Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 17
Prissy
ОглавлениеVor ein paar Minuten war Holden noch wütend. Jetzt starrt er auf seine Schuhe und wirkt unglaublich verloren. Ich weiß nicht, welchen von den beiden ich schlimmer finde.
»Komm, Pris«, sagt Lașer. »Wir sind hier fertig. Und Sie«, er schaut zu Paine, »gehen mit uns und zeigen uns den Weg.«
»Und wenn ich das nicht will?«
»Sie werden wohl müssen.«
Sie blickt auf die Waffe und schweigt.
»Holden?«, frage ich. »Kommst du auch mit?«
»Das scheint mir keine gute Idee«, sagt Mo. »Gerade wollte er uns noch mit aller Macht zurückhalten.«
»Das weiß ich, aber …«
»Sorry, Pris.« Lașer schüttelt den Kopf. »Es kostet Bit’s a Mystery wahrscheinlich Tage, um die Computer zu hacken und die Informationen zu veröffentlichen. In der Zwischenzeit werden wir irgendwo untertauchen müssen und ich will nicht wegen deines Bruders aufgegriffen werden.«
»Mein Bruder ist kein Verräter«, schnauze ich.
Aber Paine wahrscheinlich schon, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Und wenn sie ihn unter Kontrolle hat …
»Geh nur«, sagt Holden. »Es ist sowieso nicht mehr zu ändern.«
Jetzt fühle ich mich als Verräterin – wer lässt schon seinen Bruder im Stich?
»Vorwärts.« Lașer zwingt Paine Richtung Ausgang.
Von dieser Seite aus öffnet sich die Tür automatisch.
Bevor wir den Saal verlassen, schaut Mo sich noch ein letztes Mal um. »Denkt dran, uns nicht zu folgen. Es sei denn, ihr wollt Paine auf dem Gewissen haben.«
Er meint das nicht wirklich, denke ich. Das ist eine Art Warnschuss, aber mit Worten.
Trotzdem spüre ich, wie sich eine Gänsehaut über meinen Rücken ausbreitet.
Wir eilen durch das Gebäude, soweit das mit einer Geisel möglich ist, denn Lașer muss Paine immer wieder anspornen. Die Stahltür steht offen und die Roller lehnen wundersamerweise noch immer an der Wand. Ich nehme einen mit, für den Fall, dass wir einen Schlüsselsender brauchen.
»Die kürzeste Strecke«, sagt Lașer zu Paine.
Wir gehen zu dem langen, schmalen Gang zurück. Eben sind wir von links gekommen. Jetzt biegen wir rechts ab und erreichen schon bald eine kleine Halle. An den Wänden hängen drehbare Kameras und direkt vor uns befindet sich eine massive, schwere Tür.
Der Schlüsselsender bewirkt nichts, also hämmert Mo mit der Faust gegen die Tür, doch keiner öffnet. Aus lauter Frust greift er den Roller und schmeißt ihn gegen die Tür. Das macht so einen Höllenlärm, dass sie ihn auf der anderen Seite hören.
Die Tür öffnet sich einen Spalt und ein Mann mit einem freundlichen Gesicht wird sichtbar.
Das verdüstert sich, sobald er Paine sieht.
»Sie schon wieder? Wo ist die Oberbe…« Jetzt hat er auch die Pistole entdeckt.
»Sie ist geladen«, sagt Paine schnell. »Spielen Sie bitte nicht den Helden.«
In Games und Filmen sind Wärter immer stark und cool, sie überwältigen ihre Widersacher innerhalb weniger Sekunden und schalten sie aus. In der echten Welt nehmen sie Calmexin und das hat durchaus seine Vorteile. Der arme Mann steht da, als wollte er sich am liebsten unter dem Bett verstecken.
»Entspannen Sie sich«, sagt Mo. »Wenn Sie mitarbeiten, wird niemand verletzt.«
Nach kurzem Zögern tritt der Mann zur Seite, um uns durchzulassen. Wir sind kaum draußen, als eine Frau in einer kakifarbenen Uniform auf uns zuläuft.
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, ruft Lașer.
Sie bleibt stehen und greift nach ihrer Waffe.
Mein Herz rutscht mir in die Hose. Auch mit einer einzigen Kugel kann man jemanden erschießen.
»Leg das Ding weg«, sagt der Mann. »Das sind noch Kinder.«
»Kinder mit einer Pistole«, hält sie dagegen.
Mo zeigt auf den gelben Sportwagen an der Straßenseite.
»Wem gehört dieses Rennmonster?«
Die Kaki-Uniformen wechseln einen Blick. Paine beißt sich auf die Lippen und schweigt.
»Vielleicht könntest du mal austesten, wie hart der Lack ist?«, sagt Lașer.
Mo sucht sich einen Stein und geht pfeifend zum Auto. Ich weiß nicht, ob es am Adrenalin liegt, aber er wirkt überhaupt nicht ängstlich oder beunruhigt. Im Gegensatz zu Paine. Ich sehe einen zitternden Muskel an ihrem Auge, und als Mo einen Kratzer in die Tür machen will, kann sie sich nicht mehr beherrschen. »Wag es nicht!«
Er lässt den Stein fallen und grinst. »Erstklassiger Fluchtwagen.«
Während Paine widerwillig das Auto öffnet, sehe ich, wie der Wärter mit dem freundlichen Gesicht im Gebäude verschwindet. Seine blonde Kollegin beobachtet uns sorgfältig und hält die ganze Zeit ihre Waffe bereit. Ich bin froh, als wir eingestiegen sind und die Flügeltüren sich schließen. Eine Stimme heißt uns willkommen und fragt, wohin sie uns bringen kann.
»Zur Hauptstraße«, sagt Lașer und stößt Paine die Pistole in die Rippen.
Sie wiederholt den Auftrag und hält ihr ID-Bändchen an das Dashboard. Wir fahren rückwärts, wenden, und dann schießt diese bekloppte Wärterin doch noch. Sie zielt auf unsere Reifen, trifft aber zum Glück nur den Asphalt. Das Auto gleitet lautlos weiter und ihre einzige Kugel ist verbraucht.
Ich schaue ein letztes Mal zu dem Gebäude hinüber.
Nur noch kurz durchhalten, Holden. Nur noch ein paar Tage und alles wird gut.
Mo hält zum Abschied seinen erhobenen Mittelfinger vor die Heckscheibe – und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, wirklich etwas geleistet zu haben. Etwas, das wirklich zählt.