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Wiederannäherung

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Die Verarbeitung dieser Erlebnisposition ist die Aufgabe der Übungs- und Wiederannäherungsphase im zweiten Teil der Individuationsentwicklung, die im zweiten Lebensjahr stattfindet. Sie wird durch eine gleichbleibende, »haltende« Zuwendung der Pflegepersonen, also durch einfühlsame und geduldige Zuwendung gefördert und führt in der normalen Entwicklung dazu, dass die physische und psychische Getrenntheit von der Mutter anerkannt und sie als Person außerhalb des eigenen Selbst erlebt werden kann. Damit konsolidiert sich auch das subjektive Selbst.

Am Ende des ersten Lebensjahres sind die Pflegepersonen zwar schon unverwechselbar geworden, aber erst ab etwa 18 Monaten gibt es konstante Vorstellungen von der eigenen Person und von den Pflegepersonen, die auch erhalten bleiben, wenn diese nicht real anwesend sind. Das hängt auch damit zusammen, dass um diese Zeit die Sprachentwicklung beginnt und das Kind in die Lage kommt, Begriffe als sprachliche Symbole für Beziehungen zu bilden. Die Erfahrungen werden nun im episodischen, explizit-deklarativen Gedächtnis abgelegt und können als Erinnerung abgerufen werden.

Nun wird die Verlassenheits- und Verfolgungsangst geringer. Die Spaltung in »gute« und »schlechte« Beziehungen wird vermindert. Die eigene Person und die Menschen der Umwelt werden jetzt ganzheitlicher und realistischer wahrgenommen, d. h. die befriedigenden und frustrierenden Aspekte des Selbst und der Objekte werden stärker zusammengefügt und als Eigenschaften erlebt, die in einer Person vereint sind. Dadurch entstehen umfassende, realistische Selbst- und Objektvorstellungen. Mit der Fähigkeit zur Ambivalenz gegenüber den Bezugspersonen werden Gut und Schlecht zunehmend integriert und die Spaltungswelt überwunden. Zugleich wird die Verfolgungsangst in Sorge um den anderen und Angst, ihn zu verlieren, umgewandelt. Damit wird die depressive Position95 erreicht. Diese ist mit dem Konflikt verbunden, den verfolgend erlebten, frustrierenden »Teil« der Objekte angreifen und zugleich den befriedigenden erhalten und vor dem Angriff schützen zu wollen. Damit entsteht eine Besorgnis um die Bezugsperson. Sie fördert die weitere Integration von Gut und Schlecht.

Wenn die Bewältigung der Individuationskrise scheitert, bleiben Verlassenheits- und Verfolgungsängste bestehen und die psychischen Funktionen und das Selbstgefühl bleiben an die reale Anwesenheit konkreter Personen gebunden. Damit wird der depressive Grundkonflikt fixiert. Es entsteht die für das niedere Strukturniveau typische Objektangewiesenheit, die sich darin äußert, dass die Betroffenen von Fragmentierungsängsten bedroht werden, wenn der schützende Andere nicht anwesend ist. Das Erleben des anderen, des Du, wird durch erneute Regression in die gespaltene innere Welt wieder in »nur-gute« und »nur-schlechte« Teilobjekt-Funktionen aufgespalten: Das ganzheitliche Erleben, das Bewusstsein der Widersprüchlichkeit der eigenen Person und der äußeren Objekte, das anfangs noch sehr unsicher ist, geht wieder verloren. Damit entsteht die Disposition für Persönlichkeitsstörungen auf dem niederen Strukturniveau, insbesondere für die Borderline-Persönlichkeitsstörung ( Kap. 4.2).

Psychotherapie und Psychosomatik

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