Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 10

Holden

Оглавление

Wir nehmen den Lift in die Tiefgarage. Paine hat einen privaten Stellplatz, auf dem zu meinem Erstaunen ein zartgelb glänzender Rennwagen mit runden Formen parkt. THERESA 3 steht auf dem Nummernschild.

Die Türen öffnen sich nicht nach vorn, sondern falten sich wie Flügel auf.

Ich habe das Gefühl, in ein Raumschiff zu steigen. Das Innere riecht noch neu und mein Sitz scheint zu leben. Kaum hat er meine Größe und mein Gewicht gemessen, bewegt sich meine Rückenlehne von selbst leicht nach hinten und alles rundet sich oder wird an genau den richtigen Stellen flacher, bis Form und Härtegrad perfekt sind.

»Sitzt du gut?«, fragt Paine.

Ich nehme an, sie macht einen Witz, aber sie klingt krass ernst.

»Willkommen«, sagt eine warme Stimme, die aus den Lautsprechern wabert. »Wohin kann ich Sie bringen?«

»Paradise.« Paine hält ihr ID-Bändchen an das Dashboard. »Geheime Location Red Zone.«

Ich spüre das Adrenalin in meinen Adern.

»Und zwar ein bisschen zackig«, füge ich hinzu.

Die Türen schließen sich und die Lautsprecherstimme wünscht uns eine angenehme Reise.

Geschmeidig gleiten wir zum Ausgang, wo uns ein Wärter in einer dunkelvioletten Uniform erwartet. Auf Bauchhöhe hält er so eine Metalldose, in der Cliffton-Besucher ihr Camphone deponieren müssen.

Bei der Abfahrt bekommt man es demnach wieder!

Die Fenster des Wagens funktionieren über Sprachsteuerung.

Paine lässt ihres hinuntersurren, streckt den Arm hinaus und nimmt ihr Camphone aus der Dose. »Fenster schließen.«

Verblüfft sehe ich, wie sie das Gerät in ihre Westentasche steckt, ohne auch nur einen Blick auf das Display zu werfen.

»Warum warnen Sie die Computerzentrale nicht?«, frage ich. »Oder wählen den Notruf?«

Paine sieht mich kopfschüttelnd an. »Und du glaubst, dass Sims das jetzt einfach so zulässt? Gerade im Kontaktraum …«

»Okay, okay.« Ich kann es nicht leiden, dass sie natürlich recht hat. »Können wir dann wenigstens ein wenig schneller fahren?«

Aufreizend langsam verlassen wir das Gelände und biegen auf die Straße ein.

»Bitte«, flehe ich.

»Ich will keinen Unfall bauen.«

»Das ist ein Sportwagen!«

»Mit einem Bordcomputer, der weiß, was sicher ist«, sagt Paine.

Warum wollen Erwachsene nie auf einen hören? Die Unruhe jagt durch meinen Körper – schneller als jegliches Auto. »In diesem Tempo schaf‌fen wir es nie!«, rufe ich verzweifelt.

Paine macht eine Kopfbewegung zum Abgrund. »Und wenn wir abstürzen, sind wir noch weiter von unserem Ziel entfernt.«

»Aber dann haben wir es wenigstens versucht!«

»Immer mit der Ruhe«, sagt Paine. »Solange Theresa auf meine Kommandos reagiert, ist es noch nicht zu spät.«

Wahrscheinlich hat sie schon wieder recht, aber mein hektisches Gefühl ist wie ein Wolf, der sich nicht zähmen lässt. Ich versuche, den Zeiger des Tachos mit meinem Blick hochzudrücken, und brumme lautlos.

Theresa, das lahmste Sportauto aller Zeiten.

Die Straße macht eine Biegung und führt nach unten.

Ich behalte die geplante Route ängstlich im Auge. Weichen wir nicht zu sehr ab? Was, wenn die Computerhirne doch schon die Macht ergriffen haben und uns heimlich in die falsche Richtung schicken? Oder würden wir dann einfach angehalten?

Ich kriege den Gedanken nicht mehr aus meinem Kopf. Immer, wenn wir kurzfristig langsamer werden, glaube ich, dass Sims dahintersteckt. Dass dies der unumkehrbare Moment ist, in dem nicht nur unsere Kameras, sondern auch alle anderen Geräte übernommen wurden. Geräte wie das Rennauto von Paine und alle anderen computergesteuerten Fahrzeuge.

Und alle Food-Printer.

Dann können wir uns echt abschreiben!

Zum Glück, da ist schon der Wald mit seinen silberfarbenen Stämmen und der kamerafreien Zone, in der Ordnungshüter Chapman vor drei Tagen meine Jeecker aus dem Autofenster warf. Stinksauer war ich. Jetzt kommt es mir nur noch lächerlich vor. Ich nehme mir vor, mir nie wieder einen Kopf über so etwas Unwichtiges wie ein Paar Schuhe zu machen. Jetzt zählt nur noch eins …

Glaubst du das wirklich?, nölt meine innere Stimme. Ein Siebzehnjähriger, der die Welt rettet?

Ein fast Achtzehnjähriger, korrigiere ich sie.

Es hilft nichts. Plötzlich bin ich ganz sicher, dass die Stimme recht hat. Solche Heldentaten passieren nur in schwachsinnigen Geschichten. Die denken sich Schriftsteller aus, die den ganzen Tag rumfantasieren, weil sie zu viel Schiss haben, um selbst loszuziehen und echte Abenteuer zu erleben.

Ein meterhoher Zaun taucht vor uns auf.

Sobald wir am Torpfosten angehalten haben, hebt Paine kurz ihre Hand mit dem ID-Bändchen. Offenbar hat sie ein E-Visum, denn der Leser akzeptiert es ohne Zögern. Der Zaun schiebt sich auf und dann tauchen wir in den dunklen Tunnel, aus dem wir ein paar Minuten später wieder nach oben kommen.

WILLKOMMEN IN PARADISE, sagt ein Schild am Straßenrand. Der Text ist mit Sonnen, Blumen und Schmetterlingen verziert.

Theresa fährt unermüdlich weiter. Ich spähe auf die Instrumentenanzeige. Laut Routenplaner dauert unsere Fahrt noch vier Minuten und einunddreißig Sekunden. Ein kleiner Funken Hoffnung steigt in mir auf. Vielleicht sind wir doch rechtzeitig da.

Das Auto biegt in eine Seitenstraße ein und schon bald gelangen wir in ein grünes Viertel mit Straßen ohne Bürgersteige und Firmengebäuden statt Wohnhäusern.

Das muss Produktionsviertel 3 sein – ich erkenne eine auf‌fällig gelbe Betonburg, an der wir vorbeifahren. Pas alter Arbeitsplatz ist hier ganz in der Nähe. Die verdammte Scheißfabrik, in der sie Calmexin in unser Vita mischen, damit wir uns in zahme Schafe verwandeln.

Wo Pa Calmexin in unser Vita gemischt hat.

Der dreckige Verräter!

Um meine Wut abzuleiten, presse ich meine Fingernägel in meine Handflächen und hole tief Luft.

»Produktionsviertel 2«, sagt Paine. »Wir sind fast da.«

Ich verbanne Pa aus meinen Gedanken und checke den Routenplaner, der behauptet, in sechzehn Sekunden die geheime Location Red Zone zu erreichen.

Unmöglich. Wenn ich mich umschaue, kann ich nirgends ein schwer bewachtes Gebäude entdecken. Ich sehe nur ein riesiges Golfgelände, das bei näherem Hinschauen doch kein Golfgelände ist, denn die Fähnchen, Spieler und Golfkarren fehl…

Shit! Theresa kommt völlig unerwartet von der Straße ab und rast auf ein paar Büsche zu. Ich klammere mich ans Armaturenbrett und stemme mich dagegen.

Wir sind zu spät! Sims ist an der Macht und jetzt bringt das System Theresa dazu, sich totzufahren … mit uns an Bord!

Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken?

Подняться наверх