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Entwicklung der Geschlechtsidentität82

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Aus psychodynamischer Sicht betrachtet man die Entwicklung der Geschlechtsidentität als einen stufenweisen Entwicklungsprozess83. Dabei unterscheidet die Sexualforschung zwischen der biologischen Kategorie Sex(ualität) und der psychosozialen Kategorie Gender.84 Damit wird insbesondere anerkannt, dass die Geschlechtsidentität starken sozialen und kulturellen Einflüssen unterliegt. Was weiblich ist und was männlich, befindet sich – unabhängig von den biologischen Gegebenheiten – im Wandel. Dieser Prozess hat im Verlauf des letzten Jahrhunderts zu einer Diversifizierung des sexuellen Erlebens, Verhaltens und der sexuellen Lebensweisen geführt, so dass immer häufiger von »Sexualitäten« gesprochen wird.

Abb. 2.2: Entwicklung der Objektbeziehungen

Am Anfang der sexuellen Entwicklung steht eine unbestimmte Ahnung der Geschlechtlichkeit, die schon von Geburt an besteht. Das Ergebnis ist die reife Geschlechtlichkeit, die mit der Adoleszenz erreicht wird. Die geschlechtliche Identität entwickelt sich von da an entlang der Linie der Altersprozesse weiter und tritt in altersspezifischen Formen in Erscheinung. So gibt es spezifische Varianten im frühen und späteren Erwachsenenalter, in der Lebensmitte und im Alter.

Der Mensch wird mit einem Grundempfinden geboren, ein sexuelles Wesen zu sein. Dieses Empfinden kann man als sexuelle Protoidentität bezeichnen. Freud nahm eine bisexuelle psychische Konstitution als normal an85. Danach hat das Kind anfangs keine Vorstellung von unterschiedlichen Geschlechtern. Doch von Anfang an spielt das biologische Geschlecht eine wichtige Rolle für die Entwicklung. Prägend sind dabei die Interaktionen mit den Eltern, in denen sie die gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen vermitteln, unter denen sie sich selbst entwickelt haben. Sie reagieren auf das biologische Geschlecht und die Ähnlichkeit oder Andersartigkeit im Vergleich mit ihnen selbst. Sie kommentieren das Verhalten des Kindes im Kontext mit seinem biologischen Geschlecht und bestärken geschlechtskonformes Verhalten, während sie Abweichungen ablehnen.

Diese Vorgänge vermitteln sich anfangs prozedural durch den Umgang mit dem Kind und haben noch keine Begriffe. So entsteht im Laufe der Zeit ein basales Gefühl dafür, ein Junge oder ein Mädchen zu sein. Mit der Entwicklung der Sprache, etwa mit 18 Monaten, findet dieses Gefühl erstmals in Begriffen und Vorstellungen Ausdruck. Damit entsteht ein sehr basales Konzept für das eigene Geschlecht, die sexuelle Kernidentität. Durch Erfahrungen, die man nun »als Junge« oder »als Mädchen« macht, werden Vorstellung über das gewünschte Verhalten verinnerlicht. Es entsteht eine Vorstellung über eigenes weibliches oder männliches Verhalten und über dazugehörige Rollenerwartungen. Durch diese Mentalisierung wird dabei eine Geschlechtsrollenidentität ausgeformt. Sie wird zum Bestandteil des Selbstbildes, d. h. der Selbstrepräsentanz als Junge oder Mädchen, des sexuellen Selbst.

In der ödipalen Entwicklung wird sie durch Identifizierungen mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil und dessen Partnerwahl zu einem dauerhaften Bestandteil des Identitätsgefühls. Der Junge stellt sich vor, als Mann eine Frau zu lieben wie der Vater die Mutter, während das Mädchen wünscht, als Frau einen Mann zu lieben wie die Mutter den Vater. Dieses Ergebnis der ödipalen Identifizierung ist die psychologische Wurzel sexueller Orientierung. Bei einer heterosexuellen Entwicklung wird sie auf das andere Geschlecht ausgerichtet, indem gleichgeschlechtliche Inhalte verdrängt werden. Mit der Pubertät erhält diese Orientierung ihre endgültige Gestalt.

Psychotherapie und Psychosomatik

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