Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 5
Prissy
ОглавлениеDas blaue Coupé gleitet lautlos in die Parkbucht.
»Dort ist es«, sagt Mo.
Mit zusammengekniffenen Augen spähe ich durch das kleine Seitenfenster des Wagens zur anderen Straßenseite. Ich hatte eine unbezwingbare Festung mit superdicken Mauern und hohen Zaunspitzen erwartet. Stattdessen schaue ich über einen grünen Hügel. Wie bei einem Sportplatz ist er umgeben von imposanten Pfosten mit Sonnenpaneelen, Lampen und Kameras, die sich langsam bewegen.
»Bist du ganz sicher?«, frage ich. »Ich sehe nur Gras.«
Alle drei Meter steht ein kleines Schild auf Kniehöhe: PRIVATGELÄNDE. BETRETEN VERBOTEN.
»Das ist kein natürlicher Hügel, sondern die Oberseite der Computerzentrale«, sagt Lașer. »Das Gebäude wurde so entworfen, dass es sich vollkommen in die Landschaft einfügt. Der Eingang befindet sich im Osten und ist von der Straße aus nicht zu sehen. Trotzdem patrouillieren dort Tag und Nacht Wachen. Die einzige Möglichkeit, unbemerkt ins Innere zu kommen, ist über das Grasdach.«
Ein Dach ohne Fenster.
»Ja, klar«, sage ich verächtlich. »Machen wir mal eben.«
Ins City-Museum eindringen und ein Kunstwerk stehlen scheint mir weniger kompliziert. Und das ist schon nahezu unmöglich. Also.
»Die Cloud, in der das Architekturbüro seine Daten aufbewahrt, war so leck wie ein Sieb«, fährt Lașer ungerührt fort. »Ich habe mir die Bauzeichnungen angeschaut und das Ventilationssystem scheint mir die beste Option. Ganz oben auf dem Hügel ragt ein großer Lüftungsschacht heraus.«
»Und was ist mit den Kameras?«, frage ich.
»Schon gehackt.« Er öffnet seine Umhängetasche. »Jemand war so freundlich, uns die Sicherheitscodes durchzugeben.«
Ein Mitglied von Bit’s a Mystery natürlich – die Geheimgesellschaft von Nerds, zu der Lașer und Mo ach so gern gehören wollen.
»Nur ein Roboter kann Dutzende von Kameras gleichzeitig steuern.« Lașer bringt einen Portable zum Vorschein, dessen Linse abgeklebt ist. Es sieht aus wie ein Auge mit Piratenklappe. »Darum habe ich zu Hause ein kleines Programm geschrieben. Sobald ich es starte, bewegen sich alle nach einem Schema, das ich mir sorgfältig ausgedacht habe. Gleich wird sich jede Kamera genau im richtigen Moment von uns wegdrehen.«
Meine Finger schließen sich um den Anhänger, den ich an einer Lederschnur um den Hals trage: eine dicke silberfarbene Scheibe mit tief eingravierten, seltsamen Zeichen. Es ist der Computerschlüssel, den Papa früher immer bei sich trug. Vielleicht fühlt es sich deshalb so an, als sei er ganz nah, obwohl er schon seit fast zwei Jahren tot ist.
»Und wenn es schiefgeht?
Lașer findet meine Frage so lächerlich, dass er sich nicht einmal die Mühe macht zu reagieren.
»Entspann dich«, antwortet Mo an seiner Stelle. »Solange wir die Zeit gut im Auge behalten, kann nichts passieren.«
Lașer nickt. »Wir haben fünf Minuten, um ungesehen oben auf den Hügel zu gelangen.«
Okay, das müsste zu schaffen sein.
»Und das Gitter vom Lüftungsschacht zu schrauben«, fügt er hinzu.
Mein Herz schlägt augenblicklich schneller. Ich sehne mich nach einem Surprise-Yummy, doch bedauerlicherweise habe ich die Schachtel nicht dabei. »Und wenn wir es nicht schaffen?«
»Dann bleiben alle vom Calmexin betäubt und unsere Führenden können weiterhin einfach machen, was sie wollen.« Mo reicht mir einen Schraubenzieher. »Das lassen wir doch nicht zu, oder?«
Ich versuche, ein fest entschlossenes »Nein« herauszubringen. Meine zitternde Stimme verdirbt es.
»Das Auto steht außer Reichweite der Kameras«, sagt Lașer. »Aber sobald wir die Straße betreten …«
»Zwei Schritte«, sagt Mo. »Dann sind wir voll im Bild.«
»Es sei denn, ich aktiviere diesen Link.« Lașer bewegt seinen Finger über den Monitor des Portables.
Ich folge seinem Blick zu den Pfosten. Die Kameras drehen sich langsam in Richtung des Hügels oder der Landschaft dahinter. Nicht eine von ihnen beäugt uns.
Lașer räuspert sich zufrieden und checkt die Zeit auf seinem Portable.
»In sechs Sekunden gehen wir los.«
Fast rutscht mir der Schraubenzieher aus den feuchten Händen. Wenn Mama wüsste, was wir vorhaben …
Ich denke an die hunderttausend Nachrichten, die sie mir geclickt hat. Wo bist du? Warum reagierst du nicht? Hast du die Kette von Ministerin Adams gestohlen?
Ja, hab ich, und deswegen baumelt sie jetzt an Mos Handgelenk.
Lașer hat sich den dritten und letzten Computerschlüssel um den Hals gebunden. Den Schlüssel, den wir aus dem Lagerraum der Downtown-Wache geklaut haben.
Den ich geklaut habe.
»Drei, zwei …«, höre ich ihn sagen.
In Paradise ist kein Platz für Kriminelle. Auch wenn ich wollte, ich kann nicht mehr zurück.
»Jetzt!«, ruft er.
Wir steigen aus und überqueren im Laufschritt die Straße, wobei ich sehnlichst hoffe, dass kein Auto kommt. Ich schlängele mich an einem Verbotsschild vorbei und versuche, mit Mo und Lașer Schritt zu halten, was mir nicht leichtfällt, denn meine Beine sind wie Wattestäbchen – megadünn und schwach.
Mo schaut über seine Schulter und gestikuliert, ich solle mich beeilen.
Als würde ich mich nicht schon wahnsinnig anstrengen.
Ich öffne den Mund und will protestieren, doch gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass die meisten Geräte auch Geräusche auffangen können, also renne ich schweigend weiter, zwischen zwei riesigen Pfosten hindurch. Die Überwachungskameras obendrauf erinnern mich an Tierköpfe mit langen Schnauzen. Sie weisen in entgegengesetzte Richtungen, beide von uns weg. Solange wir in gerader Linie weiterlaufen, sind wir sicher.
Es sei denn, es taucht gleich eine Drohne auf, nörgelt eine Stimme in meinem Kopf.
Tsss, denke ich. Wie viele Kameras braucht man?
Aber meine Augen richten sich schon mit fliegendem Blick nach oben und spähen nervös den Himmel ab.
Sie hätten besser auf den Boden geachtet. Meine Schuhspitze stößt gegen etwas Hartes und ich stolpere. Mit aller Kraft versuche ich, mich zu halten, aber ich habe schon zu viel Schwung. Die Welt kippt. In einem Reflex drehe ich den Kopf zur Seite.
BÄNG!
Wie ein abgestürztes Flugzeug liege ich auf dem Hügel, die rechte Wange im Gras.
Mo ist sofort neben mir und zerrt an meinem Arm. »Aufstehen«, flüstert er drängend. »Sonst schaffen wir es nicht.«
Während ich mich hochziehen lasse, sehe ich ein Metallteil, das im Boden steckt.
Wie blöd kann man sein? Über so etwas Beklopptes wie einen Rasensprenger zu stolpern.
Nicht nur mein angeknacktes Ego hat was abbekommen. Mein Knie schmerzt und an meinem linken Handgelenk brennt eine Schürfwunde. Am liebsten würde ich mich wieder hinlegen und unseren idiotischen Plan vergessen, aber Mo hält mich fest, also kann ich nicht anders, als mit ihm zu humpeln, bis wir keuchend den Gipfel erreichen. Lașer steht schon dort und studiert das Linienspiel auf seinem Portable. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber noch immer zeigt keine einzige Kamera in unsere Richtung.
»Noch dreieinhalb Minuten«, sagt er leise. »Maximal.«
Mo lässt mich augenblicklich los und konzentriert sich auf das Gitter, das auf den rechteckigen Lüftungsschacht geschraubt ist. Ich weiß, dass ich ihm helfen müsste, aber mein Handgelenk erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Es fühlt sich an, als hätte jemand meine Haut mit Schmirgelpapier bearbeitet und …
Lașer rammt mir seinen Ellenbogen zwischen die Rippen. »Pris.«
Wie er mich ansieht! Ich versuche, wieder tapfer zu sein und mir den Schmerz zu verbeißen.
Es heißt, dass man bei einem Sturz alles festhält, was man in dem Moment in den Händen hält. Das stimmt. Zu meinem großen Erstaunen liegt der Schraubenzieher noch immer in meiner Hand. Bibbernd stecke ich ihn in den Schlitz der Schraube, die mir am nächsten ist, und fange an zu drehen. Mo hat die erste schon gelöst und beginnt mit der daneben.
»Noch drei Minuten«, meldet Lașer.
Wir arbeiten hastig und schweigend. Ich zittere immer noch, aber nicht mehr so schlimm wie anfangs, und mache mich an die zweite Schraube, die ziemlich festsitzt. Mo hat inzwischen schon vier gelöst und stürzt sich auf Nummer fünf.
»Noch eine Minute.«
So wenig?
Lașers blöde Abzählerei macht mich doch wieder nervös. Mo scheint kein Problem damit zu haben. Er hat die vorletzte Schraube rausgekickt – das Gitter hängt jetzt nur noch an einer einzigen Stelle am Lüftungsschacht. Ich habe mein Werkzeug schon im Anschlag, doch Mo hat eine bessere Idee. Er hebt das Gitter nicht herunter, sondern dreht es zur Seite, sodass es wie ein altersschwaches Vordach am Schacht hängen bleibt.
»Beeilung«, flüstert Lașer. »In zehn Sekunden ist mein Programm durchgelaufen und die Kameras funktionieren wieder normal.«
»Hättest du es eben was länger laufen lassen«, sage ich wütender, als ich es meine.
Für Lașer hört sich das wahrscheinlich nur dumm an, denn er seufzt. »Du kannst die Wachen, die sich diese Bilder anschauen, nicht ewig hinters Licht führen.«
Der Reißverschluss seiner Umhängetasche ist nur zur Hälfte zugezogen. Ich schubse meinen Schraubenzieher durch die schmale Öffnung hinein.
Mo sitzt schon auf dem Grasdach, die Beine im Lüftungsschacht. Er will sich gerade abstoßen, als er mich bestürzt anschaut. »Pris, dein Schlüssel.«
Meine Hand greift an meinen Hals.
Da ist keine Schnur!