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2.Systematische Auslegung
Оглавление169Die systematische Auslegungsmethode bringt die zu interpretierende Norm in einen Zusammenhang mit dem gesamten Gesetz oder mit anderen Gesetzen.
Beispiel: Die zuständige Behörde möchte aufgrund von gewalttätigen Ausschreitungen eine Versammlung in der örtlichen Stadthalle auflösen. Was ist hierfür die richtige Rechtsgrundlage?
Lösung: § 15 III VersG wäre vom Wortlaut her einschlägig. Die Systematik des VersG spricht allerdings dagegen, da § 15 VersG im Abschnitt III „öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel“ steht. Richtige Rechtsgrundlage ist § 13 I Nr. 2 VersG, der aufgrund seiner Stellung in Abschnitt II für öffentliche Versammlungen in geschlossenen Räumen gilt.
Die systematische Auslegungsmethode kann aber auch einen Begriff der Norm in einen Zusammenhang mit der gesamten Norm bringen.
Beispiel: G beantragt die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis. Gegen die Ablehnung der Erlaubnis legt er Widerspruch ein. Er vertritt nun die Auffassung, dass sein Widerspruch gem. § 80 I S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung habe und er die Gaststätte schon eröffnen dürfe.
Lösung: Gem. § 80 I S. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Vom Wortlaut kann mit Widerspruch sowohl der Anfechtungs- als auch der Verpflichtungswiderspruch gemeint sein. Der Wortlaut ist also nicht eindeutig. Hier kann auf den Zusammenhang des Wortes „Widerspruch“ innerhalb der Norm abgestellt werden. Der Begriff „Widerspruch“ erscheint in § 80 I S. 1 VwGO in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Begriff „Anfechtungsklage“. Damit ist der Widerspruch als Vorverfahren vor Durchführung der Anfechtungsklage zu verstehen. Die Anfechtungsklage ist gem. § 42 I VwGO gerichtet auf die Aufhebung eines VA. G möchte hier aber nicht die Aufhebung, sondern den Erlass eines ihn begünstigenden VA. § 80 I S. 1 VwGO greift in diesen Fällen des Verpflichtungswiderspruchs nicht. Damit hat sein Verpflichtungswiderspruch keine aufschiebende Wirkung.
170Unterarten der systematischen Auslegung sind die verfassungskonforme und die unionskonforme Auslegung.
Die Normenhierarchie hat das Gebot verfassungskonformer Auslegung zur Folge. Ist der Wortlaut eines Rechtssatzes eindeutig, kommt eine verfassungskonforme Interpretation nicht in Betracht. Hier würde nämlich das Gesetz nicht mehr ausgelegt, sondern missachtet.
Kommen dagegen vom Wortsinn mehrere Interpretationen in Betracht, kann zur Auslegung auf die Verfassung, insbesondere die Grundrechte als objektive Werteordnung, zurückgegriffen werden.
171Beispiel: Das Verteilen von Flugblättern (ohne festen Stand!) in einer Fußgängerzone könnte nach dem Wortlaut des § 13 I S. 1 Straßengesetz („innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen“) noch erlaubnisfrei oder auch außerhalb der „verkehrsüblichen Grenzen“ und damit eine erlaubnispflichtige Sondernutzung sein. Unter Berücksichtigung der von Art. 5 I GG geschützten Presse- und Meinungsfreiheit bewegt sich das Verteilen von politischen Flugblättern innerhalb einer Fußgängerzone noch innerhalb des Gemeingebrauchs (BVerfG, NVwZ 1992, 53 f.; BVerwGE 56, 24–31 = NJW 1978, 1935–1937; dazu näher Rn. 1072).