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II. Der Verstoß gegen die „unternehmerische Sorgfalt“

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Das Unrecht geschäftlicher Handlungen ergibt sich im Fall von § 3 Abs. 2 UWG aus einem Verstoß gegen die „unternehmerische Sorgfalt“. Dabei handelt es sich um den „Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG (Nr. 9 RegE)). Diese Häufung unbestimmter Rechtsbegriffe ist mit dem Zweck einer Legaldefinition, Rechtssicherheit zu schaffen, kaum zu vereinbaren. Sie entspricht aber der hier umgesetzten Definition der „beruflichen Sorgfalt“ in Art. 2 lit. h UGP-RL. Mit der Abkehr von dem unionsrechtlichen Begriff „berufliche“ Sorgfalt korrigiert der deutsche Gesetzgeber richtigerweise die unzureichende deutsche Übersetzung der in der englischen („professional diligence“) und französischen („diligence professionnelle“) Fassung der Richtlinie verwendeten Begriffe.

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Die Regierungsbegründung erwartete seinerzeit bei der Einfügung von § 3 Abs. 2 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 7 (Nr. 9 RegE) in das UWG 2008 keine wesentlichen Änderungen gegenüber der zuvor bestehenden Rechtslage.[140] Diese Erwartung hat sich in gewisser Weise erfüllt; denn § 3 Abs. 2 UWG 2008 hat neben den besonderen Tatbeständen der Unlauterkeit in §§ 3a ff UWG in der Praxis keine große Rolle gespielt. Auch im Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen zur UGP-RL[141] finden sich diesbezüglich kaum Hinweise.[142] Immerhin haben die deutschen Gerichte in Fällen der Wertreklame bzw. des „übertriebenen Anlockens“, die in der UGP-RL wenig Beachtung gefunden haben, gelegentlich einen Sorgfaltsverstoß im Sinn von § 3 Abs. 2 UWG geprüft.[143]

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Vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass, den unbestimmten Rechtsbegriff „unternehmerische Sorgfalt“ grundsätzlich anders zu behandeln als den Unrechtstatbestand in § 3 Abs. 1 UWG. Daher kann an dieser Stelle auf die vorstehenden Ausführungen zu § 3 Abs. 1 UWG (vgl. Rdnr. 198 ff) verwiesen werden. Das gilt auch für den Stellenwert der in § 3 Abs. 2 UWG ausdrücklich genannten Marktgepflogenheiten; denn diese binden den Rechtsanwender auch bei Handlungen gegenüber Verbrauchern nicht, sondern sind von ihm nur zu „berücksichtigen“ und stehen dabei unter dem Vorbehalt einer normativ zu bestimmenden „Anständigkeit“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG (Nr. 9 RegE)). Soweit die Rechtsprechung im Fall von § 3 Abs. 1 UWG für die nicht speziell geregelten Fälle eine Prüfung verlangt, ob die betroffenen Verhaltensweisen von ihrem Unlauterkeitsgehalt her den in den §§ 3a ff UWG angeführten Beispielsfällen entsprechen,[144] ist dies im Fall der „unternehmerischen Sorgfalt“ auf den Unrechtsgehalt der Art. 6 ff UGP-RL in der Interpretation durch den EuGH und der Umsetzung im UWG zu beziehen. Darüber hinaus orientiert sich der BGH an der Zielsetzung der UGP-RL, „dem Verbraucher eine informationsgeleitete und freie, mithin rationale Entscheidung zu ermöglichen“ (vgl. Art. 2 lit. e UGP-RL),[145] der EuGH an den „berechtigten Erwartungen eines Durchschnittsverbrauchers“.[146] Dieser darf insbesondere nicht dazu verleitet werden, seine Pflichten gegenüber Dritten zu verletzen.[147]

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Auch § 3 Abs. 4 UWG, der Art. 5 Abs. 2 lit. b und Abs. 3 UGP-RL umsetzt, nennt den Durchschnittsverbraucher als Bezugspunkt für die Justierung des Maßstabs. Nach § 3 Abs. 4 S. 1 UWG ist bei der Beurteilung geschäftlicher Handlungen gegenüber Verbrauchern auf einen „durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen“. Damit übernimmt das Gesetz aus UGP-RL und Judikatur das Leitbild des informierten, verständigen und situationsadäquat aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers.[148] § 3 Abs. 4 S. 2 UWG engt den Kreis für besonders schutzbedürftige Verbraucher weiter ein, wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftlichen Handlungen das wirtschaftliche Verhalten „nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen“, und diese Verbraucher „auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind“. Damit wird die noch umständlicher formulierte Regelung in Art. 5 Abs. 3 S. 1 UGP-RL umgesetzt. Auf den Vorbehalt in Art. 5 Abs. 3 S. 2 UGP-RL (übertriebene oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen) hat der deutsche Gesetzgeber stillschweigend verzichtet.

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