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III.Leistungs- und Teilhaberechte
Оглавление77Neben Schutzpflichten können Grundrechte auch sog. Leistungs- oder Teilhaberechte umfassen.
Leistungsrechte in diesem Sinne umfassen etwa den Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip), den Anspruch auf Asyl (Art. 16a GG) oder den Anspruch der Mutter auf „den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ (Art. 6 Abs. 4 GG). Sie bestehen eigenständig („originär“), also unabhängig davon, ob andere Personen bereits eine solche Leistung erhalten haben.
Teilhaberechte hingegen sind darauf gerichtet, dieselben Leistungen zu erhalten wie ein anderer zuvor („derivativ“). Sie kommen oftmals beim Zugang zu vorhandenen staatlichen Einrichtungen zum Tragen. Beispiele sind der gleichheitsgerechte Zugang zu einer öffentlichen Einrichtung wie einer Stadthalle (Art. 3 Abs. 1 GG, → Fall 12 und Fall 14) oder der Anspruch auf gleichheitsgerechte Studienplatzvergabe (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG10).
78Originäre Leistungsrechte bestehen nur selten. Sie richten sich im Übrigen – wie das Recht auf schützenswertes Einschreiten – vorrangig an den Gesetzgeber und nicht unmittelbar an die Verwaltung.
Derivative Teilhaberechte hingegen kommen auch in der Verwaltungspraxis häufig zum Tragen. Hierzu lässt sich allgemein festhalten, dass im Regelfall ein Zugangsanspruch zu staatlichen Einrichtungen besteht.11 Dieser Anspruch beschränkt sich bei Kapazitätsengpässen auf eine gleichheitsgerechte Auswahl der Teilnehmer.12 Er geht aber nicht so weit, dass weitere Kapazitäten geschaffen werden müssen (das wäre ein originäres Leistungsrecht).
Ein Einwohner einer baden-württembergischen Stadt ist gem. § 10 Abs. 2 S. 2 GemO BW berechtigt, die Stadthalle zu benutzen (derivatives Leistungsrecht). Er hat aber keinen Anspruch gegen die Stadt, dass eine neue Stadthalle gebaut oder die alte Stadthallte vergrößert wird (originäres Leistungsrecht). Ebenso wenig kann ein Marktteilnehmer verlangen, dass die zu vergebenden Standplätze auf dem städtischen Weihnachtsmarkt von 20 auf 25 Standplätze erweitert werden. Er kann lediglich verlangen, bei der Standvergabe wie alle anderen Teilnehmer gleichheitsgerecht berücksichtigt zu werden, § 70 Abs. 1, 3 GewO.
79Für die gleichheitskonforme Auswahl muss die Verwaltung eigene, nachvollziehbare und diskriminierungsfreie Kriterien zugrunde legen. Das sind etwa das Losverfahren, die Attraktivität oder Ausgewogenheit des Angebotes, das Rotationsprinzip oder das Prioritätsprinzip („wer zuerst kommt, mahlt zuerst“).13 Nicht ausreichend sind hingegen die Kriterien „alt vor neu“ oder „neu vor alt“ sowie „bekannt und bewährt“. Sie können allenfalls als Hilfskriterien herangezogen werden. In der Regel bewertet die Verwaltung die Bewerber anhand mehrerer solcher Kriterien. Siehe hierzu → Fall 12.
80Leistungs- und Teilhaberechte vermitteln subjektive Rechte und sind daher mit einem Rechtsbehelf durchsetzbar, wenn sie verletzt werden. Wie bei Schutzansprüchen muss das subjektive Recht auch hier im Rahmen der Widerspruchs- oder Klagebefugnis (vorrangig aus einfachem Recht14) hergeleitet werden.
Hat ein Rechtsbehelf Erfolg, wird – insb. beim Teilhaberecht – selten ein konkreter Leistungs- oder Teilhabeanspruch zugesprochen, sondern regelmäßig nur die Verpflichtung zur erneuten Entscheidung der Verwaltung. Im Fall des Teilhabeanspruchs wird dann das Auswahlverfahren neu durchgeführt.15