Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 19
Prissy
Оглавление»We are the Champions!«, dröhnt es aus den flirrenden Lautsprechern.
Das Soundsystem ist so laut aufgedreht, dass die Musik meinen ganzen Kopf ausfüllt. Für Gedanken ist kein Platz mehr, ich bestehe einzig und allein aus Gefühl. Ein Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl, das mich schweben lässt und alle Probleme ausradiert. Ich singe aus voller Kehle, Lașer und Mo brüllen genauso laut mit und wir lachen uns schlapp. Aber dann erreichen wir die kamerafreie Zone, das Auto sagt »Ziel erreicht« und ich werde von meiner rosa Wolke in die Wirklichkeit zurückkatapultiert.
»Das letzte Stück gehen wir zu Fuß«, sagt Lașer, nachdem er die Musik abgeschaltet hat.
Die Stimmung ist augenblicklich wieder todernst. Wir steigen aus und schlagen die Autotüren zu. Vor und hinter uns ist der asphaltierte Weg vollkommen leer. Ich weiß nicht, ob ich das beruhigend oder eher gruselig finde.
Mo öffnet die Heckklappe. Der Kofferraum quillt über, als wären wir auf dem Weg zu einem Flohmarkt. Während Mo seine kurze Jacke gegen eine Weste mit Reißverschluss tauscht, wühlt Lașer zwischen den anderen Kleidungsstücken. Er legt eine Basecap beiseite, danach noch eine und reicht mir dann irgendein beknacktes Partyhütchen, an dem eine blonde Perücke festgenäht ist.
»Für dich«, sagt er. »Die Kameras werden nach einem Mädchen mit dunkelbraunen Haaren suchen.«
Die Perücke ist superwarm und juckt, was die alte Prissy wieder zum Vorschein bringt. Oder vielleicht ist es einfach die Schuld von Reese, die mit ihren Vlogs zehn Jahre lang unauslöschliche Modetipps in mein Hirn gepumpt hat.
»Blond steht mir nicht«, maule ich.
»Dir steht doch alles«, sagt Mo und reicht mir auch noch eine abscheuliche Sweatjacke. »Von meiner Mutter.«
Die Jacke ist mausgrau und riecht, als hätte sie zu lange im Schrank gelegen. Ich ziehe sie widerwillig über und betrachte mich in der Autofensterscheibe. »Das ist nicht dein Ernst!«
»Hauptsache, du wirst nicht erkannt.« Lașer tauscht seine Beanie gegen eine dunkelblaue Cap und zieht eine verschlissene kurze Jacke an. Auf den Ärmeln befinden sich Farbspritzer, die mich an seine Graffitikunstwerke in der Skatehalle erinnern. Verträumte Elfen mit sanften Augen und Raubtierkrallen. Ein süßes Babymädchen mit der Zunge einer Schlange.
Mo hat auch etwas von einem Fabeltier mit seinem leuchtenden dritten Auge.
»Dich erkennt man sogar im Dunkeln«, sage ich.
»Oh ja.« Mo löscht das Licht und zieht das elastische Band runter, sodass es um seinen Hals hängt. Das Lämpchen verbirgt er unter seinem T-Shirt.
»Hier, Pris.« Lașer drückt mir einen Rucksack in die Hände. »Ich weiß nicht, ob wir den Flaschen im Schutzkeller noch vertrauen können, also nehmen wir selbst Wasser mit.«
»Holdens Schutzkeller?«, stammele ich. »Dort gehen wir hin?«
Ich sehne mich nach dem Rausch von eben. Ich will mich wieder frei fühlen und nicht erneut in irgendeinen unheimlichen Tunnel kriechen. Der Lüftungsschacht war schon schlimm genug.
»Da liegen Lebensmittel für ein ganzes Jahr und niemand kommt je dorthin«, sagt Lașer. »Aber wenn du was Besseres weißt …«
»Nervensäge« steht in einer imaginären Sprechblase über seinem Kopf.
Ich weiß keinen besseren Ort und ich will auch keine Nervensäge sein, also hieve ich mir den Rucksack auf die Schultern. Schon zum zweiten Mal kommt mir heute mein Schwimmtraining zugute. Obwohl die Tasche bleischwer ist, klagen meine Muskeln nicht.
»Müssen wir weit laufen?«, frage ich.
Mo hängt sich ebenfalls einen Rucksack um und setzt die übrig gebliebene Cap auf. »Kommt darauf an, was du weit nennst.«
Lașer hat offensichtlich nicht vor, mehr zu tragen als seine Umhängetasche. Er schließt den Kofferraum. »Die Ordnungskräfte suchen nach einem Dreiergrüppchen. Wir sollten uns lieber aufteilen.«
»Guter Plan.« Mo zieht die Schirmmütze tief über seine Augen.
»Nimm du Prissy mit«, sagt Lașer.
Hält er mich vielleicht für ein Gepäckstück?
»Und das bestimmst du?« In Clicksprache würde ich ihn jetzt unter einem Berg wütender Emojis begraben, aber ich habe nur meine Stimme und die macht offensichtlich keinen Eindruck.
»Mach, was du willst«, sagt er ungerührt. »Es schien mir einfach praktisch, weil ihr diese schweren Rucksäcke tragen müsst und ich dafür die längere Strecke laufe.«
Hätte ich bloß meinen Mund gehalten. Wenn ich jetzt noch einen Rückzieher mache, lachen sie sich kaputt.
»Schwer, sagtest du?« Ich klopfe an die Unterseite des Rucksacks. »Das Dingelchen?«
Lașer zuckt mit den Schultern. »Wie du willst.«
»Ich sehe euch am Schutzkeller«, sagt Mo.
Er entfernt sich über den Gehsteig in Richtung einer Häusergruppe.
»Wir gehen ein Stück zurück und nehmen dort eine Seitenstraße.« Lașer marschiert schon vor mir her.
Na los, Pris, zeig es ihnen.
Ich beiße die Zähne zusammen und folge ihm innerlich murrend.