Identitätsnot zu überwinden. Dies Ziel ist sicherlich nicht erreichbar, sofern der Philosophie zugemutet wird, die Krise in ihrer Objektivität zu meistern. Die Philosophie aber, und nur die Philosophie, kann die Krise überhaupt erfassen. Deshalb hat der Philosophieunterricht wenigstens die Möglichkeit, den Schüler im Erkennen der Not zu lehren, sie auszuhalten. Der Philosophieunterricht, so folgt daraus, ist deshalb, ich sagte es bereits, nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, vielmehr erzeugt der Philosophieunterricht auch eine philosophische Haltung: methodische Ataraxie. Sie schützt den Schüler vor der Beunruhigung nicht durch das Leben, sondern durch die Philosophie. Denn das Leben wird den Schülern durch das philosophische Denken zur Beunruhigung. In diesem Sinne macht der Philosophieunterricht den Schüler überhaupt erst empfänglich für das Leben. Ataraxie verhindert den Umschlag des Denkens in Resignation. Sie ist kein operationalisierbares Verhalten; die Lernzieltheorie wird an ihr zuschanden. Die philosophische Haltung ist Bildung, ist das Selbstverständnis freien Denkens freier Menschen, wie Aristoteles sich ausdrückte. Das philosophische Denken ist frei, frei das, wodurch es bedingt ist, zu bestimmen. Die praktische Situation, aus der die Philosophie selbstverständlich auch stammt, wird in die theoretische Situation überschritten. Nur im Denken ist der Mensch frei. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Denkende im Denken (also methodisch) aus seiner subjektiv-zufälligen Vereinzelung löst und zum Bewusstsein überhaupt, zum erkennenden Subjekt schlechthin wird. Die Bedingung der Freiheit ist die methodische Aufgabe der Vereinzelung und genau dies ist wahre Individualität, nämlich die Doppelung von empirischer Subjektivität und methodischer Transsubjektivität. Das Individuum gewinnt sich, indem es aus sich hinausgeht und sich als Bewusstsein überhaupt an der Wirklichkeit abarbeitet.

Die unterrichtspraktischen Folgen dieses dritten Grundsatzes sind klar: Der Philosophieunterricht heute muss das Ziel haben, den Schüler aus der objektiven Identitätsnot zu führen. Um dies zu leisten, muss die Lernzieltheorie verlassen werden. Anstatt Lernziele zu erreichen, gilt es, den Schüler zu bilden im Sinne philosophischer Paideia.

Ich komme zum vierten und letzten Grundsatz meiner Didaktik: Didaktik der Philosophie muss ihr erkenntnistheoretisches Paradigma ausweisen.

Wozu diese Forderung? Etwa seit Descartes ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sich Philosophie im Rahmen einer Bewusstseinsphilosophie bewegt, die sich bis zu ausdrücklichen Ich-Theorien verdichtet hat und deren grundlegendes erkenntnistheoretisches Modell ein Subjekt-Objekt-Denken ist. Ende des letzten Jahrhunderts wurden erste Einsprüche erhoben und jüngst hat Jürgen Habermas die Ablösung dieser Zweierrelation zugunsten einer dreistelligen Relation gefordert, in der Subjekt, Objekt und das Medium des Wechselbezugs, nämlich Kommunikation, gedacht werden. Dieser Paradigmawechsel ist didaktisch von großer Bedeutung, denn im neuen Paradigma ist das denkende, erkennende und handelnde Ich aufgelöst in ein Wechselgefüge gegenseitiger Vermittlung, nämlich in Kommunikation. Das Subjekt ist nicht mehr als autonomes gedacht, sondern strukturell kommunikativ. Der Ich-Begriff ist aufgelöst in Interaktion. Ergebnis dieser Auflösung ist für Habermas die Überführung der Philosophie in die Soziologie.

Nun geschieht allerdings etwas Merkwürdiges: Zwar wird das autonome Ich in ein Kommunikationsgefüge verständigungsorientierten Handelns aufgelöst, doch die Beschreibung dieses Auflösungsprozesses ist nicht selbst verständigungsorientiertes Handeln, sondern fällt zurück in das Subjekt-Objekt-Denken der subjektzentrierten Vernunft, das eigentlich überwunden werden soll. Das Kommunikationsgefüge wird unkommunikativ beschrieben, die in Ansatz gebrachte Dreierrelation ist eine scheinbare, auch sie wird noch beherrscht vom Subjekt-Objekt-Denken. Habermas wird also von seinem quasi-transzendentalen Denken eingeholt. Die kommunikative Vernunft nämlich wird im Alltag angesetzt, dessen Verständigungsprozess jedoch nur kontrafaktisch vorausgesetzt werden muss. Die Vernunft ist also nicht kommunikativ, es muss nur so getan werden, als ob sie es sei. Die Vernunft kann, so drängt sich der Eindruck auf, ihre Subjektzentriertheit nicht überwinden. Der Weg in den lebensweltlichen Alltag als letzter Metaebene einer kommunikativen Vernunft erweist sich als Sackgasse.

Nun ist deutlich, weshalb ich der Didaktik der Philosophie zumute, ihr Paradigma auszuweisen: Denn wenn die Philosophiedidaktik den Paradigmawechsel übernimmt, dann wird erstens unklar, wie sich Philosophie neben Soziologie oder einer »Kommunikativen Handlungstheorie« noch als Unterrichtsfach legitimieren kann, und zweitens wird unklar, wie der Schüler noch als autonomes Individuum denkbar ist, wenn es eine Theorie eines autonomen Ich nicht mehr gibt, sondern nur noch eine kommunikative Handlungstheorie. Zusammengefasst muss deshalb gefordert werden, dass die Philosophiedidaktik eine Theorie des Ich entwirft.

Damit ist der Philosophiedidaktik die Grundlage geschaffen und ich kann übergehen zu einer »Theorie des Philosophieunterrichts«. Da ich diesen als philosophische Paideia ansetze, ist klar, dass ich die gegenwärtige pädagogisch-didaktische Grundüberzeugung nicht teilen kann, nämlich die Lernzieltheorie. Deshalb beginnt meine eigentliche Didaktik mit der Kritik der Lernzieltheorie. Sie ist für den Philosophieunterricht deshalb fragwürdig, weil sie die Philosophie in eine Richtung drängt, die allenfalls für Teilaspekte der Philosophie zutrifft. Sie lenkt auf die Bewältigung von Lebenssituationen und genau dies ist nicht gerade die Stärke philosophischen Denkens, weil es, selbst wenn Praxis überdacht wird, grundsätzlich und allgemein argumentiert und deshalb wenig hilfreich ist, konkrete, also besondere Lebenssituationen zu bewältigen. Die philosophiedidaktische Wende zur »Handlungsorientierung« hat den Theorieanspruch des Grundsätzlichen und Allgemeinen aufgegeben und Philosophie um sich selbst gebracht. Indem sie Schule zum Leben entgrenzt, führt sie, gegen ihr Selbstverständnis, nicht die Philosophie zurück in das Leben, sondern verdrängt Philosophie aus dem Unterricht und löst das Leben auf in Diskurs und Kommunikation. Aber auch allgemein pädagogisch gesehen hat die Lernzieltheorie schlimme Auswirkungen, nämlich auf das Verständnis von Lehrern und Schülern: Sie werden nicht mehr als besondere Ganzheiten gesehen, vielmehr werden auch sie aufgelöst, und zwar in unzusammenhängende, allgemeine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften. Damit löst die Lernzieltheorie das Leben in Situationen auf und die Individualität von Lehrer und Schüler in Eigenschaften. Solchem Denken stelle ich die Bildungstheorie entgegen.

Um jedoch nicht nur bei der Forderung zu bleiben, muss ich zeigen, wie in den achtziger Jahren Bildung verstanden werden kann und wie sie zu verwirklichen ist. Dazu entwerfe ich eine philosophische Paideia im Sinne Platons. Diese bedeutet unterrichtspraktisch, dass die Unterrichtsgestaltung nicht aus dem einen Prinzip der Lernzielstrategien entwickelt werden darf, nämlich aus dem Prinzip der Lernzielhierarchie. Philosophisches Lernen (und wohl Lernen überhaupt) hat keine deduktive Struktur und Stringenz und ist kaum ergebnishaft überprüfbar, weil es in der Philosophie auf die Einheit von Ergebnis und argumentativem Gang ankommt. Stattdessen muss philosophisches Lernen aus vier Unterrichtsprinzipien entwickelt werden: der Sachlogik, der Lernlogik, der Medienlogik und der Motivationslogik. Da dies in meiner Didaktik von 1986 genauer nachgelesen werden kann, verzichte ich hier auf weitere Ausführungen. Für die Praxis philosophischen Unterrichtens sei nur noch dies erwähnt: Um die Schüler zur Philosophie zu führen, sind die Themen des Unterrichts nicht entscheidend und auch nicht die Unterrichtsmethoden. Themen sind nicht interessant ob ihres Gegenstandes, sondern kraft der Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen wird. Der Umgang ist nun in der Tat von der Unterrichtsgestaltung abhängig, aber diese lässt sich ebenso wenig wie die Themenerarbeitung unabhängig vom Lehrer sehen. Alle »interessanten« Themen und alle raffinierten Unterrichtstechniken laufen leer, wenn der Lehrer sie nicht zu füllen weiß. Anwendung schützt vor Inhalt nicht. Der gute Unterricht steht und fällt mit dem guten Lehrer. Schule, gleich welcher Art und Organisationsform, ist niemals besser als ihre Lehrer. Der Philosophielehrer ist gefordert. Er ist gefordert in seiner Person, in seiner Rolle, in seinem Wissen und in seinem Können. Der Philosophielehrer muss Freude an der Philosophie haben und Freude im Umgang mit Jugendlichen. Deren Neugier muss er wecken und leiten können; er muss ihr Denken herausfordern, er muss sie anspruchsvoll machen. Der Philosophieunterricht gelingt, wenn die philosophische Sache zu einer von Lehrer und Schülern geworden ist.

Moderne Philosophiedidaktik

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