Читать книгу Römische Poesie - Michael Albrecht - Страница 40
3. Vergleich Inhaltliches
ОглавлениеLukrez sucht die Seelenruhe, indem er Religion und Götterfurcht durch Erkenntnis der Naturgesetze überwinden will, Vergil jedoch, indem er sich der ländlichen Natur und ihren Göttern anvertraut. Der jüngere Dichter weiß um den Gegensatz zum älteren und drückt dies durch Anspielungen auf den Vorgänger und auf epikureische Lehren aus. Beide sind von Liebe zu den Musen ergriffen; doch schaltet Lukrez das dionysische Element aus und ersetzt es durch laudis spes magna; dem stellt Vergil die religiöse Bindung an die Musen und – in deutlicher Distanzierung – die Bereitschaft zu einem „ruhmlosen“ Dasein entgegen. Dichtung ist für Lukrez ein Überzeugungsmittel, über das er verfügt; er ist es, der alles mit „musischer Anmut“ übergießt; Vergil betont viel stärker, dass er auf die Gnade der Musen angewiesen ist, fühlt sich als Träger ihrer Heiligtümer und wünscht, von ihnen akzeptiert zu werden. Das Dichterische steht also nicht ihm, sondern den Musen zu Gebote.20 Der Enthusiasmus des Lukrez entspringt dem Streben nach Ruhm, der Überzeugung von der Größe seines Gegenstandes und der Freude daran, etwas Schwieriges und Abstraktes anschaulich darzustellen; Vergils Inspiration beruft sich auf die Verehrung der göttlichen Mächte in Poesie, Natur und Gesellschaft. Lukrez schreibt aus dem Hochgefühl der Freiheit, Vergil aus der Kraft der Demut.21 Dementsprechend ist die Poetik beider Didaktiker verschieden: Lukrez betont bei allem Enthusiasmus das Rationale, ja Rationalistische: Poesie als Einkleidung zum Zweck des Darstellens und Überzeugens – eine der Rhetorik nahestehende Dichtungslehre; Vergil erneuert die alte Inspirationsvorstellung und versteht sein Dichten als priesterliches Dienen: Vermittler also auch er, aber mehr im sakralen als im rhetorischen Sinne. Freilich halten beide Dichter praktisch mehr als ihre Theorien versprechen: Wir können uns keinen Lukrez ohne Venushymnus und keinen Vergil ohne hellenistische Feile und ohne bewussten Leserbezug vorstellen.