Читать книгу Data Leaks (2). Wer kennt deine Gedanken? - Mirjam Mous - Страница 12
Holden
ОглавлениеDer erwartete Crash bleibt aus. Bevor wir im Gebüsch landen, taucht das Auto plötzlich ab und dieselben Büsche wachsen auf einer Brücke, unter der wir durchfahren.
Mir entschlüpft ein kleiner Laut. Meine Eingeweide müssen sich erst mal wieder sortieren.
»Du dachtest …« Paine kann ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ich habe doch gesagt, es ist eine geheime Location. Der Eingang ist von der Hauptstraße aus nicht zu sehen.«
Und mich warnen? Ist wohl nicht drin.
Ich lasse das Armaturenbrett los und lehne mich möglichst lässig wieder im Sitz zurück, während Theresa weiter über die in die Landschaft eingebettete Straße gleitet. Gebäude sind vorläufig noch keine zu entdecken, wohl aber sechs Menschen, die in Kaki-Uniformen vor der unbegrünten Seite eines Grashügels hin und her schlendern.
»Was sind das für Leute?«, frage ich.
»Soldaten«, sagt Paine.
Jetzt erst sehe ich es. Die kahle Seite ist keine natürliche Wand, sondern die Vorderseite eines Gebäudes mit Grasdach. Eine Art vergrößerte Tresortür bildet den Eingang. Er hat exakt die gleiche Farbe wie die Wand, wodurch er kaum auffällt.
Die Soldaten gehen jetzt nicht mehr hin und her, sondern stellen sich in einer Reihe auf, als wollten sie einen Line Dance aufführen.
Mir stockt der Atem.
Sie haben Waffen! Keine Taser oder Gummiknüppel, wie Ordnungshüter sie manchmal tragen, sondern Feuerwaffen wie die, mit denen Soldaten ihre Feinde erschossen, als es noch Kriege gab. Verbotene Waffen, die früher von Terroristen und gestörten Amokläufern benutzt wurden, um Festivalbesucher, Schüler und allerlei sonstige Unschuldige zu ermorden. Im Internet schwirren noch Horrorvideos davon herum.
Theresa wird langsamer und hält an. »Ziel erreicht.«
Die Türen schweben nach oben. Ein Soldat mit der Nase einer Spitzmaus schießt sofort in die Luft und richtet anschließend seine Waffe auf uns.
»Vielleicht sollten wir lieber nicht aussteigen«, sage ich beklommen.
»Was hattest du denn erwartet?«, fragt Paine. »Dass die Führenden ihre Computerzentrale mit roten Rosen schützen?«
Ich fühle mich feige und dumm und versuche, nur noch an Sims zu denken. Wenn wir das System nicht aufhalten …
Mit einem Betonblock im Magen steige ich aus und folge Paine zum Eingang des Gebäudes.
Sie zeigt der Soldatin mit den meisten Streifen am Ärmel ihr ID-Bändchen. »Vera Paine, Direktorin vom Cliffton Institut und in Besitz einer Zutrittserlaubnis Level zwei.«
»Das tut mir leid.« Streifenärmel nickt Spitzmaus zu, wonach der zum Glück seine Waffe senkt. »Die Sicherheitsbestimmungen wurden bis auf Weiteres hochgeschraubt. Ich darf nur noch Besucher mit Level eins zulassen.«
»Auf meine Bitte hin«, sagt Paine. »Ich bin voll und ganz auf dem Laufenden. Vielleicht nehmen Sie einfach kurz Kontakt mit Frau Adams auf.«
»Das scheint mir nicht notwendig. Die Anweisungen der Ministerin waren überdeutlich.«
Paine seufzt. »Dann rufe ich sie eben selbst an.« Sie bringt ihr Camphone zum Vorschein. Und steckt es wieder weg.
»Sims?«, frage ich.
Ihr Nicken ist wie ein Schlag in mein Gesicht. Es kann nicht sein, dass wir doch noch verlieren. Nicht jetzt, wo wir es bis hierhin geschafft haben!
»Hören Sie«, sage ich zu der Soldatenreihe. »Es gibt Leute, die in das Gebäude eindringen wollen. Sie haben spezielle Computerschlüssel bei sich, mit denen sie alle Computer miteinander verbinden können, und wenn das passiert …«
Ein junger Soldat mit einem so freundlichen Gesicht, dass ich ihn stillschweigend Mr Nice nenne, schüttelt den Kopf.
»Eindringlinge haben keinerlei Chance. Überall hängen Kameras und alle Bilder werden ständig überprüft.«
»Das ist ja gerade das Problem!«, rufe ich aus. »Sims kann die Bilder manipulieren und bestimmen, was auf dem Monitor zu sehen ist und was nicht! So können sie die Wärter zum Narren halten und ganz unbemerkt vorgehen.«
»Sims?«, fragt Streifenärmel.
»Ein irre cleveres Computerprogramm, das die Macht übernehmen will«, sage ich.
»Künstliche Intelligenz verübt Putsch.« Spitzmaus lacht. »Du hast wohl zu viele Science-Fiction-Filme gesehen.«
Ich stelle mir vor, wie er von einem außerirdischen Wesen mit hammermäßig stinkendem Atem verschlungen wird.
Ohne etwas zu sagen, hat sich Streifenärmel ein Stück von mir entfernt und spricht in eine vereinfachte Version eines Camphones. Das funktioniert wenigstens, während Paine es definitiv aufgegeben und ihr Gerät endgültig in ihrer Westentasche versenkt hat – mitsamt ihren Händen. Mr Nice nutzt mir auch nicht die Bohne. Der will mich nur trösten.
»Wirklich.« Er legt seine Hand für einen Moment bedeutungsvoll auf meine Schulter. »Du machst dir völlig umsonst Sorgen. Ich kann dir versichern: In den letzten sechs Stunden ist hier keiner reingegangen!«
»Nicht durch die Tür vielleicht«, sage ich. »Aber bestimmt gibt es noch irgendwo ein Fensterchen oder …«
Er schüttelt mitleidig den Kopf.
Streifenärmel hat ihr Gespräch beendet und bequemt sich wieder zu uns. »Ich habe gerade Kontakt mit der Security gehabt. Das Wachpersonal hat weder im noch rund um das Gebäude verdächtige Aktivitäten festgestellt und auch die Kameras melden, dass alles sicher ist.«
Ich werfe die Arme in die Luft und lasse sie todmüde wieder fallen. »Kameras, die Sims bearbeiten oder ausschalten kann, sag ich doch!«
Die Stille ist fast greifbar.
»Der Lüftungsschacht?«, fragt Mr Nice vorsichtig.
»Unmöglich«, sagt Spitzmaus. »Das Grasdach wird zu absolut hundert Prozent von Kameras abgedeckt.«
»Aber der Junge sagt gerade …«
Streifenärmel hebt kurz die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann schaut sie mich prüfend an, sodass ich das Gefühl bekomme, ihr Blick kriecht ganz tief in mein Hirn.
»Gut«, beschließt sie. »Wir werden den Lüftungsschacht inspizieren. Sehen wir nichts Verdächtiges, zieht ihr ohne weiteres Aufhebens ab. Einverstanden?«
»Einverstanden«, wiederholt Paine.
»Dann Beeilung«, sage ich, ohne auch nur etwas zu versprechen.
Mr Nice und Spitzmaus werden von Streifenärmel aufs Dach geschickt. Unterdessen kann ich nichts anderes tun, als unendlich lang auf ihre Rückkehr zu warten, wie ein brütender Kaiserpinguin auf seine Frau. Ich bin kurz davor, vor lauter Ungeduld zu zerspringen, als in der Ferne ein Schrei ertönt, und Mr Nice wenig später vom Grasdach hinunterschlittert.
»Das Gitter wurde abgeschraubt!«
»Und das sagst du jetzt erst«, raunzt Streifenärmel.
»Der Kontakter funktioniert nicht.« Spitzmaus ist ebenfalls vom Dach gekommen und schwenkt sein vereinfachtes Camphone. »Das Display blieb schwarz.«
»Sims«, sage ich.
Und dann ist Streifenärmel endlich überzeugt. Sie erteilt zwei Soldaten den Auftrag, alle Akkuräume und Gänge im Gebäude zu kontrollieren. Mr Nice und eine blonde Kollegin werden aufgefordert, hier draußen den Eingang zu bewachen, und dann ist nur noch Spitzmaus übrig.
»Du kommst mit mir«, sagt Streifenärmel.
Die schwer aussehende Tür erweist sich als ein wunderbares Beispiel moderner Technik und ist dreifach gesichert. Trotz des eingebauten Iris- und Handscanners öffnet sie sich erst, als Streifenärmel auch noch den richtigen Code eingegeben hat.
Paine will hinter ihr und Spitzmaus mitgehen.
»He, Sie!«, ruft Mr Nice. »Sie sollen da nicht …«
Die Direktorin wirkt wie neugeboren und strahlt plötzlich die reinste Unerschütterlichkeit aus. »Ohne uns hättet ihr nicht einmal mitbekommen, dass jemand versucht, die Computer zu erreichen. Wenn das der Ministerin Adams zu Ohren kommt, mit der ich gut befreundet bin …«
»Aber …«, setzt Mr Nice noch einmal an.
Ohne Zögern geht Paine hinein und ich eile hinterher, während ich inständig hoffe, dass wir nicht erschossen werden.