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Konsequenzen für die Fachdidaktik
ОглавлениеDas Modell der Transformation hat für die Lehrerausbildung und für die Fachdidaktik Philosophie und Ethik weitreichende Folgen. Weil dieses Modell im Kern auf die Vermittlung zwischen wissenschaftlicher Disziplin und Unterrichtspraxis zielt, betrifft es auch das Curriculum der entsprechenden Studiengänge, also ganz konkret den Umfang und die interne Beziehung der fachlichen und didaktischen Anteile.
Wenn man vom traditionellen Schema der didaktischen »Reduktion« oder »Elementarisierung« ausgeht, kommt es im Studium letztlich nur auf solche »elementaren« Fachkenntnisse an, die im Unterricht tatsächlich behandelt werden. Polemisch formuliert: Ob die Studierenden ihr reiches Wissen »reduzieren« oder ob sie es nie besessen haben, läuft auf dasselbe hinaus. Viel wichtiger scheint es unter dieser Voraussetzung zu sein, das vermeintlich »Elementare« für die Unterrichtspraxis umzusetzen. Um sich darauf zu konzentrieren, gilt das praktisch nicht verwertbare und daher »überflüssige« Wissen als eher störend. Aufgrund der bisherigen Diskussionen fürchte ich, dass die Reaktionen auf die PISA-Studie in diese Richtung einer falschen Pädagogisierung und Didaktisierung gehen könnten.
Diese Tendenz hat nicht zuletzt auch Folgen für das Profil der Fachdidaktiker Philosophie und Ethik an Universitäten und Hochschulen. Hier wiederholt sich vielfach das curriculare Dilemma, wenn die Aufgabe der Fachdidaktik darauf beschränkt wird, den »elementaren« Wissensstoff unterrichtsmethodisch aufzubereiten. So ist es an den meisten Instituten für Philosophie üblich, die ministeriell vorgeschriebene »Didaktik der Philosophie und Ethik« kostengünstig von einem Lehrbeauftragten, einem »Praktiker«, erledigen zu lassen. Nun soll deren Engagement und Leistung hier nicht geschmälert werden. Doch wirksamer wäre die Einrichtung von mehr Planstellen für Fachdidaktik. Denn ein solcher institutioneller Rahmen böte die Gewähr dafür, dass mehr »Vermittler« zwischen wissenschaftlicher Disziplin und schulischem Unterricht lehrend und auch forschend tätig würden.
Das wissenschaftliche Profil einer so verstandenen Fachdidaktik besteht darin, aus didaktischer Perspektive die akademische Philosophie nach unterrichtspraktischen Potentialen zu durchforsten. Wie ein Jäger und Sammler sucht der (die) Fachdidaktiker(in) im historischen und systematischen Bestand der Philosophie nach solchen Praktiken, die sich an gewünschte Lernziele und zu vermittelnde Kompetenzen anbinden lassen. Als Jäger formt er die »großen« Theorien in didaktische Konzepte um, als Sammler findet er am Rande ausgetretener Pfade unbekannte Texte, methodische Einfälle, schlagende Beispiele, graphische Darstellungen usw., die neue Impulse für die Unterrichtspraxis geben können.
Insbesondere sollte sich der sowohl fachlich als auch didaktisch ausgewiesene Spezialistfür Vermittlung um eine Synthese von Philosophie und ihrer Didaktik bemühen. Denn es ist keinesfalls nur so, dass den angehenden Lehrern die Fähigkeiten fehlen, ihr reiches Wissen zu vermitteln, sondern häufig fehlt ihnen auch schlicht das schulrelevante Fachwissen. Im Bereich der Weiterbildung ist dies ein Dauerthema. Und mit den konsekutiven Studiengängen wird sich diese Tendenz vermutlich noch verschärfen. Zwar helfen wissenschaftliche Kenntnisse wenig, wenn man sie nicht an den Schüler zu bringen vermag. Doch umgekehrt ist die beste Didaktik wirkungslos, wenn die fachlichen Voraussetzungen fehlen. Es bedarf eines neuen Seminartyps, in dem fachliches Wissen und Unterrichtspraxis integrativ vermittelt werden. Auf diesem Feld ergeben sich neue Aufgaben für die Fachdidaktik Philosophie und Ethik.
1 1 Theodor W. Adorno: Philosophische Terminologie, 2 Bde., Bd. 1: Zur Einleitung, stw 23, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1973, S. 62 – 63; Friedrich Kambartel: »Thesen zur didaktischen Rücksichtnahme«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 1, 1979, Heft 1: Philosophie in Schule und Hochschule, S. 15 – 17; vgl. kritisch dazu: Ekkehard Martens: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, Hermann Schroedel Verlag KG, Hannover/Dortmund/Darmstadt/Berlin 1979, S. 9 – 11; vgl. ausführlich dazu: Johannes Rohbeck: »Philosophieunterricht als Problem der Vermittlung«, in: Wulff D. Rehfus/Horst Becker (Hrsg.): Handbuch des Philosophieunterrichts, Pädagogischer Verlag Schwann-Bagel, Düsseldorf 1986, S. 114 – 132: S. 115 – 117.
2 2 Peter Heintel/Thomas Macho: »Noch einmal: ›Konstituierungsthese‹«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie 5, 1983, Heft 1: Philosophiedidaktische Kontroversen, S. 3 – 10; Martens: Dialogischpragmatische Philosophiedidaktik, a.a.O., S. 68 – 73; hierzu vgl. Rohbeck: »Philosophieunterricht als Problem der Vermittlung«, a.a.O., S. 116.
3 3 Vgl. die von Johannes Rohbeck herausgegebene Ausgabe der Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 22, 2000, Heft 2: Transformationen. Denkrichtungen der Philosophie und Methoden des Unterrichts; vgl. auch Johannes Rohbeck (Hrsg.): Didaktische Transformationen, Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik, Bd. 4, Thelem, Dresden 2003 und vgl. ders.: Didaktik der Philosophie und Ethik, Thelem, Dresden 22010.
4 4 Gustav Grüner: »Die didaktische Reduktion als Kernstück der Didaktik«, in: Jochen Kahlke/Fritz M. Kath (Hrsg.): Didaktische Reduktion und methodische Transformation – Quellenband, Schriftenreihe Erziehen – Beruf – Wissenschaft, Bd. 8, Leuchtturm-Verlag, Alsbach 1984, S. 63 – 79.
5 5 Wolfgang Klafki: »Die didaktischen Prinzipien des Elementaren. Fundamentalen und Exemplarische«, in: Alfred Blumenthal/Johannes Guthmann/Walter Horney/Franz Seilnacht/Karl Stöcker (Hrsg.): Handbuch für Lehrer, 3 Bde., Bd. 2: Die Praxis der Unterrichtsgestaltung, C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh 1961, S. 120 – 139; Wolfgang Klafki: Das pädagogische Problem des Elementaren und die Theorie der kategorialen Bildung, Verlag Julius Beltz, Weinheim/Bergstr. 21963; Wilhelm Flitner: Grundlegende Geistesbildung. Studien zur Theorie der wissenschaftlichen Grundbildung und ihrer kulturellen Basis, Anthropologie und Erziehung, Bd. 15, Quelle & Meyer, Heidelberg 1965; Eduard Spranger: Pädagogische Perspektiven. Beiträge zu Erziehungsfragen der Gegenwart, Quelle & Meyer, Heidelberg 1962.
6 6 Ekkehard Martens: »Fachspezifische Methodik Praktische Philosophie«, in: Ethik& Unterricht 11, 2001, Heft 3: Praktische Philosophie, S. 7 – 10.
7 7 Charles Sanders Peirce: »Deduction, Induction and Hypothesis«, in: ders.: Collected Papers, 6 Vols., Vol. 2: Elements of Logic, ed. by Charles Hartshorne/Paul Weiss, Two Volumes in One, The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge MA 1993, §§ 619 – 643, S. 372 – 389.
8 8 Vgl. Kuno Lorenz: Artikel »Methode«, in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 3 Bde., Bd. 2: H–O, Bibliographisches Institut, B.I.-Wissenschaftsverlag, Mannheim/Wien/Zürich 1984, S. 876 – 879.
9 9 Dieser Überblick orientiert sich an Volker Steenblock: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophiedidaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, Münsteraner Philosophische Arbeitsbücher, Bd. 1, LIT Verlag, Münster/Hamburg/London 2000, S. 89 – 125.
10 10 Friedrich Kambartel: Was ist und was soll Philosophie?, Druckerei und Verlagsanstalt Universitätsverlag GmbH, Konstanz 1968, S. 6; Helmut Holzhey/Walter Ch. Zimmerli (Hrsg.): Esoterik und Exoterik der Philosophie. Beiträge zu Geschichte und Sinn philosophischer Selbstbestimmung, Schwabe& Co. Verlag, Basel/Stuttgart 1977; Hermann Lübbe (Hrsg.): Wozu Philosophie? Stellungnahmen eines Arbeitskreises, Studienbuch, Walter de Gruyter, Berlin/New York 1978; Artikel: »Philosophie«, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, 12 Bde., Bd. 7: P–Q, Sp. 571–879. – Zur Didaktik vgl. Martens: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, a.a.O., S. 17; Wulff D. Rehfus, Didaktik der Philosophie. Grundlage und Praxis, Pädagogischer Verlag Schwann, Düsseldorf 1980., S. 9; Norbert Diesenberg: »Entwurf für einen Kanon der Vernunft«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 19, 1997, Heft 2: Kanon, S. 82 – 91; Heinz-Albert Veraart: »Konstruktivismus als methodische Reflexion«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 23, 2001, Heft 2: S. 113 – 121.
11 11 Thomas Rentsch/Johannes Rohbeck: »Essays schreiben – aber mit Methode«, in: Information Philosophie 30, 2002, Heft 1, S. 48 – 55; vgl. auch Ekkehard Martens: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts. Philosophieren als elementare Kulturtechnik, Siebert Verlag, Hannover 32007.
12 12 Vgl. Helmut Danner: Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik – Einführung in Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik, Ernst Reinhardt Verlag, München/Basel 1989.
13 13 Sokratisch: Gisela Raupach-Strey: Sokratische Didaktik. Die didaktische Bedeutung der sokratischen Methode in der Tradition von Leonard Nelson und Gustav Heckmann, Sokratisches Philosophieren, Bd. 10, LIT, Münster/Hamburg/London 2002; pragmatisch: Martens: Dialogisch-pragmatische Philosophiedidaktik, a.a.O.; texthermeneutisch: Wulff D. Rehfus: Der Philosophieunterricht. Kritik der Kommunikationsdidaktik und unterrichtspraktischer Leitfaden, problemata, Bd. 109, Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986; allgemein hermeneutisch: Volker Steenblock: Philosophische Bildung. Einführung in die Philosophiedidaktik und Handbuch: Praktische Philosophie, Münsteraner Philosophische Arbeitsbücher; existentialistisch: Josef Schmucker-Hartmann: Grundzüge einer Didaktik der Philosophie, Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1980.
14 14 Ich orientiere mich hier an Thomas Rentsch: »Phänomenologie als methodische Praxis. Didaktische Potentiale der phänomenologischen Methode«, in: Johannes Rohbeck (Hrsg.): Denkstile der Philosophie, Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik, Bd. 3, Thelem, Dresden 2002, S. 11 – 28; Philipp Thomas: »Habe Mut, dich deiner eigenen Anschauung zu bedienen. Phänomenologie und Emanzipation«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 22, 2002, Heft 2: Texte schreiben, S. 104 – 112.
15 15 Georg Friedrich Wilhelm Hegel: »Wissenschaft der Logik. Erster Teil. Zweites Buch«, in: Werke in 20 Bänden, Bd. 6: Wissenschaft der Logik II, hrsg. von Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, stw 606, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1986; vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Erster Teil: Die Wissenschaft der Logik. Mit den mündlichen Zusätzen, in: Werke in 20 Bänden, Bd. 8: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, hrsg. von Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, stw 608, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1986.
16 16 Vgl. Dieter Henrich: Hegel im Kontext, es 510, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1971; Andreas Arndt: Dialektik und Reflexion. Zur Rekonstruktion des Vernunftbegriffs, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1994; Johannes Rohbeck: »Verkehrte Welt – Dialektik als Methode der Kritik«, in: ders. (Hrsg.): Denkstile der Philosophie, a.a.O., S. 29 – 62.
17 17 Kwame Anthony Appiah: Ethische Experimente. Übungen zum guten Leben, Verlag C.H. Beck oHG, München 2009, S. 13 – 39.
18 18 Vgl. dazu Donat Schmidt: »Vorurteile und ihre Bedeutungen für die Entwicklung ethischer Urteilsfähigkeit«, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik 28, 2006, Heft 2: Vor-Urteile, S. 90 – 101.
19 19 Joshua Knobe: »The Concept of Intentional Action: A Case Study in the Uses of Folk Psychology”, in: Philosophical Studies: An International Journal for Philosophy in the Analytic Tradition 130, 2006 S., Issue 2, pp. 203 – 231; fast wörtlich zitiert nach Appiah: Ethische Experimente. Übungen zum guten Leben, a.a.O., S. 112 – 113.
20 20 Ibid., S. 40 – 79, insbesondere aber S. 76 – 79.