Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 22
Holden
ОглавлениеWir biegen in eine schmale Seitenstraße ein.
»Glauben Sie nur nicht, dass Sie damit durchkommen«, sage ich cooler, als ich mich fühle. »Wir sollten ins Institut fahren und Autos, die von der vereinbarten Strecke abweichen, werden automatisch angehalten. Das weiß ich zufällig von meinem Vater.«
»Es sei denn, es handelt sich um das Auto einer Funktionärin mit Zugangserlaubnis Level zwei oder höher«, sagt Paine. »Hat er das nicht erwähnt?«
Ich hätte es wissen können. Pa hat mir so einiges nicht erzählt.
»Kommen Sie schon«, flehe ich. »Das wollen Sie nicht wirklich.«
»Du lässt mir keine Chance, Holden. Die Bewohner im Cliffton brauchen mich. Ich kann meine Position nicht von dir aufs Spiel setzen lassen.«
Dieses Mal empfinde ich keinen Funken Respekt vor ihren Brechreiz erzeugenden Worten.
»Tote Bewohner brauchen keine Direktorin«, sage ich.
Sie beißt nicht an. Ich lasse das Camphone sinken und verstecke es unter meinem rechten Oberschenkel. Warum habe ich bloß nicht die Klappe gehalten? Ich hätte mit meinen Beschuldigungen warten sollen, bis wir im Institut gewesen wären.
»Dieses künstliche Superhirn wird demnächst Gott spielen«, setze ich ihr mit ihren eigenen Worten zu. »Nach der Verflechtung weiß es genau, welches Vita für wen bestimmt ist. Bald wird es nur noch Gift aus den Food-Printern des Cliffton geben.«
»Besser ein Computerhirn, das Gott spielt, als ein Mensch«, sagt sie. »Die Geschichte hat Dutzende von Weltenlenkern hervorgebracht, die komplette Völker niedergemetzelt haben. Wenn jemand zu Grausamkeiten in der Lage ist, dann sind wir das.«
»Wir?«
»Die Menschheit.« Sie schlägt mit der Hand auf das Lenkrad, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Menschen sind schwach. Wir sind so empfänglich für Geld und das führt dazu, dass wir bereit sind, schreckliche Dinge dafür zu tun. Ein Computerhirn lässt sich nicht bestechen oder verführen und braucht keinen Status. Seine Handlungen werden von Daten und Algorithmen bestimmt.«
»Genau!«, rufe ich aus. »Also ohne Gefühl. Warum sollte es die Bewohner im Cliffton verschonen? Nutzlose Irre und gefährliche Kriminelle tragen null Komma null zur Gesellschaft bei und sorgen nur für Ärger. Wenn man die reinen Daten betrachtet, sollte man sie am besten ausrotten.«
»So schlimm wird es schon nicht kommen«, beharrt sie. »Unsere Computer sind nicht aufs Töten programmiert. Im Gegenteil, sie werden alles dafür tun, um den Frieden zu bewahren.«
»Und was ist mit Lois und Haruki und all den anderen? Ohne die Aktionen von Sims wären sie bestimmt noch am Leben.«
»Das war damals. Jetzt, da die Verflechtung gelungen ist, braucht Sims keine menschlichen Instrumente mehr.«
Theresa kriecht immer weiter in den Wald hinein. Die Bäume stehen so dicht nebeneinander, dass die Sonne kaum noch eine Chance hat. Vorhin lugten noch die letzten Strahlen durch die Frontscheibe und es war schön warm im Auto. Jetzt fühlt es sich unangenehm kühl an.
»Wenn künstliche Intelligenz so großartig ist«, sage ich mit erstickter Stimme, »warum haben Sie dann alle Kameras und Geräte aus Ihrem Appartement verbannt?«
Paine reibt sich über die Stirn und seufzt. »Nicht alle Immunen brauchen Kontrolle und Lenkung, Holden.«
Sagt die Bitch, die mich ohne Gewissensbisse in die Dead Zone bringt!
Der Duft feuchter Erde weht durch die offenen Fenster ins Wageninnere und vermischt sich mit meinem stinkenden Angstschweiß. Ich hocke wie eine Ratte in der Falle. Paine ist die Einzige, die die Türen entriegeln und das Auto zum Anhalten bringen kann. Wenn ich sie bewusstlos schlage, werden wir automatisch weiterfahren, bis wir unser Ziel erreicht haben. Ich kann ihr schlaffes Handgelenk mit dem ID-Bändchen zwar ans Dashboard halten, aber nicht ihre Stimme imitieren.
Das Camphone! Ich könnte den Notruf wählen. Wenn der noch funktioniert.
Ma! Ich könnte versuchen, ihr zu clicken, wie ich schon vorhin vorhatte. Wie habe ich das nur vergessen können? Ich ziehe das Gerät unter meinem Oberschenkel hervor und …
Auf einmal sind da Paines Finger. »Das würde ich nicht tun.«
Sobald sie mir das Camphone aus der Hand reißen will, werde ich von einer Art Urgefühl – wenn ich es nicht kriege, dann auch sie nicht – überwältigt und ich werfe das Ding aus dem Fenster.
»Spinnst du?« Sie wedelt mit ihrem ID-Bändchen vor dem Armaturenbrett.
»Nothalt!«
Und dann steht der Rennwagen plötzlich still und auf Paines Seite hebt sich die Tür. Murrend steigt sie aus und geht um das Auto herum, den Blick auf den Boden geheftet.
Das ist meine Chance!
Ich rutsche über ihren Sitz, zwänge mich am Lenkrad vorbei und purzele fast raus.
»He!«, höre ich sie rufen, aber ich habe mein Gleichgewicht schon wiedergefunden und in meinen Schuhen stecken offenbar Antriebsmotoren, die mir epische Kräfte verleihen. Ich katapultiere mich in den Wald hinein – wo das Auto nicht hinkommen kann–, renne und renne, während ich tief hängenden Ästen ausweiche, über Baumwurzeln springe und alle Geschwindigkeitsrekorde breche.
»Holden, komm zurück!« Paines Stimme verfolgt mich zwischen den Bäumen. »Das ist zu gefährlich!«
Ich ignoriere das Stechen in meiner Seite und renne unermüdlich weiter. Der Waldboden dröhnt unter meinen Füßen und der Schweiß strömt in Bächen über meinen Körper.
Paine ist ein Genie im Schnellgehen, aber als Langstreckenläuferin eine Niete. Ihre Stimme wird immer schwächer und nach einer Weile höre ich gar nichts mehr. Ich bleibe stehen und schnappe nach Luft, während ich mich mit den Händen an einen Baum stütze. Eine leichte Brise streicht über meinen schweißnassen Nacken, und obwohl ich noch längst nicht abgekühlt bin, bekomme ich eine Gänsehaut.
Ob Paine wohl schon weggefahren ist? Theresa ist ein lautloses Auto und ich bin so weit gelaufen, dass ich den Rennwagen von hier aus unmöglich noch sehen kann.
Ich warte und lausche.
Blätter rascheln und irgendwo höre ich einen Ast knacken. Hoch über mir klopft ein Specht gegen einen Stamm. Noch mehr Rascheln. Dann bewegen sich die Büsche ein Stückchen weiter hinten und ein großer dunkelbrauner Rücken taucht auf.