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Оглавление1. Daktylen (d) und Spondeen (s). Es ist nicht unsere Absicht, jedes Detail der metrischrhythmischen Bewegung auf den Inhalt zu beziehen, obwohl es geradezu überraschend ist, zu sehen, wie konsequent Lukrez in die Spondeen betonte Wörter setzt.40 Beobachten wir vielmehr den Gesamtverlauf des Abschnitts als Bewegung! Lukrez beginnt mit einem Crescendo auf eine Stauung hin (921–925: 2,3,4,3,4 Spondeen): Er stellt sich als Dichter vor, der von Enthusiasmus erfüllt ist. Es folgt ein starker rhythmischer Kontrast41 (925 ssss; 926 dddd): Hier geschieht der Übergang von heftigem innerem Antrieb zu äußerer Bewegung. Dann halten sich Daktylen und Spondeen zwei Verse lang die Waage; der spondeisch-gewichtige Vers 930 mit dem Motiv der Erstmaligkeit ist dadurch hervorgehoben, dass ihm ein besonders daktylenreicher Vers vorausgeht: 929 sddd, 930 dsss. Von Vers 930 an häufen sich die Spondeen: Betont wird die Neuheit (930) und die Bedeutung des Gegenstandes (931); dann die Klarheit und Anmut der Darstellung (933f. dsss; dsss).
Vers 935 ist ein Bindeglied; das Verhältnis von Daktylen und Spondeen ist wieder ausgewogen (dssd); der Anfang des Gleichnisses (936) weist eine hohe Zahl von Daktylen auf (ddsd): Parlando als Auftakt; im Folgenden halten sich Daktylen und Spondeen die Waage (bis 944) – um so mehr fällt 938 mit ganzen vier Spondeen auf (ssss). In ihm steht das Hauptmotiv: contingunt mellis dulci flavoque liquore.42
Umgekehrt steigt die Zahl der Daktylen in Vers 945 auf vier und bleibt im folgenden Vers fast ebenso groß (ddds); so wird ein Hintergrund geschaffen für den letzten betonten Hinweis auf das Musische (943 dsss) und auf das Hauptthema – natura rerum, das nach dem Aufatmen von Vers 948 (ddsd) einen gewichtigen spondeischen Schluss bildet: 949f. (dsss; ssss). Das Metrum schmiegt sich dem Gegenstand und dem Gang der Darstellung wie ein Gewand an.43
2. Satz und Vers.Übereinstimmung von Satz und Vers findet sich in Zeilen, die in gliedernder Funktion stehen und einen neuen Zusammenhang einleiten (921; 935). Auch Nebensätze oder Infinitivkonstruktionen können in einer gewissen Geschlossenheit den Vers füllen: Nebensätze 930, 942 (vgl. 939 mit nachträglicher Erweiterung); Infinitivkonstruktionen: 929, 947. Im Übrigen herrscht große Vielfalt.44 Durch die relative Seltenheit des Zusammenfalls von Satz- und Versschluss spannt sich der Gedanke oft über viele Verse hinweg:
Gelegentlich mag der Eindruck entstehen, Lukrez erweitere in archaischer Weise seine Sätze durch nachträgliche Anreihungen. Aber auch Reihungstechnik kann künstlerisch ausgenützt werden: Das Spiel mit der Unerfahrenheit der Knaben wird hübsch durch die im neuen Vers folgende Einschränkung sinnfällig gemacht: ut puerorum aetas improvida ludificetur – aber nur labrorum tenus. Mehrfach erhöht Lukrez die Spannung dadurch, dass er das Adjektiv (Attribut) im ersten, das Substantiv aber erst im nächsten Vers bringt (z.B. 931 et artis, 922 sed acri mit Satzbeginn nach dem fünften Trochäus; 945 suaviloquenti; 949 omnem). Dadurch erhält das ‚aufgesparte‘ Substantiv besonderes Gewicht:45 Nicht zufällig ist dies hier in zwei Fällen carmen (932; 946) und im letzten Vers gar naturam rerum – also die Themen unseres Exkurses bzw. des ganzen Werkes. Auch im Verhältnis von Satz und Vers waltet somit eine Ökonomie, die das Wesentliche des Gedankengangs und der Thematik streng im Auge behält.46