Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 26
Prissy
ОглавлениеIm Schutzkeller liegt Klopapier für mindestens ein Jahr. Ich hätte lieber eine Toilette.
Bit’s a Mystery lässt schon seit drei Tagen nichts von sich hören. Drei Tage, in denen ich hinter einem Baum oder Gebüsch mein Geschäft verrichten muss, während ich aus voller Kehle singe, damit Lașer und Mo kapieren, dass sie es nicht wagen sollen, in meine Nähe zu kommen.
Drei Tage, ohne duschen zu können. Wir waschen uns mit dem Wasser aus den alten Flaschen, das einst als Trinkwasser gedacht war. Kaltes Wasser, das wir in eine kleine Wanne gießen. Mo hat mit ein paar Decken eine Ecke abgeschirmt, die wir Badezimmer nennen. Mit einem Haken, an dem eine Taschenlampe hängen kann, damit man nicht ganz im Stockfinsteren steht. Eine Tasse dient zum Wasserschöpfen, damit wir uns abspülen können. Seife und Handtücher gibt es in Hülle und Fülle, ebenso wie Verbandsmaterial und Pflaster – die ich im Übrigen nicht mehr brauche, weil die Schürfwunde an meinem Handgelenk so gut wie verheilt ist.
Gestern habe ich meine Unterwäsche in unserer Badewanne gewaschen und draußen an ein paar Sträuchern zum Trocknen aufgehängt. Ich habe mich danebengesetzt, damit ich sie notfalls sofort wieder reinholen könnte. Als wir am ersten Morgen zum Frühstücken draußen saßen, flog eine Drohne über uns hinweg und wir mussten Hals über Kopf in den Tunnel flüchten. Und so etwas kann immer wieder passieren.
Ich hasse es, gesucht zu werden. Manchmal fürchte ich, dass ich nie wieder nach Hause kann.
In der ersten Nacht haben wir die alte Matratze aus dem Schutzkeller nach oben geschleppt und unter dem Sternenhimmel geschlafen. Nachdem wir mindestens hundert Jahre Staub herausgeklopft hatten, lag ich in einem Schlafsack mit zugezogenem Reißverschluss. Die Jungs hatten sich in ein paar Decken gerollt und waren sofort eingepennt. Ich hatte noch stundenlang wach gelegen wegen all der Geräusche – Grillen zirpten, Blätter raschelten. Vielleicht waren es aber auch kleine schleichende Tiere, denn manchmal sah ich funkelnde Augen. In der Nähe war das gespenstische Hu-hu-huuuuu einer Eule zu hören und das hohe Ke-wick eines Vogels, den ich nicht kannte. Holden hätte es vielleicht »episch« gefunden – um nur mal eines seiner Lieblingswörter zu verwenden. Ich frage mich immer wieder, wie es ihm wohl geht.
Infrarotkameras können uns auch im Dunkeln aufspüren. Deswegen schlafen wir seit dem Besuch der Drohne sicherheitshalber doch lieber drinnen. Mo hat mir seine Stirnlampe gegeben. Ich lasse sie die ganze Nacht um den Kopf, damit ich sofort das Licht anknipsen kann, wenn etwas ist.
Der Keller ist wie ein Kühlschrank. Auch wenn ich alle Kleidungsstücke anbehalte und wir auf der schmalen Matratze gar nicht anders als dicht nebeneinander schlafen können. Zum Glück scheint tagsüber meist die Sonne, sodass wir uns wieder aufwärmen können.
Die Tage ziehen sich. Lașer zeichnet meistens oder sucht den Himmel ab. Mo fummelt ein wenig an den Werkzeugen aus dem Keller herum und legt ständig Nickerchen ein.
Ich langweile mich unendlich ohne mein Camphone. Auf dem Portable sind keine Spiele oder Filme und wir haben vereinbart, in der Nähe des Schutzkellers nicht online zu gehen.
»Das Risiko ist zu hoch«, findet Lașer, der das Naturschutzgebiet alle paar Stunden verlässt, um zu checken, ob es schon was Neues gibt.
Die einzigen Lichtblicke sind die Mahlzeiten, obwohl Mo vermutlich anders darüber denkt. Bei jedem Bissen, den er zu sich nimmt, zieht er noch immer ein Gesicht, als könnte er jeden Moment tot umfallen. Er isst lieber langweiliges Vita als köstliche Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben. Ich habe mittlerweile alle Suppensorten durchprobiert und Champignon ist mein Lieblingsgeschmack. Lașer ist vor allem scharf auf Thunfisch und Sardinen. Wie spülen die leeren Konserven aus und sammeln sie in Tüten. Manchmal riecht der ganze Keller nach Fisch.
Heute Nachmittag habe ich ein Regal mit alten Büchern aus Papier gefunden. Sie stinken ein bisschen und manchmal finde ich zwischen den Seiten ein geplättetes oder lebendes Insekt, aber ich freue mich mehr über die Bücher als über ein neues Kleid. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Lesen so unglaublich viel Spaß machen kann. Mit dem Schlafsack im Rücken habe ich mich an eine der Ruinenwände gesetzt. Innerhalb einer Minute war der Schutzkeller vergessen und ich kroch gemeinsam mit Alice hinter einem weißen Kaninchen mit rosa Augen in eine Höhle.